Auf dem Vierwaldstättersee starten und landen. Das ist ein seltenes, aber spektakuläres Vergnügen für Wasserflugzeugpiloten und -passagiere.
Das kleine Wasserflugzeug vor der Uferpromenade des Seehotels in Hergiswil schaukelt leicht vor sich hin. Der Pilot hat gerade seinen Platz vorne eingenommen, hinter ihm sitzt bereits ein erwartungsvoller Passagier. Sobald sich der Propeller zu drehen beginnt, heisst es aufpassen und vorausschauend agieren. Bremsen kann ein Wasserflugzeug nicht. Durch kleine Ruder hinten an den beiden Schwimmern lässt es sich im Wasser aber recht gut manövrieren.
Die Abläufe auf dem Vierwaldstättersee vor Hergiswil sind für die Piloten eigentlich schon Routine. Denn jedes Jahr dürfen hier an einem langen Sommerwochenende, diesmal Ende August, Wasserflugzeuge starten und landen. Der Zweisitzer steuert nun im Schneckentempo Richtung Seemitte. Noch ein Blick, ob die Startstrecke auch wirklich hindernisfrei ist. Wenig später erhebt sich die Maschine elegant vom Wasser in die Luft.
Am Ufer in Hergiswil sitzen zur gleichen Zeit einige der insgesamt rund 160 Mitglieder der 1999 gegründeten Seaplane Pilots Association Switzerland, kurz Spas, als Veranstalter des Events zusammen. Auf Bildschirmen und Karten haben alle die aktuellen Wetter- und Luftfahrtinformationen rings um den See vor sich. Durch ein portables Funkgerät stehen sie mit ihren Pilotenkollegen der Wasserflugzeuge in Verbindung und versorgen diese mit allen notwendigen Informationen.
Allerdings entscheidet jeder Pilot auf dem Wasser eigenverantwortlich, in welche Richtung er startet und ob Wellengang, Wind oder Schiffsverkehr für ihn akzeptabel sind. Es gibt keine vorgeschriebene Start- oder Landerichtung wie etwa an einem Flugplatz. Deshalb heisst es aber auch, besondere Vorsicht walten zu lassen. Denn von überallher können auf dem Vierwaldstättersee an diesem heissen Augustwochenende Boote oder Surfer auftauchen. Und zudem ist der geschützte Luftraum für den an- und abfliegenden Verkehr am Flugplatz Buochs sehr nah.
Wetter, Sicht und Wellengang sind am ersten Tag des Treffens optimal. Die teilnehmenden Piloten fühlen sich hier vor Pilatus und Stanserhorn als Kulisse wie im Paradies. Der alljährliche Anlass auf dem Vierwaldstättersee gilt in Fliegerkreisen als Leckerbissen.
Ein Flugzeugtyp eignet sich besonders gut auf dem Wasser
Die meisten der Teilnehmer des Spas-Treffens verwenden Flugzeuge des Typs Super Cub des amerikanischen Herstellers Piper. Dieser Klassiker steht normalerweise auf einem Radfahrwerk. Die Super Cub ist neben der Cessna 172 und der Beechcraft Bonanza das Einmotorflugzeug mit der längsten Produktionsdauer. Und sie war über fast fünf Jahrzehnte Bauzeit auch deshalb so erfolgreich, weil sie hervorragende Flugeigenschaften besitzt. So liegt sie ohne Lenkeingriff stabil in der Luft und ist gutmütig zu fliegen. Zudem kann sie sehr langsam unterwegs sein. Erst bei weniger als 80 Kilometern pro Stunde reicht der Auftrieb nicht mehr zum Fliegen aus.
Alles im Tandemsitzer lässt sich intuitiv bedienen. Diese gutmütigen Flugeigenschaften machen die seit den 1950er Jahren gebaute Super Cub nach dem Umbau vom Räderwerk auf Schwimmer auch zum idealen Trainingsgerät für den Wasserflug. Mehr als 30 000 Exemplare wurden hergestellt. Ersatzteile und Zubehör sind daher problemlos zu finden. Die 150 PS starke Maschine braucht etwa 35 Liter Flugbenzin vom Typ Avgas in der Stunde.
Weitere Flugzeuge sind Ecolights vom Typ Savannah S des italienischen Herstellers ICP. Bei ihnen sitzen Pilot und Passagier anders als bei der Piper nicht hintereinander, sondern nebeneinander. Mit ihren 100-PS-Rotax-Triebwerken benötigen sie lediglich 15 Liter Autobenzin je Stunde.
Die Flugzeuge haben sogenannte Amphibienschwimmer. Bei diesen lässt sich zusätzlich aus dem Schwimmer ein Radfahrwerk ausfahren, so dass die Maschinen sowohl auf Wasser als auch auf Asphalt- oder Graspisten starten und landen können.
Freiheit erleben durch die Möglichkeit, überall jede Wasserfläche zu nutzen – das ist der ultimative Pilotentraum, auch wenn das in der Schweiz anders als etwa in Nordamerika nur an wenigen Events auf genehmigten Wasserflächen möglich ist.
Zumindest im nahen Italien kommt ein Wasserflugzeugpilot seinem Idealzustand aber nahe. Dort ist diese Form des Fliegens weiter verbreitet, man darf etwa auf dem Comersee und teilweise auch im Meer starten und landen.
Nicht ohne Bootsschein
Alle Teilnehmer am Vierwaldstättersee haben neben ihrer Privat- oder Berufspilotenlizenz zusätzlich eine Wasserflugberechtigung, das sogenannte Seaplane Rating. Mitfliegen darf nur, wer mindestens 50 Flugstunden in Wasserflugzeugen und 200 Wasserlandungen vorweisen kann. Ebenfalls Voraussetzung ist eine bestandene Theorieprüfung des Motorbootführerscheins. Denn auf dem See gilt ein Wasserflugzeug als Boot.
Doch zum Wasserflieger wird ein Pilot nicht automatisch. Wer das obligatorische Wasserflug-Rating absolvieren will, sollte etwa 10 Flugstunden und einige Tage Zeit dafür einplanen. Es gibt zudem einen mündlichen Theorietest sowie einen Prüfungsflug mit einem sogenannten Wasserflug-Examiner. Das geht in speziellen Flugschulen, etwa an der deutschen Ostseeküste und am Fluss Mosel. Oder bei den südlichen Nachbarn im italienischen Aeroclub Como.
Um niemanden zu stören, befolgen die Wasserflieger laut dem Spas-Präsidenten Heinz Sägesser Auflagen der Gemeinde Hergiswil, des Kantons Luzern und des Bundesamts für Zivilluftfahrt. So dürfen an jedem der drei Meeting-Tage maximal hundert Wasserstarts absolviert werden. Die Flugpause am Mittag von 12 bis 13 Uhr 30 wird strikt eingehalten. Abends startet ebenfalls keiner mehr.
Der Mindestabstand bei Start und Landung zum Ufer beträgt 300 Meter. Sogar ein erfahrener Rettungstaucher ist bei den Spas-Treffen mit dabei, falls es doch einmal zu einem Vorkommnis auf dem See kommen sollte. In Hergiswil ist die Spas-Veranstaltung gleichzeitig ein «Hans-Fuchs-Memorial-Fly-in». Mit dem Titel wird des einstigen Gletscherpiloten gedacht. Der 2015 verstorbene Chef des familiengeführten Hotels, das als Veranstaltungsort diente, war engagierter Förderer der Wasserfliegerei in der Schweiz.
Mitflüge sind für jedermann möglich
Wer selbst kein Pilot ist, kann in Hergiswil trotzdem mitfliegen. Ein 20-Minuten-Mitflug kostet 170 Franken. Wir haben den Selbstversuch gewagt: Jeder Passagier bekommt zuerst die vorgeschriebene Schwimmweste umgeschnallt und erhält eine Einweisung in das sichere Verhalten an Bord. Dann macht sich der Pilot per Schlauchboot mit seinem Gast auf den Weg zur Piper Super Cub. Vom voluminösen Schwimmer aus klettern beide in die Kabine.
Jetzt arbeitet der Pilot die Checkliste ab. Hauptschalter für die Stromversorgung ein, Tankwahlschalter auf den volleren der beiden Flächentanks stellen, Gashebel auf Leerlauf, Anlasser betätigen. Der Lycoming-Vierzylinder fängt an zu zünden. Hat der luftgekühlte Boxermotor seine Betriebstemperatur erreicht und ist das Flugzeug für den Start bereit, werden die Landeklappen für den Start auf die erste Stufe ausgefahren.
Kurz noch Seiten-, Quer- und Höhenruder auf Freigängigkeit überprüfen. Jetzt den Gashebel nach vorn. Die Super Cub wird schneller. Sie gleitet bereits wenige Sekunden später wie ein Tragflächenboot übers Wasser. Kurz darauf hebt sie mit etwa 90 Kilometern pro Stunde ab.
Nach einem Rundflug über den See und die Stadt Luzern heisst es knapp zwanzig Minuten später wieder aufsetzen. Die Geschwindigkeit wird deshalb auf etwa 110 Kilometer pro Stunde reduziert. Landeklappen auf erste Stufe. Jetzt visiert der Pilot die vorgesehene Fläche an, schaut, ob dort keine Gegenstände schwimmen oder Boote kreuzen. Nun mit etwa 90 Kilometern pro Stunde in möglichst flachem Winkel zur Wasseroberfläche aufsetzen. Anschliessend tuckert das Flugzeug wie ein Motorboot an seine Boje vor Hergiswil.
Im September gibt es noch jeweils ein Seaplane-Event-Wochenende am Walen- und am Neuenburgersee. Danach gehen zumindest in der Schweiz die Spas-Wasserflugzeuge bis zur nächsten Saison in den Winterschlaf.