Silvia Steiner will den Gemeinden mehr Schulinseln ermöglichen für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche. Von einer dauerhaften «Separation» von Regelklassen und besonderen Klassen hält die Bildungsdirektorin nichts.
Es ist ein Dauerbrenner an Primar- und Sekundarschulen, nicht nur im Kanton Zürich: wie weiter mit dem integrativen Unterricht? Was tun, wenn lernschwache, lernbehinderte oder verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche den Klassenbetrieb derart beeinträchtigen, dass Lehrer, Heilpädagoginnen und Klassenassistenzen nicht mehr weiterwissen – da sie wegen der Unruhestifter im Schulzimmer dem geplanten Stoff des Semesters immer mehr hinterherhinken? Und sich noch dazu mit unzufriedenen Eltern herumschlagen müssen, die befürchten, dass ihre Kinder unter den ständigen Unterbrechungen besonders litten und unterfordert seien?
Für die Stadtzürcher Gemeinderätin Yasmine Bourgeois von der FDP und ein Komitee aus Vertretern von SVP und der GLP ist klar: So geht es nicht weiter.
Sie haben im Sommer eine kantonale Volksinitiative eingereicht, die Folgendes erreichen will: Verhaltensauffällige Schüler und solche mit einer Lernschwäche sollen bei Bedarf in sogenannte Förderklassen eingeteilt werden können. Dies semesterweise und vorübergehend, wie die Initianten betonen. Idealerweise befinden sich diese Lerngruppen im gleichen Schulhaus wie die Regelklassen, aus der die Kinder kommen und in die sie bei guter Entwicklung auch wieder zurückkehren sollen.
Geführt werden sollen diese Klassen von Heilpädagoginnen. Laut den Initianten der Förderklassen-Initiative soll dies die Lehrerinnen und Lehrer der Regelklassen entlasten, den Schulbetrieb beruhigen und erst noch keine weiteren Kosten verursachen: Zusätzliche Stellen wären nicht nötig, da die Heilpädagoginnen aus bestehenden Klassen abgezogen und den neu zu schaffenden Förderklassen zugeteilt würden.
Eine Volksinitiative in Basel-Stadt hatte ähnliche Massnahmen verlangt. Das Parlament des Stadtkantons hat im September einen Gegenvorschlag beschlossen, der einen Kompromiss vorsieht: Förderklassen sollen künftig möglich sein, allerdings nur für lernschwache und lernbehinderte Schülerinnen und Schüler, nicht für verhaltensauffällige, wie dies die Initianten verlangt hatten. Dennoch dürfte das Basler Volksbegehren nun zurückgezogen werden.
Lehrer ohne Heilpädagogen
Nicht so in Zürich: Hier hat der Regierungsrat am Donnerstag über seinen Gegenvorschlag zur Förderklassen-Initiative informiert. Yasmine Bourgeois sagt auf Anfrage: «Wir werden auf jeden Fall an unserer Initiative festhalten.» Schliesslich handle es sich bei der Antwort der Kantonsregierung nicht wirklich um einen Gegenvorschlag. Bourgeois geht mit der Position von Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) hart ins Gericht. «Hier soll ein System mit noch mehr Geld weitergeführt werden, das erwiesenermassen nicht funktioniert», sagt die FDP-Bildungspolitikerin, die selber Schulleiterin ist von Beruf.
Der Gegenvorschlag der Regierung argumentiert zunächst grundsätzlich. Die Förderklassen-Initiative bedeute «Separation»: Kinder und Jugendliche mit einer Lernschwäche oder einer anderen Beeinträchtigung würden dauerhaft von den übrigen Schülerinnen und Schülern getrennt. Das mindere ihre Chancen, nach der Schule eine Lehrstelle zu finden.
Auch den Regelklassen sei mit der Initiative nicht geholfen, da diese auf «einen Abbau oder gar die vollständige Abschaffung von bestehenden integrativen Fördermassnahmen in Regelklassen» hinauslaufen würde. Es werde immer Schüler geben, die spezifische Unterstützung nötig hätten. Nur stünden in Regelklassen hierfür weniger Ressourcen zur Verfügung als heute, da die Lehrerinnen und Lehrer bei einer Annahme der Förderklassen-Initiative ohne heilpädagogische Unterstützung auskommen müssten.
Die Folge: Die Lehrpersonen hätten nicht weniger, sondern mehr zu tun. Zudem würden Förderklassen nach Einschätzung der Regierung den meisten Heilpädagoginnen nicht entgegenkommen. Diese wollten Kinder und Jugendliche in der Stammklasse unterstützen, nicht in eigenen Klassen.
Die SP will Schulinseln in jeder Gemeinde
Kostenneutral sei das Vorhaben der Initianten zudem nicht zu haben, schreibt die Regierung. Förderklassen brauchten zusätzlichen Schulraum. Yasmine Bourgeois entgegnet: «Förderklassen brauchen nicht mehr Raum als erweiterte Lernräume, die der sogenannte Gegenvorschlag vorsehen würde.» Und überhaupt: Es sei der Regierungsrat, der mehr Geld ausgeben wolle für integrativen Unterricht. Die Förderklassen-Initiative lasse sich mit bestehenden Ressourcen umsetzen.
Tatsächlich zielt der direkte Gegenvorschlag von Bildungsdirektorin Steiner darauf ab, den Schulgemeinden mehr Mittel für «erweiterte Lernräume» oder sogenannte Schulinseln zur Verfügung zu stellen. Auf solchen Zwischenstationen sollen Schülerinnen und Schüler unterstützt werden, die wegen ihres auffälligen Verhaltens «vorübergehend» nicht in eine Regelklasse integriert werden können.
Die Grünen und die SP sehen das ähnlich. Beide Parteien lehnen die Förderklassen-Initiative ab, beide unterstützen die Idee von mehr Schulinseln, aber beide haben auch Vorbehalte. Die Grünen wollen wissen, wie lange Kinder maximal in solchen Lernräumen unterrichtet werden sollen. «Handelt es sich dabei um Stunden, Tage oder gar Wochen? Auf keinen Fall darf daraus eine versteckte Förderklasse werden», schreibt die Partei am Donnerstag in einem Communiqué. Die SP verlangt, dass der Kanton «die nötigen Ressourcen für eine flächendeckende Einführung» bereitstellt.
Das hingegen würde sowohl der Förderklassen-Initiative als auch dem Gegenvorschlag widersprechen: Beide verstehen sich als punktuelle Massnahme. Auf zwingende Forderungen an alle Zürcher Schulgemeinden verzichten beide Vorlagen. Jetzt liegt der Ball beim Kantonsrat. Danach hat das Volk das letzte Wort.