Vertreter der christlichen Nationalisten waren dabei, als Trump-Anhänger das Capitol stürmten. Warner sehen sie bereits als Vorboten eines Bürgerkriegs und einer faschistischen Theokratie.
«Let’s make America pray again», trompetete der amerikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump in der Karwoche auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social. Der Grund: Er bewarb eine neue «God Bless the USA»-Bibel – zum stolzen Preis von 60 Dollar. Die Tantiemen sollen wohl seinen klammen Kontostand in der Wahlkampf- und Gerichtskostenkasse aufbessern.
Was zuerst als biblischer Verkaufs-Gag belächelt wurde, hat eine tiefere Dimension. Denn Trump schmückt sich regelmässig mit christlicher Ikonografie. Im Januar verklärte er sich im Video «God Made Trump» als Messias. Während der George-Floyd- und Polizeigewaltproteste im Juni 2020 posierte Trump nach einem Einsatz der Riot Police mit einer Bibel vor der St.-John’s-Kirche in Washington. Zuvor war er an religiösen Gebetsfrühstücken aufgetaucht und hatte Geistliche im Weissen Haus für sich beten lassen. Ein früher Kampagnenauftritt führte ihn 2016 an die vom Televangelisten Jerry Falwell gegründete Liberty University in Lynchburg, Virginia.
Harmlos wie Baseball und Apfelkuchen?
Die neue, vom patriotischen Country-Sänger Lee Greenwood publizierte Trump-Bibel fügt sich in diese Tradition ein. Auf dem Ledereinband prangt unter den Lettern «Holy Bible» ein wallendes Relief der amerikanischen Flagge. Bonustexte aus der Verfassung, der Unabhängigkeitserklärung und dem Treueschwur Pledge of Allegiance machen sie zum Symbol für die Verschmelzung von Staat und Religion. Trump sendet eine klare Message an die Seinen: die des christlichen Nationalismus.
Der Christian Nationalism (CN) ist seit einiger Zeit ein intensiv diskutiertes Sujet. Entsprechend unklar ist seine Bedeutung. Manche erkennen darin die Forderung nach einem Staat, der im Einklang mit christlichen Werten steht, andere das Drohszenario einer faschistischen Theokratie und wieder andere nur Apfelkuchen. Dies, weil Religion so uramerikanisch ist wie Baseball und «apple pie».
Schliesslich wurden die USA von puritanischen Pilgern mitkolonialisiert. Die Religionsfreiheit wurde vom Quäker William Penn im späteren Pennsylvania erfunden und im laizistischen Verbot jeglicher staatlicher Einmischung in Religionsfragen 1791 im ersten Verfassungszusatz festgeschrieben. Ein Land, in dem sich rund 63 Prozent der Bevölkerung zum Christentum bekennen und in dem heute noch über die Hälfte der Gläubigen mindestens einmal pro Monat in die Kirche geht, darf man getrost eine christliche Nation nennen.
Sie sehen sich im Kampf gegen das Böse
Ist die Ideologie des christlichen Nationalismus also bloss harmlos patriotisch wie Apfelkuchen? Mitnichten, mahnt der in Oxford geschulte Theologe Brad Onishi, ein ehemaliger CN-Anhänger und Professor aus San Francisco. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel «Preparing for War. The Extremist History of White Christian Nationalism».
Laut Onishi geht es den radikalen Christen darum, die Grenze zwischen Kirche und Staat einzureissen. Sie sähen sich in einem existenziellen Kampf zwischen Gut und Böse und forderten deshalb wirtschaftliche, soziale und politische Privilegien für Christen in den USA. Um diese Forderungen umzusetzen, verfolgten Gruppen wie die radikale New Apostolic Reformation ein «Mandat der sieben Berge»: Christen sollten die sieben Hügel von Staat, Familie, Religion, Wirtschaft, Schulwesen, Medien und Kunst/Unterhaltung stürmen, um von dort die Menschheit zu kontrollieren und die Erde für Gott zu kolonialisieren.
Gemäss Onishi können die CN-Aktivisten mittlerweile auf die Unterstützung von konservativen Think-Tanks wie der Heritage Foundation oder dem Claremont Institute zählen, aber auch auf Universitäten wie Liberty und politischen Support in Washington, etwa im Freedom Caucus und bei anderen Trump-Sympathisanten.
Das Gebet des Büffelhorn-Schamanen
Wie erfolgreich die Christlich-Nationalen bereits heute sind, zeigt sich laut Onishi im «Dobbs»-Urteil des Obersten Gerichtshofes von 2022, wonach das Recht auf Abtreibung nicht mit der Verfassung zu vereinbaren sei. Auch kontroverse Urteile und legislative Vorstösse auf Ebene der Gliedstaaten zeigen den politischen Einfluss der Christlich-Nationalen. Nicht zuletzt sitzt seit einem halben Jahr mit Mike Johnson, dem Speaker des Repräsentantenhauses, ein christlicher Aktivist im dritthöchsten Amt des Landes. Vor seinem Büro hängt eine «Appeal to Heaven»-Fahne, ein Emblem der New Apostolic Reformation (die mit den sieben Hügeln), das angeblich auf den Revolutionskrieg und ein Gebet George Washingtons zurückgeht (was Historiker verneinen).
Derartige Objekte haben Rob Reiner und Dan Partland inspiriert, die Macher des Dokumentarfilms «God & Country» (2024). Sie machen die Ideologie des christlichen Nationalismus für den Sturm auf das Capitol vom 6. Januar 2021 mitverantwortlich. Dies, weil christliche Fahnen, Kreuze, Bibeln und Slogans prominent in der «Make America great again»-Meute vertreten waren. Der QAnon- und Büffelhorn-Schamane Jacob Chansley rezitierte gar ein Gebet von der Kanzel im Kongress.
Der Coupversuch, so Reiner und Partland, sei vom alttestamentarischen Fall der Mauern von Jericho inspiriert gewesen. Südstaatenflaggen und Kreuze erinnerten an den Ku-Klux-Klan, eine radikal protestantische rassistische Bewegung, die ihren Höhepunkt mit rund 5 Millionen Mitgliedern just dann erreichte, als sie in den 1920er Jahren das (brennende) Kreuz ins Zentrum ihrer Bildsprache stellte. Dass am 6. Januar 2021 Plakate mit Slogans wie «God, Guns, Trump» oder «Jesus 2020» zu sehen waren, werten die Autoren als Beweis dafür, dass das Ziel von christlichen Nationalisten eine faschistische Theokratie ist.
George W. Bush – dank Gott vom Alkohol geläutert
Doch der CN ist eine heterogene Truppe, schon die Definition ist unklar. So gliedert das Washingtoner Pulitzer Center die Bewegung in sechs Untergruppen, zu denen Gott-und-Vaterland-Konservative und Anhänger traditioneller Familienwerte genauso gehören wie Fernsehprediger, Kirchgemeinden, Influencer, Kanye West oder neorechte Gruppen wie QAnon und die Proud Boys. So besehen, ist der CN mehr ein zusammengewürfelter Haufen als eine strategische Organisation, die Bürgerkrieg und Machtergreifung plant.
Zudem ist die Politisierung des Christentums in Amerika kein historisches Novum. Schon im Amerikanischen Bürgerkrieg prägte die Union 1864 das Motto «In God We Trust» auf 2-Cent-Münzen, 1865 auch auf Silber- und Gold-Dollars, um die Nähe der siegreichen Nordstaaten zu Gott zu signalisieren. Im Kalten Krieg stand Gottvertrauen noch höher im Kurs – auf Banknoten und Schuldscheinen, ab 1954 im Fahneneid und ab 1956 als offizielles Motto der USA.
Ab den 1970er Jahren erstarkte im Kulturkampf gegen die Linke eine sozialkonservative religiöse Rechte. Phyllis Schlafly oder Jerry Falwell organisierten den religiösen Widerstand gegen sexuelle Revolution, Abtreibung, Feminismus oder gleichgeschlechtliche Liebe. Der Born-Again Christian und dank Gott vom Alkohol geläuterte George W. Bush schliesslich mobilisierte in seiner Präsidentschaftskampagne das Wählersegment der Evangelikalen. Ihr Einfluss ist seither weiter gewachsen. Donald Trump verkündete seine Kandidatur 2016 als «Our man, God’s man».
Trumps Religiosität und Apotheose sollte daher eher im elektoralen denn im revolutionären Kontext gelesen werden. Gemäss dem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut PRRI sind radikale CN-Umstürzler eine Minderheit. Zwei Drittel der Amerikaner stehen dem CN skeptisch gegenüber oder lehnen ihn ganz ab. Nur rund 10 Prozent sind Anhänger, 20 Prozent Sympathisanten – viele von ihnen weisse Protestanten im Bibelgürtel von Arkansas bis North Dakota. Ob diese einen Bürgerkrieg anzetteln und eine faschistoide Theokratie installieren können, ist fraglich. Sicher aber ist, dass sie in den Wahlen wichtig sind.
Nächstenliebe steht nicht auf dem Programm
Ein Beispiel dafür ist North Carolina: Laut dem TV-Sender NBC schafften es CN-Organisationen wie die Faith and Freedom Coalition mit datengetriebener Wahlwerbung und neunstelligen Budgets, die Wahlbeteiligung um 9 Prozent zu steigern – mehrheitlich dank christlichen Wählern. Seit 2016 gehört der Swing State, der 2008 für Obama stimmte, wieder zum Segment der republikanisch wählenden Staaten. Mit seinen christlichen Messages will Trump die CN-Wählerschaft landesweit mobilisieren. Sie hat das Zeug zu einer radikalen Minderheitsgruppe, die von einer möglichen zweiten Trump-Administration religiöse Konzessionen fordern wird.
Samaritische Nächstenliebe für sozial schwächere und andersdenkende Mitbürger steht allerdings nicht auf dem Programm. Auch finden Voten wie jene des Verfassungsrechtlers David French, wonach es wenig Unamerikanischeres und Verfassungswidrigeres gebe als die Idee einer gottgegebenen Konstitution der USA, kaum Gehör. Offenbar stören sich die strengen Christen auch nicht an Trumps Sünden, darunter falsches Zeugnis, Scheidung, sexuelle Belästigung und Affären mit Pornostars.
Diese Sünden haben Trump eine Menge Gerichtskosten eingebracht, die er nun mithilfe von Bibelverkäufen bezahlen will. «Mein Gott, Trump!», mag es da auch manchem Trump-Gegner entfahren.