Das IT-Unternehmen forscht seit 20 Jahren an robusten Quantenbits. Jetzt soll ein Durchbruch gelungen sein. Doch die präsentierten Belege dafür sind unvollständig.
Die Meldung klingt spektakulär. Am Mittwoch hat Microsoft einen neuartigen Quantenchip namens Majorana 1 vorgestellt, der auf topologischen Quantenbits beruht. Diese Quantenbits sind wesentlich weniger fehleranfällig als jene, die Firmen wie Google, IBM oder IonQ verwenden. Mit topologischen Quantenbits werde es deshalb möglich sein, schon in wenigen Jahren und nicht erst in Jahrzehnten Quantencomputer zu bauen, die sinnvolle Probleme lösen können, verspricht Microsoft.
Das Unternehmen spricht von einem entscheidenden Fortschritt und verweist auf eine Publikation, die am gleichen Tag im Fachjournal «Nature» erschienen ist. Dort ist allerdings weder von einem topologischen Quantenbit die Rede, geschweige denn von einem Chip mit mehreren solcher Bits. Stattdessen heisst es, die Ergebnisse seien ein bedeutender Fortschritt auf dem Weg zur Realisierung eines topologischen Quantenbits. Wo also steht Microsoft mit seiner Forschung?
Kleinste Störungen lassen Quantenzustände zerfallen
Unbestritten ist, dass topologische Quantenbits den Bau eines leistungsfähigen Quantencomputers enorm beschleunigen würden. Heutige Quantencomputer nutzen zur Speicherung von Informationen neutrale Atome, Ionen oder winzige supraleitende Schaltkreise. Diese Quantenbits können in Zustände versetzt werden, mit denen sich wesentlich effizienter rechnen lässt als mit den Zuständen eines herkömmlichen Bits. Die Hoffnung ist, dass man so eines Tages Probleme lösen kann, die selbst die heutigen Supercomputer überfordern.
Allerdings sind die heute verwendeten Quantenbits sehr fehleranfällig. Schon die kleinste Störung lässt die empfindlichen Quantenzustände zerfallen, und der ganze Vorteil gegenüber einem klassischen Rechner ist dahin. Der Trend geht deshalb dahin, viele Quantenbits zu einem logischen Quantenbit zusammenzufassen, das weniger fehleranfällig ist als die einzelnen Bits. Von Google wurde erst kürzlich gezeigt, dass dieser Weg erfolgversprechend ist. Er erfordert allerdings einen gewaltigen Überbau an Quantenbits, die nichts anderes tun als Fehler zu korrigieren.
Microsoft setzt schon lange auf einen anderen Weg. Die Firma versucht Quantenbits zu entwickeln, die von Natur aus robust sind und deshalb weniger oft korrigiert werden müssen. Dafür muss die Quanteninformation auf eine Art und Weise gespeichert werden, die immun gegen punktuelle Störungen ist. Man sagt dann auch, die Quanteninformation sei topologisch geschützt.
An solchen topologischen Quantenbits wird bereits seit Jahren geforscht. Die Grundidee besteht darin, einen halbleitenden Nanodraht in Kontakt mit einem Supraleiter zu bringen. Legt man parallel zum Draht ein Magnetfeld an, sollten sich an seinen Enden zwei Anregungszustände bilden. Man nennt diese räumlich getrennten, aber miteinander verbundenen Zustände Majorana-Zustände. Theoretisch eignen sie sich dazu, Quanteninformationen zu speichern.
In der «Nature»-Publikation demonstrieren die Microsoft-Forscher, wie sich die beiden Zustände 0 und 1 eines Quantenbits unterscheiden lassen. Sie können aber nicht ausschliessen, dass die gemessenen Unterschiede durch andere Effekte in dem Nanodraht vorgetäuscht wird, also gar nichts mit den robusten Majorana-Zuständen zu tun hat. Man könne beim Microsoft-Experiment daher noch nicht von einem topologischen Quantenbit sprechen, sagt der Festkörperphysiker Klaus Ensslin von der ETH Zürich.
Das hält Microsoft allerdings nicht davon ab, an die Öffentlichkeit zu gehen und zu behaupten, man habe eine entscheidende Hürde auf dem Weg zu einem fehlertoleranten Quantencomputer genommen. Wörtlich heisst es: «Heute haben wir das erste topologische Qubit der Welt demonstriert.»
Die Publikation sei bereits vor einem Jahr bei «Nature» eingereicht worden, erklärt Chetan Nayak, der bei Microsoft für die Entwicklung des topologischen Quantencomputers zuständig ist. Seither seien erhebliche Fortschritte erzielt worden. Man habe einen Chip mit acht topologischen Quantenbits entwickelt. Zudem habe man gezeigt, wie ein solches Bit in einen Zustand versetzt werden könne, der gleichzeitig die Werte 0 und 1 repräsentiert. Solche Überlagerungszustände unterscheiden ein Quantenbit von einem gewöhnlichen Bit, das nur einen dieser beiden Werte darstellen kann.
Diese weiterführenden Erkenntnisse seien diese Woche an einem Treffen mit mehr als hundert Wissenschaftern geteilt worden, sagt Nayak. Auch die Darpa sei von dem Konzept überzeugt. Die Behörde des amerikanischen Verteidigungsministeriums habe kürzlich entschieden, den Bau eines topologischen Quantencomputers zu fördern.
Stimmen die neuen Ergebnisse von Microsoft, wäre das tatsächlich ein grosser Fortschritt. Solange es jedoch keine Publikation gibt, lässt sich das nicht seriös beurteilen.
Selektive Präsentation von Daten
Microsoft hätte ahnen können, dass sein Vorgehen auf Skepsis stösst. Es wäre nicht das erste Mal, dass auf diesem Gebiet zu viel versprochen wird. Im Jahr 2018 hatte eine von Microsoft geförderte Arbeitsgruppe an der TU Delft eine Arbeit in «Nature» veröffentlicht, die starke Belege für die Existenz der Majorana-Zustände lieferte. Zwei Jahre später musste sie zurückgezogen werden. Eine Expertengruppe war zu dem Schluss gekommen, die Autoren hätten nur jene Daten präsentiert, die ihre Hypothese stützten. Daten, die Zweifel an der Erfolgsstory säten, seien weggelassen worden.
Microsoft hat die Zusammenarbeit mit der TU Delft inzwischen eingestellt. Seither findet die Forschung zum topologischen Quantencomputer vor allem in den Labors des Unternehmens statt.
In den letzten Jahren scheint Microsoft allerdings selbst an einem Erfolg gezweifelt zu haben. Parallel zur Erforschung der topologischen Quantenbits hat das Unternehmen in zwei Start-ups investiert, die auf herkömmliche Quantenbits setzen: Die Quantencomputer von Quantinum rechnen mit ionisierten Atomen, jene von Atom Computing mit neutralen Atomen. Mit beiden Partnern hat Microsoft in den vergangenen Monaten gezeigt, wie sich Fehler der Quantenbits erfolgreich reduzieren lassen. Ob ein topologischer Quantencomputer schneller zum Ziel führt, wird man erst beurteilen können, wenn Microsoft alle Daten veröffentlicht.
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