Mit neuem Chef will das Fintech Radicant der Basellandschaftlichen Kantonalbank endlich erfolgreich sein. Lokalpolitiker sind skeptisch, dass sich die Millioneninvestitionen für den Kanton lohnen.
Von der Zangengeburt zum Problemkind: Radicant, die digitale Bank im Besitz der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB), kommt nicht zur Ruhe. Vor kaum einem Jahr hat sie ihr digitales Angebot im Markt lanciert, doch das Fintech hat bisher vor allem für negative Schlagzeilen gesorgt. Nicht nur der kommerzielle Erfolg ist ausgeblieben, auch das Personalkarussell dreht sich bei der auf «Nachhaltigkeit» spezialisierten Digitalbank im hohen Tempo.
Zuletzt verliess im April der Mitgründer und Produktchef Rouven Leuener die Bank, auch der Leiter des Portfoliomanagements ging von Bord. Der dritte Gründer, Anders Bally, musste das Banken-Startup bereits im Februar 2023 verlassen. Bally hatte sich in einer internen E-Mail an Mitarbeitende abschätzig über Lokalpolitiker geäussert. Seither hat die BLKB Baselbieter Parlamentarier im Nacken, die das Radicant-Projekt kritisieren.
Millionenabschreiber bei BLKB nötig
Anfang Jahr wurde Anton Stadelmann als neuer Chef eingesetzt. Er soll das staatlich finanzierte Startup endlich in die Erfolgsspur bringen. In einer Übergangsphase hatte der abgetretene Leuener zusammen mit dem Finanzchef Roland Kläy die Neo-Bank geleitet, mit mässigem Erfolg. Der 41-jährige Stadelmann kommt von aussen, ist Spezialist für Zahlungsverkehr und war einst Co-Chef der erfolgreichen Bezahl-App Twint.
Die BLKB hat sich mit Radicant offensichtlich verkalkuliert. Für den Bankratspräsidenten Thomas Schneider verlief die operative Entwicklung von Radicant im Geschäftsjahr 2023 dagegen «nach Plan». Doch die Realität ist, dass die Staatsbank eine Wertberichtigung von 22 Millionen Franken auf Radicant vornehmen musste. Das entspricht den gesamten Personal- und Sachkosten.
Solche Abschreiber erfolgen in der Regel, wenn geringere Erträge erwartet werden als geplant. Das bedeutet, dass die ursprünglichen 90 Millionen Franken, welche die BLKB in ihre Digitaltochter investiert hat, nunmehr 68 Millionen wert sind. Vergangenes Jahr zirkulierten gar 150 Millionen Franken, welche die BLKB gesamthaft in Radicant stecken wolle. Von diesem Betrag will die Bank auf Anfrage nichts wissen.
Nach dem Abgang von Leuener räumte der BLKB-Bankrat und VR-Präsident von Radicant, Marco Primavesi, ein, dass sich das Fintech nach sechs Monaten im Markt in einer «Transformation» befinde. Strukturelle Anpassungen seien nötig, damit das Unternehmen wachsen könne. Diese Anpassungen muss der Twint-Mann Stadelmann nun vornehmen.
«Wir haben im April deutlich Stellen abgebaut. Die Kostenstruktur ist jetzt so schlank, wie ich sie haben will», sagt Stadelmann. Die Mitarbeiterzahl wurde um ein Fünftel auf 95 reduziert, wobei die BLKB als Ganzes insgesamt nur rund 900 Mitarbeitende zählt. Der Abbau erfolgte durch Kündigungen, freiwillige Abgänge und das Auslaufen von Zuliefererverträgen.
Von einem Neustart im engeren Sinne will Stadelmann nicht sprechen. Nachdem die Geschäftsleitung verkleinert und Prozesse vereinfacht worden seien, sei man nun schlanker und könne Produkte schneller am Markt einführen. So will Radicant im Frühsommer ein neues Vorsorgeprodukt für die Säule 3a lancieren. Eine Werbekampagne soll kommende Woche beginnen.
Radicant-Fonds: kaum Gelder
Kennzahlen wie die Höhe der Kundeneinlagen oder verwaltete Vermögen gibt Radicant keine bekannt. Das Geschäft scheint aber sehr harzig zu laufen. Gemäss Daten des Liechtensteinischen Anlagefondsverbands kommen die drei grössten Radicant-Fonds zusammen auf ein Gesamtvolumen von nur 12,4 Millionen Franken – das ist ein Bruchteil dessen, was nötig ist, damit sich ein Fonds finanziell rechnet.
Das Label «Nachhaltigkeit» allein genügt offenbar nicht, um jüngere Kunden zu motivieren, Geld in diese Vehikel zu investieren, zumal mittlerweile fast jede Schweizer Bank mit «grünen Produkten» für sich wirbt. «Bei den drei Fonds sind wir noch unter unserem Plan. Bei den Kundengeldern und der Anzahl Kunden sind wir im oder sogar über Plan unterwegs», sagt Stadelmann.
Auch hier gibt Radicant keine Details preis, doch dem Vernehmen nach haben vor allem attraktive Sparzinsen neue Gelder angelockt, so dass sich die verwalteten Vermögen dem dreistelligen Millionenbereich nähern, was aber noch lange nicht genügen dürfte, um rentabel zu sein.
Stadelmann ist überzeugt davon, dass auch die Anlageprodukte erfolgreicher sein können, wenn man sie besser erklärt. Radicant hat ein tiefes Verständnis von Nachhaltigkeit und Wirksamkeit ihrer Investitionen. Zusammen mit den attraktiven Konditionen bei Zinsen und Gebühren sei das ein «tolles Banking-Angebot», glaubt er.
Gleichzeitig ist für Stadelmann klar, dass das Geschäft stark von der Entwicklung der Kundengelder abhängt. Hier spricht er von einem positiven Trend. Dieser muss sich fortsetzen, will die Bank einst profitabel sein und der BLKB keine weiteren Abschreibungen bescheren. Etwa fünf Jahre nach dem Markteintritt strebt Radicant den Break-even an, das heisst in den Jahren 2027 oder 2028.
Radicant erhielt im August 2022 eine Banklizenz der Finma und operiert eigenständig von der BLKB mit eigener Positionierung und eigenem Markenauftritt. Ursprünglich richtete sich die Bank mit einem voll auf «Nachhaltigkeit» ausgerichteten Angebot an ein jüngeres Publikum.
Davon rückt Stadelmann ab. Da Radicant nun hybrid, also nicht nur online, sondern auch per Telefon, zugänglich ist, fühlen sich mehr grössere Kunden mit sechsstelligen Investitionen angezogen. Man sei bei der älteren Kundschaft ab 50 sehr beliebt, also bei der Generation X und der Babyboomer-Generation. So will Radicant neben klassischen Bankdiensten wie Kontoführung und Zahlungsverkehr auch im Asset Management und in der Vermögensverwaltung zu einer Adresse werden.
Ob das mit der angepassten Strategie gelingen kann, ist ungewiss. Stadelmann erinnert sich an seine Zeit bei Twint, als ebenfalls ein neues digitales Bankprodukt eingeführt werden sollte. Am Anfang sei der Widerstand immer gross. Auch damals hatte niemand auf das neue Angebot gewartet. Man müsse als junge Firma viel besser sein als die Konkurrenz, um die Massen anzuziehen.
Politiker fordern externe Prüfung
Für die BLKB begann Radicant als Prestigeprojekt und sollte neben der Beteiligung am Robo-Advisor True Wealth das digitale Aushängeschild der Staatsbank werden. Mit der erfolgreichen True Wealth ist das gelungen. Bei Radicant wird angesichts der Turbulenzen aber die Geduld einiger Baselbieter Politiker strapaziert. Zumal sich Radicant von Beginn weg mit ungeschickten Äusserungen über Politiker und ihr vermeintlich fehlendes digitales Verständnis auf Konfrontation gestellt hat.
Im Baselbieter Parlament haben der SVP-Fraktionschef Peter Riebli und der FDP-Landrat Stefan Degen Vorstösse bei der Regierung eingereicht mit Titeln wie «Wann wird Radicant profitabel?» oder «Schadensbegrenzung bei Radicant». Riebli reichte Fragen zur Strategie ein, zum Mittelzufluss und wollte wissen, wann der Break-even zu erreichen sei.
Auch will er wissen, ob es Zwischenziele gebe, bei deren Nichterreichung der Regierungsrat die «Reissleine» zöge. Die Abschreiber sind für ihn beunruhigende Signale. Die derzeit «schlechte finanzielle Entwicklung» werde nicht hinterfragt, schreibt Riebli und fordert die Einsetzung einer unabhängigen, externen Prüfung.
Degen hingegen stört sich an den unterschiedlichen Konditionen, die innerhalb des gleichen Konzerns etwa punkto Zinsen herrschen – so sind die Zinsen auf den Privat- und Sparkonti von Radicant deutlich höher als bei der BLKB.
Dort zeigt man sich bis jetzt gelassen. Denn wie bei allen Kantonalbanken brummt auch bei der BLKB dank höheren Zinsen derzeit das Geschäft. Der Gewinn stieg im vergangenen Geschäftsjahr um 17 Prozent auf rund 153 Millionen Franken, davon gehen fast 69 Millionen an den Kanton. Müsste das Radicant-Engagement weiter abgeschrieben werden, trifft das die Baselbieter Steuerzahler also im Portemonnaie.
Die BLKB-Führung baut das Bankgeschäft unbeirrt aus. Im Oktober soll der eigenständige Geschäftsbereich Wealth Management für Kunden mit mehr als einer Million Franken Vermögen den Betrieb aufnehmen. Dieser Bereich fasst aber zunächst nur bestehende Einheiten zusammen. Eine Managerin von der ZKB soll diesen zum Fliegen bringen.