Der Boom bei künstlicher Intelligenz hat in den USA ein Wetteifern um die besten Fachkräfte ausgelöst. KI-Spezialisten winken Gehälter von Hunderttausenden von Dollars plus üppige Aktienoption. Auch ganze Teams werden bisweilen abgeworben.
Amerikas Technologiesektor ist dafür bekannt, dass er sehr hohe Gehälter zahlt – doch der derzeitige Wettbewerb um Experten für künstliche Intelligenz hebt die Entlöhnungen in neue Sphären. Tech-Konzerne und Startups wetteifern gleichermassen um die besten Computerspezialisten, die grosse Sprachmodelle (sogenannte Large Language Models oder LLM) programmieren können, sich mit Problemen wie KI-Halluzinationen auskennen oder Erfahrung im Verkauf von KI-Softwarelösungen haben. Dabei treten sie in heftigen Wettbewerb untereinander – und mit Universitäten.
925 000 Dollar für einen KI-Ingenieur
Welch enorme Löhne KI-Experten inzwischen gezahlt werden, zeigt ein Blick in die Datenbank der Plattform Levels.fyi; dort können Angestellte freiwillig und anonym ihre Gehälter melden.
Das Mediangehalt von sechs KI-Ingenieuren, die bei Open AI angefangen haben, lag gemäss der Plattform bei 925 000 Dollar jährlich, Bonus und Aktienbezugsrechte inklusive. Der Facebook-Konzern Meta zahlte gemäss Levels.fyi 344 Experten für maschinelles Lernen und KI im Median 400 000 Dollar pro Jahr, ebenfalls inklusive Bonus und Aktienoptionen.
Demnach beträgt das Mediangehalt eines Softwareingenieurs mit KI-Fokus in den USA – als Summe aus Lohn und Aktienoptionen – zurzeit 251 000 Dollar. Gemäss den Analysen von Levels.fyi gibt es aber deutliche regionale Unterschiede: In San Francisco liegt es bei mehr als 315 000 Dollar, in der Region Denver bei nur 60 Prozent dessen. Eine globale Auswertung zeigt, dass in der Schweiz das Mediangehalt für das besagte Berufsprofil bei umgerechnet 197 000 Dollar liegt, in Irland hingegen bei 93 000 Dollar. Allerdings weist Levels.fyi auf Nachfrage darauf hin, dass aus anderen Ländern weniger Datenpunkte vorliegen als aus den USA.
Grundsätzlich zeige sich zurzeit, dass Kandidaten mit KI-Spezialisierung deutlich mehr verdienten als solche ohne diesen Fokus, schreibt die Plattform in einem jüngst veröffentlichten Bericht. Bei dem Karrierenetzwerk Linkedin etwa verdienen Ingenieure mit KI-Spezialisierung als Berufsanfänger 239 000 Dollar und solche ohne einen derartigen Schwerpunkt 221 650 Dollar. Die Gehaltsunterschiede würden im Laufe der Karriere immer grösser, heisst es in dem Bericht.
Open AI wirbt KI-Experten von Tesla ab
Nicht nur KI-Ingenieure profitieren von den gesteigerten Löhnen, sondern auch Fachkräfte, die in anderen Funktionen mit KI-Produkten arbeiten. So sei auch die Nachfrage nach Verkäufern von KI-Software enorm gestiegen, berichtet das «Wall Street Journal»: Kandidaten mit Erfahrung in diesem Bereich verdienten inzwischen doppelt so viel wie Verkäufer, die etwa Unternehmenssoftware vertrieben.
Für Firmen wird es immer schwieriger, ihre bestehenden KI-Experten zu halten. Ein entsprechender Spezialist bei Google erzählte dem «Wall Street Journal», dass er in den vergangenen Monaten spürbar mehr Angebote von Konkurrenzfirmen erhalten habe als in den Jahren zuvor. Google habe ihm jüngst einen Bonus in Form von zusätzlichen Aktien gezahlt, damit er nicht abwandere.
«Der Talentkrieg um KI ist der verrückteste Talentkrieg, den ich je gesehen habe», schrieb auch der Unternehmer Elon Musk jüngst auf der Plattform X. Mehrere KI-Experten, die in der von Musk geleiteten Automobilfirma Tesla gearbeitet hatten, haben in den vergangenen Monaten zu Open AI und zur Softwarefirma Salesforce gewechselt – und zu Musks eigenem neuem KI-Startup xAI.
Ethan was going to join OpenAI, so it was either xAI or them.
They have been aggressively recruiting Tesla engineers with massive compensation offers and have unfortunately been successful in a few cases.
— Elon Musk (@elonmusk) April 3, 2024
Insbesondere die KI-Firma Open AI gehe «Teslas Ingenieure aggressiv mit sehr hohen Entlöhnungsangeboten an», schrieb Musk auf X. «Leider waren sie in ein paar Fällen erfolgreich», weshalb Tesla die Gehälter seiner KI-Experten angehoben habe.
Startups bieten grosszügige Aktienoptionen an
Die üppigen Angebote für KI-Experten sind noch einmal bemerkenswerter, wenn man sich bewusst macht, dass die Tech-Konzerne in anderen Segmenten weiterhin Mitarbeiter entlassen – ein Trend, der bereits seit Ende 2022 anhält. Doch diese Entlassungen stellen auch Mittel frei, um den derzeitigen KI-Boom zu finanzieren.
Startups können meist nicht die gleichen exorbitanten Löhne bieten wie Tech-Konzerne, dafür aber üppigere Aktienoptionen offerieren. Im Versuch, die besten KI-Experten zu gewinnen, seien Jungfirmen bisweilen zu «extrem grosszügigen» Zugeständnissen bereit, sagte Alex Libre von der Rekrutierungsfirma Einstellen Talent, die sich auf KI-Experten und Startups spezialisiert, gegenüber «Business Insider». Er habe einen KI-Experten für maschinelles Lernen gesehen, der 4 Prozent der ausstehenden Aktien eines Startups erhalten habe, «das gab es vorher so noch nie».
Der Schweizer Daniel Graf, der seit zwanzig Jahren im Silicon Valley arbeitet und in Startups investiert, rät diesen davon ab, in einen Bieterwettbewerb um die besten KI-Talente zu treten. «Gegenangebote schaffen eine falsche Dynamik», sagt er. Den besten Leuten gehe es ohnehin nicht um jeden Dollar, sondern um Spass an der Arbeit.
Für Graf ist besonders bemerkenswert, wie gefragt plötzlich Forschende geworden sind. Lange Zeit habe «Researchern» der Ruf angehangen, etwas weltfremd zu sein, erzählt er. «Aber plötzlich stehen genau diese Leute im Zentrum des Geschehens.» Es gebe weltweit nur wenige Personen, die wirklich etwas von den der KI zugrunde liegenden «foundation models» verstünden – und diese Leute seien nun extrem begehrt.
Ganze Abteilungen werden abgeworben
Im globalen Wettrennen um die Vorherrschaft im Bereich KI geben sich manche Firmen nicht damit zufrieden, einzelne Experten abzuwerben, sondern machen ganzen Abteilungen Avancen.
Justin Kinsey, Präsident der auf die Halbleiterindustrie spezialisierten Rekrutierungsfirma SBT Industries, erzählte gegenüber dem «Wall Street Journal», dass ihn im vergangenen Jahr vier seiner Firmenkunden gebeten hätten, ganze Ingenieurteams von Konkurrenten abzuwerben. Die Idee dahinter ist, dass keine Zeit damit verlorengeht, dass sich Teams kennenlernen und sich aufeinander einspielen müssen.
«Was wir im globalen KI-Ökosystem, insbesondere in der SF Bay Area, beobachten, ist, dass ganze Teams angesprochen werden und ihnen angeboten wird, sie für das Fünf- bis Zehnfache ihres heutigen Gehaltpakets abzuwerben», sagt auch Philipp Stauffer, Mitgründer und Partner des Wagniskapitalgebers Fyrfly Venture. Das gelte insbesondere für KI-Ingenieure, die über umfassende Erfahrung beim Trainieren von KI-Modellen verfügten.
Allerdings wögen Aktien bei vielen dieser Angebote schwer, und die Bezugsrechte seien vielfach so strukturiert, dass es schwierig sei, das Unternehmen frühzeitig zu verlassen. Stauffer erzählt, er habe Fünfjahrespläne gesehen, bei denen alle Bezugsrechte erst am Ende des letzten Jahres griffen.
Millionen von Dollars für KI-Experten
Doch nicht nur unter Tech-Firmen, ob gross oder klein, ist ein Bieterwettbewerb um die besten KI-Experten ausgebrochen, sondern auch zwischen der Forschung und dem Privatsektor.
Die Schweizer Neurowissenschafterin Silvana Konermann, die unter anderem in Stanford als Assistenzprofessorin für Biochemie lehrt, erzählte jüngst an einem Anlass in San Francisco, wie KI-Experten an den Universitäten bisweilen «achtstellige Beträge» geboten bekämen. Ganze Forschungsteams würden von Tech-Firmen kontaktiert.
Der Investor Stauffer sagt, er fühle sich an die Zeit erinnert, als Uber vor ein paar Jahren das gesamte Robotikteam der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh abgeworben habe. «Aber jetzt ist es noch einmal extremer. Das alles wird sich irgendwann wieder normalisieren. Aber ich bin sicher, dass die jetzige extreme Nachfrage nach KI-Talenten länger dauern wird.»
Entsprechend gross ist das Interesse, sich im Bereich KI weiterzubilden. Die auf Wirtschaft spezialisierte Wharton School der Universität Pittsburgh bot jüngst in San Francisco eine viertägige Weiterbildung für Manager im Bereich generative KI und Geschäftstransformation an. Gemäss Medienberichten waren die 50 Plätze zu je 12 000 Dollar innert kürzester Zeit ausgebucht.