Die Raumfahrt wird wichtiger. ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher will die Europäische Weltraumorganisation daher neu positionieren und die Beziehungen zur EU stärken.
Herr Aschbacher, viele Menschen sehen im Weltraum eine Spielwiese für reiche Unternehmer mit einem grossen Ego. Was antworten Sie denen?
Wer so denkt, unterschätzt die Bedeutung des Weltraums. Die Satelliten im Weltraum tragen ganz wesentlich zum Funktionieren unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft bei. Ich nenne ein paar Beispiele. Die Wettervorhersage basiert zu mehr als 70 Prozent auf Daten von Wettersatelliten. Auch die Telekommunikation und die Navigation würden ohne Satelliten nicht funktionieren. Oder denken Sie an die Klimaforschung, die sich ebenfalls auf Daten von Erdbeobachtungssatelliten stützt. Ohne Satelliten kann man den heutigen Lebensstandard nicht halten. Und um diese Satelliten in den Weltraum zu befördern, braucht Europa eigene Raketen.
Zur Person
Josef Aschbacher, Generaldirektor der ESA
Josef Aschbacher ist seit 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation. In dieser Funktion verwaltet er ein Budget von sieben Milliarden Euro jährlich. Der gebürtige Österreicher arbeitet seit 2001 in verschiedenen Funktionen für die ESA. Bevor er das Amt des Generaldirektors antrat, leitete er das weltraumgestützte Erdbeobachtungsprogramm. Aschbacher ist die treibende Kraft hinter dem Reformprogramm Agenda 2025, das Europas Rolle in der Raumfahrt stärken soll. Seine Amtszeit wurde kürzlich um vier Jahre verlängert.
Sie spielen auf die Ariane 6 an, die kürzlich erstmals erfolgreich gestartet ist. Sie machten nach dem Start einen sehr erleichterten Eindruck. Hatten Sie sich überlegt, was Sie im Falle eines Scheiterns gesagt hätten?
Absolut, aber ich kann es Ihnen nicht sagen. Es ist Teil unserer Arbeit, dass wir uns für jeden möglichen Fall überlegen, wie wir kommunizieren würden. Was ich gesagt hätte, hätte davon abgehangen, wo das Unglück passiert wäre, ob am Boden oder im Flug. Aber zum Glück muss ich mir jetzt keine Gedanken mehr über solche Negativszenarien machen. Der Erstflug der Ariane 6 ist sehr erfolgreich gelaufen. Damit hat Europa seinen strategischen Zugang zum Weltall zurückerlangt.
Die Ariane 6 ist mit vier Jahren Verspätung gestartet. Da ist offensichtlich einiges schiefgelaufen.
Als ich vor drei Jahren Generaldirektor der ESA wurde, habe ich meine volle Energie darauf verwendet, den Start der Ariane 6 so schnell wie möglich zu bewerkstelligen. Noch am ersten Tag meines Amtsantritts habe ich den Generalinspektor der ESA damit beauftragt, eine Analyse durchzuführen, wo wir stehen. Die hat ein ziemlich klares Bild geliefert. Zum einen gab es technische Probleme. Zum anderen funktionierte die Zusammenarbeit mit der Industrie nicht so gut. Gemeinsam haben wir es geschafft, die Probleme zu lösen. Aber das ging nicht vom einen Tag auf den anderen.
Sie erwähnten bereits, dass Europa nun wieder einen autonomen Zugang zum Weltraum hat. Ist Autonomie wirklich so wichtig?
Autonomie ist viel weiter zu sehen, nicht nur in Bezug auf die Transportraketen. Mit Galileo haben wir über Jahrzehnte ein autonomes Navigationssystem aufgebaut, unser Erdbeobachtungssystem Copernicus gehört zu den besten der Welt. Diese Satelliten machen uns unabhängig von anderen Ländern. Die Ariane 6 ist das Mittel zum Zweck, die Autonomie Europas im Weltraum sicherzustellen.
Ist es für Satellitenbetreiber letztlich nicht egal, mit welcher Rakete ihr Satellit in den Weltraum befördert wird? Die Betreiberin von europäischen Wettersatelliten, Eumetsat, hat kurz vor dem Erstflug der Ariane 6 bekanntgegeben, ihr nächster Wettersatellit werde mit einer Rakete von SpaceX fliegen.
Das müssen Sie Eumetsat fragen. Die Entscheidung wurde nicht von mir getroffen. Ich will das deshalb nicht weiter kommentieren. Aber ich war über den Zeitpunkt überrascht, an dem die Entscheidung getroffen und kommuniziert wurde.
Gibt es Überlegungen, dass Satelliten von europäischen Organisationen zwingend mit europäischen Trägerraketen ins All befördert werden müssen?
Es gibt solche Diskussionen, allerdings nicht bei der ESA. Wir sind keine Regulierungsbehörde. Solche Diskussionen werden in Brüssel geführt, im Rahmen des europäischen Weltraumgesetzes. Persönlich begrüsse ich eine solche Regelung. Als Vertreter einer europäischen Agentur habe ich ein Interesse daran, dass europäische Steuergelder in Europa ausgegeben werden.
Sie haben vorhin erwähnt, dass Sie am Anfang Ihrer Amtszeit eine Bestandsaufnahme gemacht haben. Welche Baustellen haben Sie neben der Ariane 6 ausgemacht?
Ihre Frage suggeriert, dass es bei der ESA nur Baustellen gibt. Dem möchte ich widersprechen. Wir haben keine generelle Krise, wir haben eine Raketenkrise, aus der wir gerade herausfinden. Sonst hat die ESA sehr viele Erfolge vorzuweisen. Ich erinnere an das Euclid-Weltraumteleskop zur Untersuchung der dunklen Materie und der dunklen Energie im Universum oder an die Juice-Sonde, mit der wir die Eismonde des Jupiters erkunden wollen.
Dennoch hat man den Eindruck, dass die ESA eine schwerfällige Institution ist, die zu langsam auf neue Entwicklungen reagiert. Was muss sich ändern?
Wir haben das in der Agenda 2025 skizziert. Dort steht zum Beispiel, dass wir die Kommerzialisierung der europäischen Raumfahrt vorantreiben wollen. Wir wollen auch die Beziehung zur Europäischen Union ausbauen. Eine weitere Priorität ist die Transformation der ESA von innen. Kurz gesagt geht es darum, die ESA schneller, agiler und weniger komplex zu machen. Diese Transformation hat bereits begonnen. Wir sind dabei, interne Prozesse zu vereinfachen, den Einkauf neu zu organisieren und Kontrollen zu verschärfen, damit Verzögerungen schneller erkannt werden. Diese Veränderungen betreffen die DNA der ESA.
Steht auch das Geo-Return-Prinzip zur Debatte, also die Vergabe von Aufträgen in Proportion zu den Mitgliedsbeiträgen eines Landes? Dieser Proporz kann ein Hemmschuh sein.
Auch darüber diskutieren wir. Im Juni wurden im ESA-Rat Änderungen des Geo-Return-Prinzips beschlossen. Die sind jedoch nicht Teil des internen Transformationsprozesses. Die Entscheidung darüber liegt bei den Mitgliedsländern. Vereinfacht gesagt kann man sagen, nachdem wir unser Haus innen gekehrt haben, wenden wir uns nun nach aussen.
Wie stark sind die Widerstände?
Wie Sie wissen, ist die Transformation einer Organisation immer die schwerste aller Aufgaben. Die technischen Probleme sind meistens sehr viel einfacher zu lösen. Aber wir müssen diesen Weg gehen. Das sehen auch die Mitgliedsländer der ESA so. Sie unterstützen im ESA-Rat unsere Reformbemühungen. Sie haben erkannt, dass aufgrund der enormen internationalen Konkurrenz und der strategischen Bedeutung der Raumfahrt Veränderungen nötig sind. Die ESA soll auch in zehn Jahren zu den führenden Raumfahrtagenturen weltweit zählen.
Damit das der Fall ist, muss die europäische Raumfahrt wettbewerbsfähiger werden. Die ESA hat aus diesem Grund einen Wettbewerb zur Entwicklung kommerzieller Raketen ausgeschrieben. Warum kommt dieser Schritt so spät?
Unsere oberste Priorität war es, die Ariane 6 zum Fliegen zu bringen. Natürlich haben wir bereits vor dem Erstflug überlegt, was gemacht werden muss, um die Ariane 6 eines Tages zu ersetzen. Wir haben uns dabei an dem amerikanischen Modell orientiert, aus dem unter anderem die Firma SpaceX hervorgegangen ist. Die Ariane 6 wird die letzte europäische Rakete sein, die voll von der ESA entwickelt wird. Die nächste Rakete soll von der Industrie entwickelt werden, so wie Elon Musk das mit der Falcon 9 gemacht hat.
Hoffen Sie, dass aus dem europäischen Raketen-Wettbewerb ein europäisches Pendant zu SpaceX hervorgehen wird?
Es werden sicherlich starke, wettbewerbsfähige Firmen aus dem Wettbewerb hervorgehen. Ob darunter ein Äquivalent zu SpaceX sein wird, hängt von vielen Faktoren ab. Wir sind hier nicht im Silicon Valley. Die Mentalität und die Rahmenbedingungen sind in Europa anders. Ein wichtiger Unterschied ist die öffentliche Finanzierung der Raumfahrt, die in den USA etwa fünfmal so gross ist wie in Europa. SpaceX und viele andere amerikanische Firmen wären ohne die starke finanzielle Unterstützung der Nasa und des Verteidigungsministeriums nicht zu diesem Erfolg gekommen. Die Innovationsfreudigkeit in Europa ist zwar vorhanden. Aber es braucht auch die entsprechenden finanziellen Mittel.
Obwohl es offensichtlich ist, dass die Kommerzialisierung der Raumfahrt der richtige Weg ist, gab es von französischer Seite Widerstand dagegen. Erst zusätzliche Geldmittel für die Ariane 6 konnten Frankreich zur Zustimmung bewegen. Haben die nationalen Interessen in der ESA zu starkes Gewicht?
Ich würde das nicht als Schwäche, sondern als Stärke der ESA sehen. Stellen sie sich vor, es gäbe die ESA nicht. Glauben Sie, dass die Länder in Europa dann von sich aus Kompromisse schliessen würden? Es braucht eben jemanden wie die ESA, der die gegensätzlichen Interessen unter einen Hut bringt. Ich finde den Beschluss, den wir in Sevilla getroffen haben, sehr intelligent: Auf der einen Seite schreiben wir einen kommerziellen Raketen-Wettbewerb aus, auf der anderen Seite stellen wir die Nutzung der Ariane 6 und der Vega C sicher.
Wo steht die ESA in fünf Jahren?
Ich bin ziemlich sicher, dass die ESA in fünf Jahren noch stärker dastehen wird. Sie werden in fünf Jahren sicherlich eine dynamischere und schlagkräftigere ESA sehen als heute.