Iran und seine Verbündeten wollen die USA aus Syrien verdrängen. Nun stehen die USA vor einem Dilemma: Sollen sie sich zurückziehen oder Vergeltung üben und dabei einen grösseren Krieg riskieren?
Der Drohnenangriff auf den Stützpunkt Tower 22 im syrisch-jordanisch-irakischen Dreiländereck, der am Sonntag drei Todesopfer gefordert hat, wirft ein Schlaglicht auf eine wenig bekannte Militärpräsenz der USA in jener Wüstenregion. Seit 2016 unterhalten die Amerikaner auf der syrischen Seite zusammen mit lokalen Verbündeten eine Militärbasis bei der Ortschaft al-Tanf. Die Basis liegt an strategischer Stelle an der wichtigsten Verbindungsstrasse zwischen Bagdad und Damaskus, den Hauptstädten des Iraks und Syriens.
Dem syrischen Regime von Präsident Bashar Asad ist diese feindliche Enklave ein Dorn im Auge. Ihren Aussenposten können die Amerikaner deshalb nicht über syrisches Gebiet versorgen, sondern sind angewiesen auf eine Nachschubroute über Jordanien, das mit den USA enge Beziehungen pflegt. Genau zu diesem Zweck entstand der Stützpunkt Tower 22: Er befindet sich 20 Kilometer von al-Tanf entfernt, unmittelbar hinter der Grenze auf jordanischem Boden. Von hier aus startet die letzte Etappe zur Versorgung von al-Tanf.
Der Drohnenangriff hat die Verwundbarkeit dieser Militärpräsenz in der Wüste gezeigt. Wie das Pentagon mitteilte, tötete eine Kamikaze-Drohne einen Unteroffizier und zwei Soldatinnen; 40 weitere Militärangehörige erlitten Verletzungen. Unter den Opfern sind somit mehr als zehn Prozent des Stützpunktpersonals, das nach offiziellen Angaben 350 Heeres- und Luftwaffensoldaten umfasst. Zu dem Angriff bekannte sich der sogenannte Islamische Widerstand, eine relativ neue Koalition von Iran-treuen Milizen im benachbarten Irak.
Furcht vor einer Eskalation
Der amerikanische Präsident Joe Biden hat noch am Sonntag Vergeltung angekündigt, aber seine Regierung steht vor einem Dilemma. Reagiert sie nicht energisch auf die Bedrohung, wird dies die proiranischen Gruppen zu weiteren Angriffen ermutigen. Schon aus innenpolitischen Gründen ist Biden im Wahljahr gezwungen, Stärke gegenüber dem Erzfeind Iran zu zeigen. Greift er jedoch militärisch hart durch, riskiert er die Ausweitung des am 7. Oktober ausgebrochenen Nahostkrieges und womöglich einen direkten Schlagabtausch mit der Regionalmacht Iran. Das wollte Washington bisher vermeiden.
Naheliegend ist deshalb, dass das Pentagon dem Weissen Haus eine Option für beschränkte Schläge gegen Stützpunkte des Islamischen Widerstands im Irak vorlegen wird. Bereits am 4. Januar hatten die USA mit einer Kampfdrohne das Hauptquartier von Harakat al-Nujaba, einer der Gruppen in der proiranischen Milizen-Koalition, angegriffen und dabei einen Anführer getötet. Solche Schläge könnten sich nun wiederholen, auch wenn sie den Gegner kaum dauerhaft schwächen und zugleich für Empörung auf irakischer Seite sorgen.
Biden muss daher nicht nur den Nutzen solcher Militäraktionen prüfen, sondern auch eine umfassendere Abwägung vornehmen: Inwieweit dient die Präsenz im Dreiländereck von al-Tanf überhaupt noch den amerikanischen Interessen? Eine Debatte darüber ist innerhalb der Regierung Biden schon vor einiger Zeit in Gang gekommen. Über verschiedene Lecks ist durchgesickert, dass manche Stimmen im Sicherheitsapparat schon vor der jüngsten Eskalation dafür plädierten, alle Truppen aus Syrien abzuziehen. Damit fiele auch der Daseinszweck der Logistikbasis Tower 22 weg. Laut dem Magazin «Politico» befinden sich die Diskussionen jedoch erst in einem frühen Stadium.
Die Abwägung erhält nun eine neue Dringlichkeit. Mit der Attacke vom Sonntag haben die USA erstmals seit dem 7. Oktober Todesopfer infolge eines gegnerischen Angriffs auf einem der nahöstlichen Kriegsschauplätze erlitten. Kürzlich verloren sie im Golf von Aden bei einer Kommandoaktion gegen ein Waffentransport für die jemenitischen Huthi zwei Marine-Elitesoldaten; diese Todesfälle waren jedoch nicht auf Feindeinwirkung zurückzuführen. Mit Blick auf Syrien kommt hinzu, dass die Angriffe proiranischer Milizen auf Amerikaner in den letzten Monaten dramatisch zugenommen haben. Bisher war es jedoch bei Verletzungen geblieben.
Insgesamt sollen noch 900 amerikanische Militärangehörige in Syrien stationiert sein. Die meisten verteilen sich auf Stützpunkte im Nordosten des Landes, der von der kurdisch geführten Milizenallianz SDF kontrolliert wird. Der Rest befindet sich weiter südlich in al-Tanf, wo die Amerikaner mit einem anderen lokalen Partner zusammenarbeiten, der Syrischen Freien Armee, einer in Opposition zum Asad-Regime stehenden arabischen Gruppierung. Diese Konstellation ist das Erbe des syrischen Bürgerkrieges. Zwar hat sich dabei Asad weitgehend durchgesetzt, aber das Land ist in Einflusszonen zerstückelt. Mindestens sieben Staaten, darunter Russland und die Türkei, haben Truppen im Land stationiert.
Bollwerk gegen Iran
Die USA haben im vergangenen Jahrzehnt rund um al-Tanf eine Schutzzone mit einem Radius von 55 Kilometern ausgerufen, die sie bis jetzt erfolgreich gegen Angriffe der Asad-Truppen, proiranischer Milizen und teilweise sogar Russlands verteidigt haben. Innerhalb der Zone werden Soldaten der Syrischen Freien Armee ausgebildet.
Offiziell gilt diese Mission der Bekämpfung von Überresten der Terrormiliz IS. Aber diese hat in den letzten Jahren in Syrien stark an Bedeutung verloren und verübt nur noch sporadisch Anschläge. Unausgesprochen dient die amerikanische Präsenz auch als strategischer Riegel gegen Iran, das sonst völlig offene Nachschubwege nach Syrien und weiter zur Hizbullah-Miliz in Libanon hätte. Vor diesem Hintergrund würde ein Rückzug aus al-Tanf oder sogar ganz Syrien bedeuten, eine Machtposition im Nahen Osten aufzugeben, die bei einem sich von Israel und Gaza auf die ganze Region ausweitenden Konflikt von erheblicher Bedeutung wäre.