Die Berner gewinnen gegen den FC Lugano glückhaft 1:0 und sind plötzlich nur noch 5 Punkte von der Tabellenspitze entfernt. Dass die Verantwortlichen das Teamgefüge markant verändert haben, macht sich bezahlt.
Jaouen Hadjam kann Trainer zur Verzweiflung bringen. Der 21-jährige YB-Verteidiger aus Algerien hat etwas für die Super League Überdurchschnittliches, aber zwischendurch ist nicht nachzuvollziehen, was er beabsichtigt. Und manchmal setzt er zu 100 Prozent nicht das um, was der Trainer von ihm verlangt. Es geht auf und ab mit Hadjam, mal so, mal anders. Etwas zwischen genial, unberechenbar, unverständlich und wirr.
Am Sonntag entscheidet Hadjam in der Schlussphase den mässigen, zähen und von Taktik geprägten Match gegen den gefestigten FC Lugano mit dem Tor zum 1:0-Schlussresultat. Die Berner jubeln nach dem Treffer, als wären sie gerade Leader geworden, auch der Trainer Giorgio Contini eilt mit ausgestreckten Armen auf den Rasen.
YB ist noch immer da, YB ist wieder da, YB ist nur noch fünf Punkte von der Tabellenspitze entfernt.
Das spricht in Anbetracht der schlechten ersten Berner Saisonhälfte gegen das Rendement der Liga, die Konturen vermissen lässt. Aber das sagt auch etwas darüber aus, dass der Serienmeister an richtigen Schrauben zu drehen begonnen hat.
YB hat «Geschichten beendet»
Nach dem denkwürdigen Fehlstart und der Trennung vom Trainer Patrick Rahmen blieb unter dessen interimistischem Nachfolger Joël Magnin der Chefetage nicht verborgen, dass die sich über die Wochen hangelnde Mannschaft frische Luftzufuhr benötigt. Zu viele Personalien blockierten das System oder führten ihm negative Energie zu, zu oft war von möglichen Wechseln die Rede, von unerfüllten Ausland-Hoffnungen einiger Spieler, von zu wenig Leben und Bindung in der Spielerkabine. Es sei im Winter auch darum gegangen, «Geschichten zu beenden», sagt Christoph Spycher, der Spiritus Rector der Sportabteilung.
Der als Filou bekannte Senegalese Cheikh Niasse wechselte leihweise zu Hellas Verona, der Stürmer Silvère Ganvoula, der den seriellen und in Ungnade gefallenen Torschützen Jean-Pierre Nsame hätte ersetzen sollen, kam in Monza unter. Erstaunlich ist, dass der Tabellenletzte der Serie A für Ganvoula einen Millionenbetrag aufwarf. Sowohl Niasse wie Ganvoula kommen in ihren neuen Teams ohne Verzug zum Einsatz. Wie der Stürmer Meschack Elia, der leihweise in der Ligue 1 bei Nantes untergekommen ist.
Elia war zu Saisonbeginn einer der Faktoren, die das Team belasteten. Elia wollte den Weg gehen, den gerade in Bern viele Afrikaner gehen. Einfach weg von der Super League, irgendwohin, weiter, in eine höhere Lohnklasse. Der Kongolese erwarb sich bei YB zweifellos Verdienste, kam aber nicht mehr weiter und war 2024 zeitweise nur noch ein Schatten seiner selbst. Es wird von Eindrücken in der YB-Kabine berichtet, wonach Elia den Anschein erweckte, vom Klub aufgegeben worden zu sein. Oder je nach Sichtweise: Sich selbst aufgegeben zu haben.
Dazu kam die familiäre Erschütterung, als im Dezember der vierjährige Sohn Elias das Leben verlor. Das allein schrie nach einem Wechsel, Neuanfang. Gleicher Beruf, anderes Land, anderes Umfeld.
Das gab den Verantwortlichen Spielraum, den sie nicht ungeschickt nutzten, wie erste Eindrücke nahelegen.
Die Berner tätigen keine Alibi-Transfers
Wie in der YB-Tradition üblich kam eine namhafte Verstärkung aus Frankreich. Der 28-jährige Madagasse Rayan Raveloson soll im Mittelfeld eine Führungsrolle übernehmen und auch sonst Leadership einbringen, das in Bern während der Krise so sehnlichst vermisst worden war. Der Afrikaner soll laut Spycher ein «Referenzpunkt für andere Spieler werden».
Raveloson hat mit Auxerre vor allem Erfahrung in der französischen Ligue 2 und Ligue 1 gesammelt. Er kostete einen kleinen siebenstelligen Betrag, was bei YB vor dem Hintergrund der vielen Champions-League-Millionen sekundär ist.
Ein kleiner Coup ist die Rückkehr Christian Fassnachts, der sich im ersten Jahr in Norwich in der zweithöchsten englischen Spielklasse durchgesetzt hatte, aber in dieser Saison wegen des Abgangs des früheren YB-Trainers David Wagner und wegen Verletzungen kaum mehr zum Einsatz kam. Für den Offensivspieler löste YB 2023 einen Millionenbetrag, die Rückkehr kostet fast nichts. Der Vertrag des Spielers in Norwich wäre 2025 ausgelaufen.
Fassnacht kehrt in die Super League zurück – wie der Stürmer Chris Bedia, der im Januar 2024 für einen Millionenbetrag vom Servette FC in die Bundesliga zu Union Berlin weiterzog. Doch der Ivoirer kam auch darum nicht weiter, weil in Berlin Trainer- und Sportchefwechsel Veränderungen brachten.
Bedia wurde zu Hull City in die englische Championship ausgeliehen. Dort erzielte er in einer halben Saison so viele Tore (3) wie bei YB in vier Spielen. Bedia könnte zum wahrhaftigen Nsame-Erben werden. Anders als in den letzten Heimspielen gegen Yverdon (6:1) und den FC Sion (5:1) spielen Raveloson, Fassnacht und Bedia gegen Lugano keine wesentliche Rolle. Doch das ändert nichts an der Vermutung, dass sie den Bernern in der zweiten Saisonhälfte guttun werden.
Wenn die Champions League zur Last wird
Wer mit Christoph Spycher über den YB-Absturz spricht, merkt schnell, dass in der Chefetage des Klubs zahlreiche Gedanken gewälzt werden. Nur der Nivellierung gegen unten in der Liga ist geschuldet, dass YB überhaupt noch im Spiel ist. Spycher spricht von den vielen Verletzungen zu Saisonbeginn, vom Problem in der zentralen Abwehr, «das wir heute anders lösen würden».
Er nennt die Champions League, die zwar die Kasse füllt, aber sportlich für das selbst im Alltag wankende Team zur Last geworden ist. Er zählt die mangelhafte Resilienz im zuvor erfolgsverwöhnten Team auf und die Tatsache, dass auch Manchester City vor plötzlicher Labilität nicht gefeit ist – «ein Einbruch kann immer eine Realität sein, egal, was vorher gewesen ist».
Davon ist im Moment keine Rede mehr. Dank der wankelmütigen Konkurrenz, dank personellen Änderungen, dank etwas Wettkampfglück – und dank Hadjam, der die gute Seite seiner Medaille hervorkehrte.