Am Ende der Saison wird Andres Ambühl seine Karriere beenden: ob im Dress des HCD oder im Nationalteam, ist noch offen.
Er ist Büeli, einfach Büeli. Andres Ambühl, geboren am 14. September 1983 in Davos, Sohn eines Bergbauern aus dem wild-idyllischen Sertigtal. Mehr gebe es zu ihm eigentlich nicht zu sagen, findet er selber. Oder doch?
Wenn man Andres Ambühl direkt fragt, dann zuckt er mit dem Schultern. Dabei ist er eine Institution im Schweizer Eishockey. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er einfach da. Und übersehen kann man ihn ohnehin nicht. Dafür ist sein Stil, Eishockey zu spielen, die Art, wie er sich auf dem Eis bewegt, zu augenfällig.
Andres Ambühl ist ein Energiepaket, ein Ausbund an Kraft und Leidenschaft. Auch heute noch, da er auf seinen 42. Geburtstag zugeht. Wenn er diesen im Herbst feiern wird, dann wird es ihn als Eishockeyspieler nicht mehr geben. Höchstwahrscheinlich nicht.
Die Fans des HC Davos können sich Ambühls Abgang kaum vorstellen
Wird es überhaupt einen Eishockey-Alltag nach Andres Ambühl geben? Natürlich wird es das, auch wenn sich das vor allem auch die eingeschworene Anhängerschaft des Bündner Traditionsklubs momentan wohl kaum vorstellen kann. Marc Gianola ist Geschäftsführer des HCD, und vor allem war er ein langjähriger Teamkollege von Ambühl. «Ich nahm ihn zum ersten Mal richtig wahr, als ihn Arno Del Curto mit auf unsere Mannschaftsreise nach München nahm. Das war noch, bevor er seine erste volle Saison in der ersten Mannschaft bestritt. Später sass er neben mir im Auto, als er fahren lernen durfte.»
Gianola ist selber ein Urgestein und eine Symbolfigur des HCD, auch wenn er seine Wurzeln ursprünglich in der Talschaft auf der anderen Seite des Flüela hatte. Der Verteidiger kam 1993 als Junior aus dem Engadin zum HCD und verliess den Klub danach nie mehr. Gianolas 5 hängt als eine von bisher 13 Rückennummern, die als Tribut an ihren ehemaligen Träger nicht mehr vergeben werden, unter dem Stadiondach. Auch Ambühls 10 wird dereinst ihren Platz dort finden.
Der HCD führt solche Ehrungen jeweils zu Beginn der neuen Saison durch. Im Moment gilt die ganze Aufmerksamkeit den nahenden Play-offs. Umso mehr überraschte der Zeitpunkt, zu dem der Klub das Karriereende von Ambühl kommunizierte.
In einer Videobotschaft wandte sich der Spieler selber an den Davos-Anhang und sagte: «Liebe Fans, seit längerer Zeit habe ich mir über meine Zukunft Gedanken gemacht. (. . .) Nun bin ich zum Entschluss gekommen, dass die laufende Saison meine letzte ist. Wir konnten zusammen viele extrem hübsche, coole Zeiten erleben. Jetzt geben wir noch einmal Vollgas – wir auf dem Eis und ihr auf der Tribüne in der Kurve.»
Ambühls Entscheid war schon vor einiger Zeit gefallen. Ursprünglich hatten der HCD und der Spieler beabsichtigt, diesen nach der Saison publik zu machen. Doch Gianola sagt, weil man einen Entscheid wie diesen kaum über längere Zeit unter Verschluss halten könne, habe man sich entschlossen, schon jetzt an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Fragen über Ambühls Zukunft hätten an Dringlichkeit gewonnen, je näher das Saisonende gerückt wäre. «Nun haben Büeli und seine vielen Anhänger noch einmal Zeit, voneinander Abschied zu nehmen», sagt Gianola.
Ein Teil der Davoser Meister-Dynastie
Abschiednehmen? Das passt eigentlich nicht zu Andres Ambühl und der Art, wie er während seiner langen Karriere auf und neben dem Eis aufgetreten ist. Er hat sich selbst nie zu wichtig genommen. Er war ein Leader im besten Sinne des Wortes, ein Spieler, der mit Leistungen auf dem Eis und nicht mit grossen Worten daneben vorangegangen war.
Arno Del Curto hat sein Potenzial früh erkannt und Büeli in seine Mannschaft integriert. Der Naturbursche aus dem Sertigtal traf dort auf einen harten Spielerkern, dem neben Gianola andere charismatische Figuren wie die Brüder von Arx, Sandro Rizzi, Beat Forster oder der jetzige Nationaltrainer Patrick Fischer angehört hatten.
Um diesen harten Kern herum baute Del Curto jene Mannschaft auf, die das Schweizer Eishockey über ein Jahrzehnt lang dominierte und insgesamt fünf Meistertitel gewann. Bei vier dieser Meisterschaften war Andres Ambühl dabei, jene 2011 verpasste er, weil er sich vorübergehend in Nordamerika und nach seiner Rückkehr in die Schweiz bei den ZSC Lions versuchte, mit denen er 2012 ebenfalls Meister wurde.
Del Curto sagt, das Potenzial von Andres Ambühl sei leicht zu erkennen gewesen. «Er hat sofort eingeschlagen. Büeli trug jene Siegermentalität in sich, ohne die unsere Erfolge damals wohl kaum möglich gewesen wären.»
Andres Ambühl ist vom scheuen Neuling der frühen 2000er Jahre zu einer Respektfigur in der ganzen Liga geworden. Verehrt wird er nicht nur vom Davoser Anhang. Im vergangenen Herbst, nur wenige Tage nach seinem 41. Geburtstag, bestritt er in einem Heimspiel gegen den SC Bern seinen 1270. Match in der National League und übertraf damit den bisherigen Rekord des Berner Verteidigers Beat Gerber. Dazu ist er auch Rekord-Nationalspieler und weltweit der Spieler mit den meisten WM-Teilnahmen (19).
Von der «NZZ am Sonntag» darauf angesprochen, was ihm denn all diese Zahlen bedeuten, antwortete Ambühl: «Eigentlich habe ich noch gar nicht richtig darüber nachgedacht. Aber natürlich ist es hübsch, auf einer Stufe mit Mathias Seger oder Beat Gerber zu stehen. Es freut mich aber auch für all jene Menschen in meinem Umfeld, die dazu beigetragen haben, dass meine Karriere schon so lange dauert.»
Ambühl, Gerber, Seger – sie alle stehen für eine Tugend und Eigenschaft, die im heutigen Profi-Sport kaum noch eine Bedeutung hat: Klubtreue. Auch er hatte seine sportliche Heimat einmal für kurze Zeit verlassen. Nach der Rückkehr zum HCD sagte er, die Erfahrungen, die er in Nordamerika und auch in Zürich gemacht habe, seien wichtig für seine Entwicklung als Spieler, aber auch als Mensch gewesen. «Doch nun weiss ich wieder, wo ich hingehöre.»
Ambühl ist ein Davoser, von Kopf bis Fuss, und er wird das auch über sein Karriereende hinaus bleiben. Gianola sagt, man evaluiere momentan, welche Rolle künftig am besten zu Ambühl passe. «Er wird keine Lücke hinterlassen, weil er den Klub nicht verlassen wird. Er bleibt ein Teil des HCD.»
Eine letzte WM für den Rekordspieler?
In Davos hat man aus begangenen Fehlern gelernt. Das unschöne Ende der Karrieren von Reto und Jan von Arx verfolgt den HCD bis heute. Arno Del Curto wollte den Center Reto zum Verteidiger umfunktionieren und dem jüngeren Bruder Jan keinen Vertrag mehr geben. Daran zerbrach eine langjährige Männerfreundschaft. Anfänglich wollten sich die beiden nicht einmal mehr bei der Ehrung und dem Rückzug ihrer Trikot-Nummern im Stadion zeigen.
Ambühl wird bestimmt zu seiner Ehrung kommen. Doch wer weiss, vielleicht wird er im kommenden Frühjahr noch einmal für ein WM-Turnier in die Nationalmannschaft zurückkehren. Im Herbst hatte er gesagt: «Man bekennt sich nicht zum Nationalteam, das Nationalteam ruft einen. Solange ich aufgeboten werde, werde ich mich auch zur Verfügung stellen.» Für diesen letzten Tanz würde der Dauerläufer des Schweizer Eishockeys noch Kräfte finden. Garantiert.
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