Das Zürcher Literaturmuseum Strauhof zeigt mit «Kafka – Türen, Tod und Texte» Freude an der Alliteration. Und ein Händchen für echte Nähe zu dieser vor hundert Jahren verstorbenen Literaturgrösse.
Beinahe drängend schwingt die alte Tür zum Museum Strauhof auf, lädt zum Eintreten ein, nein, fordert gar dazu auf, so rasch und weit, wie sie sich öffnet. Wer eintritt, ist bereits mittendrin: Mehr als mannshoch klebt eine Szene von Orson Welles «Der Prozess» (1962) an der Wand: eine übergrosse Tür, davor ein verschwindend kleiner Mann. Die Hände reichen kaum bis zur Klinke. Ein Bild aus einer Kafka-Verfilmung, klar: «Kafka – Türen, Tod und Texte» heisst die am Mittwoch hier eröffnete Ausstellung.
Besonders gewitzt ist es nicht, im 100. Todesjahr des grossen Franz Kafka eine Ausstellung auszurichten. Besonders gelungen allerdings ist die kleine Ausstellung dennoch. Das liegt an der Wahl der Schwerpunkte und der Inszenierung dieses Werks, das nie fertig werden konnte und die Literaturwelt dennoch komplett verändert hat.
Sägen an den Hemmschwellen
«Möchten Sie nicht die Tür öffnen? Der Schlüssel steckt auf Ihrer Seite», steht an der Wand neben der übermannshohen Tür. Ein Buchzitat. Eines von vielen, die sich an der Tür abarbeiten: «Kafka hat den Fokus oft auf Türen gelegt. Er hat sie als Sprachbild häufig und vielfältig eingesetzt, ja regelrecht durchexerziert», sagt Rémi Jaccard, der Leiter des Literaturmuseums Strauhof. Eine Tür schaffte es gar auf den originalen Buchumschlag von «Die Verwandlung».
Im Strauhof werden diverse Türszenen aus Kafkas Gesamtwerk gelesen. Man kann sich Kopfhörer aufsetzen und die Gegenwart hinter Kafkas Worten verschwinden lassen. Das passt, trug doch auch Kafka selbst seine Texte gerne vor und schrieb auf eine Art, die zum Vorlesen einlädt.
Mit diesem unverstellten Einstieg ins Werk soll, so der Museumsleiter Jaccard, auch die Hemmschwelle überwunden werden, die viele fühlen, wenn sie sich dazu entscheiden, einen Klassiker dann eben doch nicht in die Hand zu nehmen.
Die Tür als Schlüsselmoment
Türen sind eine ebenso praktische wie kuriose Sache. Sie sorgen für Ruhe und Ordnung – in Wohnhäusern und Büros ebenso wie im Gespräch. Kafka, im elterlichen Haus mit einem Durchgangszimmer abgestraft, klagte in vielen Briefen und Tagebucheinträgen über das laute Türknallen, über zu viel Lärm und Bewegung um ihn herum, über ungebetenen Besuch auch, den ihm seine Lage zwischen den Räumen bescherte. Was ihm fehlte, war eine Tür, die seine Tür war. Die er hätte schliessen und die niemand einfach so wieder hätte öffnen können.
Im Raum schaffen Türen Grenzen und Hindernisse ebenso wie Durch- und Übergänge. In der Welt der Worte dienen sie als Metaphern für allerhand Aktionen, werden zum Symbol für Wandel und Veränderung.
Kafka wollte alles «restlos und ungelesen» verbrannt wissen
Auch der Strauhof ist ein Haus voller Türen. Dunkelbraun sind sie und aus altem Holz gesägt. Im ersten Stock öffnen sie sich links zu einem Raum über Kafkas Leben, rechts zu einer wachsenden Erzählung über das Leben von Kafkas Werk nach seinem Tod, über all die Filme und weiteren Bücher, zu denen Kafka direkt oder indirekt inspiriert hat.
Zwischen den Türen hängt die Todesanzeige, in der Kafkas Eltern von ihrem Sohn Abschied nehmen. Daneben der Nachruf von Milena Jesenská, mit der Kafka eine kurze Affäre und eine lange Freundschaft verband – erschienen, noch bevor die Todesanzeige gedruckt war, als «Notiz vom Tage» in der damals in Prag publizierten tschechischen Tageszeitung «Národní listy».
Dann und allem voran, in Kafkas krakeliger Handschrift: «Liebster Max, eine letzte Bitte: alles, was sich in meinem Nachlass (also im Bücherkasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zuhause und im Bureau, oder wohin sonst irgendwas vertragen worden sein sollte und Dir auffällt) an Tagebüchern, Manuscripten, Briefen, fremden und eigenen, Gezeichnetem usw. findet restlos und ungelesen zu verbrennen.» Dieser Bitte kam Kafkas enger Freund Max Brod bekanntlich nicht nach. Warum, erschliesst sich der Besucherin bereits im unteren, ersten Teil der Ausstellung.
Dieser Anfang der Ausstellung ist wirklich gelungen. Kafkaesk, ein klein wenig zumindest, die Welt, die sich hinter einem schwarzen Vorhang eröffnet: Es ist Kafkas Gedankenwelt, gezimmert aus Tagebucheinträgen und Briefausschnitten.
Ein Auf und Ab, ein Hin und Her
Kafka notierte am 23. September 1912 euphorisch in sein Tagebuch: «Diese Geschichte «das Urteil» habe ich in der Nacht vom 22. zum 23. von 10 Uhr abends bis 6 Uhr früh in einem Zug geschrieben. Die vom Sitzen steif gewordenen Beine konnte ich kaum unter dem Schreibtisch hervorziehn. Die fürchterliche Anstrengung und Freude, wie sich die Geschichte vor mir entwickelte, wie ich in einem Gewässer vorwärts kam.» Dann, vier Monate später, verzweifelt in einem Brief an seine Verlobte Felice Baur: «Mein Roman! Ich erklärte mich vorgestern Abend vollständig von ihm besiegt. Er läuft mir auseinander, ich kann ihn nicht mehr umfassen.»
Von hinten werden Kafkas selbst notierte Tief- und Höhepunkte beleuchtet, sonst ist der Raum dunkel, die Wände schwarz, und an seinem Ende steht ein Spiegel, der die Düsternis immer beengender in die Ewigkeit wirft. Das Auf und Ab, das Hin und Her gehörten bei Kafka dazu. Er wollte schreiben, nur schreiben, doch es raubte ihm den Schlaf. Er störte sich an allem, was ihn vom Schreiben ablenkte, haderte mit dem Brotberuf, der ihn von seiner Passion fernhielt, und mit all den Ablenkungen, die ein Leben inmitten anderer Menschen nun einmal aufzubieten vermag.
Vor diesem Spiegel im schwarzen Gang wird der Mensch Franz Kafka greifbar. Gelingt der Zugang zu einem, dem es vor mehr als hundert Jahren nicht anders ging als auch heute vielen. Das Aufzeigen dieser immer wieder neu getroffenen Entscheidungen und Schwankungen erklärt, warum Max Brod dem Wunsch seines Freundes, sein gesamtes Werk zu vernichten, nicht nachkam. Zum Glück – denn damit wäre eine Tür ins Schloss gefallen, die bis heute so viele weitere aufgestossen hat.
«Kafka – Türen, Tod & Texte», Literaturmuseum Strauhof, Zürich, bis 12. Mai.