Der Schweizer Uhrenkonzern publiziert miserable Zahlen zum ersten Halbjahr. Die Börse reagiert harsch, der Aktienkurs fällt auf das tiefste Niveau seit vier Jahren.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
«Der Besitz der Aktien von Swatch Group bedeutet ein sehr langes Fegefeuer»: So urteilt Luca Solca, der langjährige Luxusgüteranalyst von Bernstein Research, in einer Kurzstudie über den Schweizer Uhrenkonzern.
Das ist eine Untertreibung.
Mit den heute Montag publizierten Zahlen zum ersten Halbjahr hat Swatch Group auf der ganzen Linie enttäuscht. Die Analysten hatten ohnehin schon geringe Erwartungen, aber dass der Geschäftsgang so schwach ausfallen würde, war doch noch eine Überraschung.
Entsprechend harsch fiel die Reaktion der Börse aus. Der Kurs der Inhaberaktien von Swatch Group fiel am Montagmorgen mehr als 10% auf unter 170 Fr. Das ist der niedrigste Wert seit vier Jahren, als die Weltbörsen in der ersten Schockreaktion auf den Ausbruch der Covid-Pandemie eingebrochen waren.
Allein seit Beginn des laufenden Jahres haben die Titel von Swatch Group rund 25% an Wert eingebüsst, während der Aktienkurs der Rivalin Richemont mehr als 20% gewonnen hat.
Marktanteile verloren
Swatch Group hat im ersten Halbjahr einen Umsatz von 3,45 Mrd. Fr. erwirtschaftet, gut 14% weniger als in der Vorjahresperiode. In Lokalwährungen beträgt der Umsatzrückgang 10,7%. Er ist primär eine Folge der extrem schwachen Nachfrage aus China, Hongkong und Macau. In den USA konnte das hohe Umsatzniveau des Vorjahres gehalten werden, in Japan nahmen die Verkäufe 30% zu.
Doch ungeachtet der Lichtblicke in den USA und Japan ist der Einbruch der Einnahmen besorgniserregend: Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019, vor Ausbruch der Pandemie, ist der Umsatz des Konzerns 16% gesunken, rechnet Patrik Schwendimann, Analyst der Zürcher Kantonalbank, vor. Das ist deshalb relevant, weil die gesamten Schweizer Uhrenexporte im gleichen Zeitraum fast 19% gestiegen sind. Swatch Group hat im Vergleich zur schweizerischen Konkurrenz also signifikant Marktanteile verloren.
Der Betriebsgewinn auf Stufe Ebit fiel im ersten Halbjahr um mehr als 70% auf 204 Mio. Fr., die entsprechende Marge erreichte bloss noch 5,9%. Unter dem Strich weist Swatch Group 147 Mio. Fr. Gewinn aus, verglichen mit 498 Mio. Fr. in der Vorjahresperiode.
Das Management unter CEO Nick Hayek weist darauf hin, dass der Einbruch des Gewinns bewusst in Kauf genommen wurde. Man habe weiterhin in die Markenpflege investiert, und Swatch Group habe darauf verzichtet, in der Produktion im Personalbestand zu sparen. Hayek wollte keine Leute entlassen.
Als Resultat hat Swatch Group weiter auf Halde produziert: Der Wert des Lagerbestandes stieg im ersten Halbjahr gut 5% auf etwas mehr als 7,7 Mrd. Fr.
«Der Halbjahresabschluss war in allen Aspekten unschön – starke Massnahmen sind erforderlich», schreibt Jean-Philippe Bertschy, Analyst von Vontobel, in einer Kurzstudie.
In achtzehn Monaten mehr als 1 Mrd. Fr. verbrannt
Das schwierige Umfeld für Luxusgüterhersteller in China ist seit Monaten bekannt und stellt für die Finanzmärkte keine Überraschung mehr dar. Der französische Branchenkoloss Kering hat die Märkte bereits im Frühjahr aufgeschreckt. Verbessert hat sich in China seither nichts, eher im Gegenteil: Im Juni sind die Detailhandelsverkäufe im Vergleich zum Vorjahr nur um 2% gestiegen. «Die Reichen in China werden angehalten, ihren Reichtum nicht mehr so offen zur Schau zu stellen. Das bekommt zum Beispiel Porsche zu spüren, die Luxusgüternachfrage generell leidet», sagte Jörg Wuttke, ehemaliger Präsident der EU-Handelskammer in China, im Interview mit The Market.
Doch es wäre falsch, den schwachen Halbjahresabschluss von Swatch Group nur mit dem Umfeld im wichtigen Markt China zu erklären. Die Zahlen – und die enttäuschte Reaktion der Börse – sind vor allem eines: ein Ausdruck von Missmanagement an der Spitze von Swatch Group.
Es mag ehrbar klingen, dass CEO Hayek auf Kürzungen in der Produktion verzichten wollte, um keine Stellen abzubauen. Aber die Strategie, den Lagerbestand immer weiter aufzubauen, zeugt von Sturheit und fehlendem Weitblick.
Diese Managementfehler haben Konsequenzen: Die Nettoliquidität in der an sich kerngesunden, schuldenfreien Bilanz wird per Ende Juni 2024 noch mit 1,43 Mrd. Fr. ausgewiesen. Ende 2022 hatte die Nettoliquidität noch 2,5 Mrd. Fr. Innerhalb von achtzehn Monaten hat Swatch Group rund 1,1 Mrd. Fr. mit der Aufblähung des Umlaufvermögens und operativem Cash-drain verbrannt.
Wie werthaltig der Lagerbestand ist, lässt sich von aussen kaum eruieren, da Swatch Group nach Swiss Gaap Fer abschliesst und dieser Buchführungsstandard in diesem Bereich breiten Ermessensspielraum in der Bewertung bietet.
Neuer Tiefpunkt erreicht
Dass sich CEO Nick Hayek um die Meinung der Analysten und der Aktionäre von Swatch Group foutiert, ist hinlänglich bekannt. Ebenso bekannt ist die Tatsache, dass die Aktionärsfamilien Hayek und Ammann das Unternehmen als ihren Privatbesitz erachten, obwohl sie bloss 43,3% der Stimmrechte und gut 25% des Kapitals kontrollieren. Von den Publikumsaktionären haben die Familienmitglieder an der jüngsten Generalversammlung einen entsprechend Denkzettel verpasst erhalten.
Ebenso bekannt ist, dass sich Hayek nicht um die Pflichten und Gepflogenheiten einer kotierten Gesellschaft kümmert. So stellt sich mir beispielsweise die Frage, weshalb Swatch Group nicht früher vor dem schlechten Geschäftsgang im ersten Halbjahr gewarnt hat. Die Regulierungsbehörde der SIX Swiss Exchange sollte meiner Ansicht nach prüfen, ob Swatch Group die Vorschriften zur Ad-hoc-Publizitätspflicht verletzt hat.
Wie gesagt: Alle diese Themen sind bekannt. Trotzdem hat Swatch Group mit diesem Abschluss einen neuen Tiefpunkt als Publikumsgesellschaft erreicht. Egal, über welchen Zeitraum man die Leistung des Unternehmens mit seiner Konkurrentin Richemont vergleicht, das Resultat sieht für Hayek erbärmlich aus.
Deep Value – und Value Trap
Es gibt nur einen einzigen Grund, die Aktien von Swatch Group zu halten und sich diesem Fegefeuer weiterhin auszusetzen: Die Titel sind sehr günstig bewertet. Das Cashpolster, der Lagerbestand (sofern er werthaltig ist) sowie die Immobilien im Besitz der Gruppe sind deutlich mehr wert als die gegenwärtige Marktkapitalisierung. Die meisten Analysten kommen deshalb auf einen fairen Wert von mindestens 200 Fr. je Inhaberaktie.
Swatch Group ist «Deep Value». Es ist aber eben auch eine Falle, eine «Value Trap». Denn solange CEO Nick Hayek und VR-Präsidentin Nayla Hayek nicht realisieren, dass ihr Management dem Unternehmen schadet – der CEO sich in seiner Rolle als Kritiker der Analysten und Investoren sogar noch zelebriert und sich von einzelnen Schweizer Medien feiern lässt –, wird sich an der operativen Leistung nichts ändern.
Ich sehe nur drei Szenarien, die eine deutliche Kursbelebung auslösen könnten: Erstens ein grosses, umfassendes Konjunkturprogramm in China, das spezifisch auf die Stützung des Konsums abzielt. Zweitens die Einsicht der Familie Hayek, dass ein kompetenter, professioneller CEO Swatch Group führen sollte. Oder drittens ein faires Übernahmeangebot der Familien Hayek und Ammann an die Publikumsaktionäre für ein Going Private, damit sie Swatch Group danach tatsächlich als ihren Privatbesitz behandeln dürfen.
Leider ist die Wahrscheinlichkeit für alle drei Szenarien gering.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Mark Dittli