Die Zürcher Sam Friedman und Hamza Raya scheren sich nicht um Political Correctness: Mitten im Gaza-Krieg haben sie ein umstrittenes Video aufgenommen.
Sieben Minuten dauert das Video mit dem Titel «Jude vs. Araber», das innert weniger Tage über dreizehntausend Mal auf Youtube angeschaut wurde. Der Inhalt: Hamza Raya und Sam Friedman sitzen sich an einem Tisch in einer Wohnung in der Stadt Zürich gegenüber und erzählen einander Witze aus der alleruntersten Schublade, rassistisch, abwertend, gespickt mit übelsten Vorurteilen.
Hamza Raya: Was sagt ein jüdischer Pädophiler zu einem Kind? – Hallo, willst du Süssigkeiten kaufen?
Sam Friedman: Warum wird in Arabien Sexualkundeunterricht und Fahrunterricht nicht am gleichen Tag erteilt? – Die Kamele würden es nicht verkraften.
Dazwischen krümmen sie sich vor Lachen.
Raya ist Comedian mit libanesischen Wurzeln, Friedman arbeitet als Gastronom und ist Schweiz-Israeli. Die beiden haben das Video Ende Januar auf Youtube gestellt, dreieinhalb Monate nach dem schlimmsten Angriff auf Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust, mitten im Gaza-Krieg.
Darf man rassistische Witze erzählen? Und dann auch noch über sie lachen? Um über diese Fragen zu sprechen, hat die NZZ Sam Friedman, 41, und Hamza Raya, 39, in Rayas Wohnung in Zürich Altstetten getroffen, wo das Video aufgenommen wurde.
Hamza Raya und Sam Friedman, solche rassistische Witze: Geht das nicht zu weit?
Raya: Ich halte nicht viel von Political Correctness. Die Leute nehmen sich so furchtbar ernst. Immer wieder werde ich gefragt: Wo ist die Grenze des Humors? Und ich antworte: Für mich gibt es keine Grenze, wenn der Kontext stimmt.
Friedman: Das sehe ich auch so: Der Kontext ist wichtig.
Raya: Es gibt einen Unterschied zwischen Urs, der einen rassistischen Witz in seiner Stammbeiz erzählt, und dem Araber Ali, der den gleichen Witz anderen Arabern erzählt.
Wie hat Ihr Umfeld auf das Video reagiert?
Friedman: Sehr unterschiedlich. Meine Familie fand es völlig okay, sie kennt mich und meinen Humor. Im jüdischen Fussballclub FC Hakoah, in dem ich Co-Präsident bin, kamen Leute auf mich zu und sagten: Sorry, das kannst du nicht bringen. Aber wer, wenn nicht ich, sollte solche Witze machen dürfen? Meine beiden Grossmütter waren in Auschwitz. Das ist meine Art, mit der Situation umzugehen. Ich lache darüber. Das Leben ist schon traurig genug.
Raya: Das Video ist Satire, und es gibt immer Leute, die das nicht verstehen. Aber im echten Leben muss man klare Grenzen ziehen. Wenn jemand käme und mir vorwerfen würde, dass ich gut fände, was am 7. Oktober passiert ist, dann würde ich durchdrehen. Uns geht es um Völkerverständigung.
Den Schweizerinnen und Schweizern ihren verkrampften Umgang mit Ausländern vorzuführen, ist Hamza Rayas komödiantisches Kapital. 2016 tritt er in der SRF-Sendung «Die grössten Schweizer Talente» auf und stellt sich der Jury in gebrochenem Deutsch als «Libanon-Mann» vor, der ein Michael-Jackson-Lied singen will.
Im Gespräch mit ihm wechselt Jurymitglied und Rapper Bligg sofort auf Hochdeutsch. Als Raya zu singen beginnt und den Text nicht richtig kann, ist das Publikum sichtlich irritiert: Ist das jetzt schon lustig? Ab wann darf man lachen? Die Überraschung bei den Zuhörern scheint echt, als Raya in perfektes Schweizerdeutsch wechselt und erklärt, er sei Komiker.
Heute organisiert und moderiert Raya die Live-Show «Dini Muetter Comedy», in der jeweils sechs Stand-up-Comedians auftreten. Rayas Spezialität sind rassistische Witze, die er der jeweiligen Bevölkerungsgruppe erzählt. In den sozialen Netzwerken postet er Videos davon. So sagt Raya beispielsweise zu einem jungen Mann mit dunkler Haut: «Warum kann Stevie Wonder nicht lesen?» Der Mann antwortet: «Weil er blind ist?» Und Raya sagt: «Weil er schwarz ist.» Sein Gegenüber fängt an zu lachen, zum Schluss gibt es eine Umarmung.
Herr Raya, erleben Sie persönlich Rassismus?
Raya: Wenn ich Rassismus suchen würde in der Schweiz, würde ich ihn finden. Klar, mit einem ausländischen Namen bekommt man vielleicht weniger schnell eine Wohnung. Aber dann schreibe ich halt fünf Bewerbungen mehr. Mich nervt dieses Gejammer. Ich finde, es gibt nichts Schlimmeres als Ausländer, die hier leben und sich ständig beklagen, wie rassistisch die Schweiz sei. Da kommt dann richtig der Hansueli in mir hoch, und ich denke: Geh doch dahin zurück, wo du herkommst! Richtigen Ausländerhass spüre ich eher, wenn ich in Deutschland unterwegs bin.
Friedman: Klar, bei 83 Millionen Menschen gibt es mehr Idioten als bei 8 Millionen.
Raya: Der Umstand, dass ich Hamza heisse und einen Bart habe, reicht vielen Leuten schon, um sich eine Meinung über mich zu bilden. Allerdings ist mir schon bewusst, dass ich mit meinem Äusseren etwas auslöse. Wenn ich nachts unterwegs bin und eine Frau sehe, wechsle ich präventiv die Strassenseite.
Friedman: Du siehst halt ein bisschen beängstigend aus.
Raya: Etwas böse, ja. Deshalb lächle ich lieber einmal zu viel, wenn ich einen Raum betrete. Ich fühle mich aber nicht benachteiligt.
Friedman: Wir haben alle Stereotype im Kopf. Manchmal schnallen das die Leute aber nicht. Ich engagiere mich im VSOV, einem Verein, der sich gegen Antisemitismus und Rassismus im Sport einsetzt. Wir referieren auch in Fussballklubs. In einem grösseren Klub, den wir besuchten, waren die Trainer überzeugt: Bei uns gibt es keine Diskriminierung. Doch wenn ein Spieler einen schlechten Pass gab, war die Reaktion: «Was war das für ein schwuler Pass?» Die Leute haben ihre Wortwahl gar nicht hinterfragt.
Sam Friedman hat auf seinem rechten Unterarm einen Grabstein mit der Aufschrift «Your Opinion» tätowiert. Er drückt damit aus: Was andere über ihn denken, interessiert ihn nicht.
Friedman ist in Zürich Wiedikon aufgewachsen, mitten in der Stadt, aber in einer Welt, zu der die meisten Zürcherinnen und Zürcher keinen Zugang haben. Er wuchs in einer ultraorthodoxen Familie auf. Doch religiös ist er nicht mehr. Vor über zehn Jahren, da war er 30, hat er seine Kippa abgelegt und die Gemeinschaft verlassen. Trotzdem pflege er zu seinen Eltern und seinen Brüdern bis heute ein gutes Verhältnis. In Wiedikon lebt er noch heute.
Herr Friedman, was hat sich für Sie mit dem Terrorangriff der Hamas verändert?
Friedman: Viel. Viele Leute haben sich seit dem 7. Oktober als Arschlöcher geoutet. Frühere Kollegen melden sich plötzlich nicht mehr bei mir. Ich bekomme Hassnachrichten, werde darin als «Kindermörder» bezeichnet. Während eines Fussballmatchs mit dem FC Hakoah, den ich präsidiere, rief ein Mann «Free Palestine» von der Tribüne.
Passierte das früher nicht?
Friedman: Doch, aber anders. Einmal wurde ich gefragt, wie viel Gold meine Familie besitze. Ein typischer Spruch, den ich immer wieder höre, ist: Hitler hat seine Arbeit nicht vollendet. Das Leugnen ist das Schlimmste. Einer sagte zu mir: «Der Holocaust hat nie stattgefunden. In so einer Zeit kann man doch nicht einmal sechs Millionen Pizzas verbrennen.» So viele Menschen haben keine Ahnung, wovon sie sprechen. Das sehe ich auch an den Pro-Palästina-Demos.
Was meinen Sie genau?
Friedman: An den Demos rufen sie: «From the river to the sea, Palestine will be free.» Dieser Spruch bedeutet die Auslöschung Israels. Wenn ich dann Teilnehmer an den Demos frage, ob sie wüssten, was sie da sagen, dann merke ich: Sie haben keine Ahnung.
Raya: Das stört mich auch. Die Leute plappern Sachen nach, ohne die Hintergründe zu kennen. Sam und ich haben übrigens nicht immer die gleiche politische Meinung über Israel. Den Siedlungsbau beispielsweise sehe ich sehr kritisch. Da wird gegen verschiedene Abmachungen verstossen.
Friedman: Ich befürworte den Siedlungsbau nicht bedingungslos. Wenn die Rückgabe des Siedlungslandes zu Frieden führen würde, wäre ich dafür. Aber Israel hat Gebiete zurückgegeben, und das Einzige, was wir bekommen haben, war mehr Terror. Die Welt hat Milliarden in den Gazastreifen investiert, und was ist mit dem Geld passiert? Die Hamas hat Tunnels damit gebaut.
Raya: Also das ist jetzt sehr überspitzt formuliert . . . Die Leute im Gazastreifen verlieren das Vertrauen, wenn sie sehen, dass auf der anderen Seite immer noch Siedlungen gebaut werden. Aber darüber könnten wir jetzt noch stundenlang diskutieren. Das ist ja gerade das Gute in der Schweiz. Hier haben wir die Möglichkeit, Gespräche miteinander zu führen und uns in Toleranz zu üben.
In den sozialen Netzwerken hat das Video, das die beiden gepostet haben, viele Reaktionen ausgelöst. Einige gratulieren Raya und Friedman zu ihrem Mut. Andere posten gleich selbst rassistische Witze.
Und dann gibt es noch diejenigen Nutzerinnen und Nutzer, die das Video gar nicht lustig finden. Einer schreibt: «Ihr mögt euren fragwürdigen Witz ja feiern, aber er ist geschmacklos, ehrlos und vor allem menschenverachtend.» Dabei ist das Video gar mit einer Triggerwarnung versehen. Und es endet mit der Aufforderung «Make hummus, not war».
Herr Raya, Zürich ist eine linke Stadt. Sie treten oft hier auf. Wurden Sie eigentlich noch nie gecancelt?
Raya: Erstaunlicherweise bekomme ich wenig Hassnachrichten. Vielleicht hat die linke Woke-Bubble einfach aufgegeben. Wenn ich rassistische Witze mache, kannst du die Nationalitäten in dem Witz, über die ich mich lustig mache, austauschen. Araber, Albaner, Schweizer, egal. Wenn jemand kommt und sich aufregt, sage ich zu ihm: Dann mach doch aus dem Albaner einen Libanesen, hoffentlich kannst du dann darüber lachen. Manchmal kommt Sam an eine Show, und dann erzählt er die schlimmsten Judenwitze.
Friedman: Niemand muss das lustig finden. Mein Humor ist wie ein Boot voll mit Flüchtlingen. Er kommt nicht immer gut an.
Raya: Natürlich findet es niemand von uns lustig, wenn ein Flüchtlingsboot untergeht. In den Witzen geht es nur um die Pointe. Wir wollen mit dem Video auch nicht provozieren. Unser Antrieb ist die Freundschaft, die Toleranz. Wir suchen das Verbindende im Humor.
Friedman: Im Video geht es um viel mehr als die Witze. Es ging darum, zu zeigen, dass wir trotz dieser schwierigen Situation füreinander da sind. Wir dissen uns ständig gegenseitig. Aber wir greifen einander nicht persönlich an. Dafür mögen wir uns zu sehr.
Ein zweites Video ist bereits in Planung. Friedman und Raya haben ihre Fans aufgefordert, ihnen rassistische Witze zuzuschicken. Möglichst böse sollen sie sein.