Nicht nur die Radiotechnologien, auch das Verhalten der Hörer und Hörerinnen hat sich im Laufe der Zeit geändert. Doch gegen den technologischen Fortschritt ist die Nostalgie machtlos.
Kkkrrrkschhhh. . . . . können Sie es hören? Das ist Ihr altes Radio, das nach einem Sender sucht. Das Rädchen noch ein bisschen weiter nach rechts, und – zack! – da ertönt die Stimme von Sven Epiney. Ihr Radio hat SRF 1 gefunden.
Nun ist das neue Jahr zwei Wochen alt, und manch einer sucht mit seinem alten Küchenradio immer noch verzweifelt Sven Epineys Stimme. Denn die SRG hat ihre alten Ultrakurzwellen-Funkantennen, kurz UKW-Antennen, ausgeschaltet. Wer die Nachrichten hören will, muss auf die neue digitale DAB+-Technologie umrüsten. Bei dieser gibt es kein nostalgisches Radiorauschen mehr, sondern entweder Töne oder Stille.
Es ist in der Geschichte des Radios nicht das erste Mal, dass eine neue Technologie eine alte ersetzt. Die UKW-Antennen wirken heute, wo junge Menschen Musik und Podcasts nur noch über Spotify hören, fast wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Doch für das Schweizer Radio stellten sie einst eine kleine Revolution dar.
Elektromagnetische Experimente im Wallis
Dessen Geschichte begann bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1887 glückte der Schweizer Telegrafendirektion erstmals der Versuch, das Sängerfest in Zürich über Telefon nach Basel zu übertragen. Die NZZ schrieb damals, der Gesang sei klar und deutlich zu vernehmen gewesen.
Radio war das noch nicht. Diesem kam erst der Italiener Guglielmo Marconi näher, der in seinen Ferien in Salvan im Wallis mit elektromagnetischen Wellen experimentierte. Mit seinen Forschungen an der drahtlosen Kommunikation war er vielen anderen Wissenschaftern der Zeit weit voraus. 1896 liess er die drahtlose Telegrafie patentieren, im Dezember 1901 gelang Marconi die erste Funkübertragung über den Atlantik. Später begann er hierzulande mit dem Bau von Radio-Telegrafiestationen. Mit der «Marconi Radio Station AG» entstand 1922 die erste kommerzielle Radiostation der Schweiz.
1922 erliess der Bund auch ein Gesetz, das ihm die Entscheidungsmacht über die Radiosender zugestand. Von da an genehmigten die Bundesbehörden die Radiosender. Als erster offizieller Sender der Deutschschweiz strahlte das Radio Zürich ab dem 23. August 1924 reguläre Sendungen aus. Sieben Jahre später wurde die Schweizerische Rundspruchgesellschaft SRG gegründet, mit dem Ziel, Landessender zu etablieren.
UKW brachte die Lokalradios
Um sich wirklich durchzusetzen, brauchte das Radio einige technologische Neuerungen. Konnte man in den zwanziger Jahren Radio erst nur via Kopfhörer hören, wurden in den Dreissigern Lautsprecher eingesetzt. Die Übertragungsqualität wurde besser, die Radios zahlbarer. Immer mehr Menschen konnten über ihr Küchenradio Nachrichten, den Wetterbericht und Musik empfangen.
Die nächste Zäsur brachte in den siebziger Jahren die Einführung der UKW-Technologie, die schrittweise die Mittelwelle ablöste. Edzard Schade ist Medienhistoriker und auf die Geschichte des Radios in der Schweiz spezialisiert. Er sagt: «Die Einführung der Ultrakurzwellen war damals ein Epochenbruch.» UKW sei viel flexibler gewesen und habe besseren Empfang geliefert. Lokalradios wurden so überhaupt erst möglich. «Im Gegensatz zur Mittelwelle, die sich raumübergreifend ausbreitet, konnte man UKW begrenzen und somit viel regionaler ausstrahlen. Dadurch konnten die Sender trotz weiterhin knappen Sendefrequenzen insgesamt mehr Programme verbreiten.»
Der damalige Technologiewechsel ähnelt in gewisser Weise der momentanen Umstellung von UKW auf die neue Technologie DAB+. Die Vorteile damals seien aber wesentlich grösser gewesen, so Schade. Dass die neue Technologie DAB+ ein ebenso epochaler Techniksprung sein könnte, bezweifelt er. Das hänge auch damit zusammen, dass sich die technischen, organisatorischen und politischen Rahmenbedingungen für die Verbreitung und den Empfang von Rundfunk geändert hätten.
Audio braucht kein fixes Gerät mehr
«Das Medium Audio hat Zukunft. Aber es ist nicht mehr an ein Gerät oder ein Vertriebsnetz gebunden.» Radio kann man heute auf dem Smartphone via Internet hören. Dass Audio netzunabhängig werde, sei an sich positiv, sagt Schade. Doch für die SRG, für die Lokalradios, für Gerätehersteller sei das ein Problem.
Die UKW-Abschaltung ist in der Schweiz denn auch ein Politikum. 2017 wurde sie von der damaligen Kommunikationsministerin Doris Leuthard mitverantwortet und in Absprache mit den Schweizer Radioanbietern landesweit für 2023 geplant. Dann ruderte der Bundesrat zurück. Doris Leuthard sagte 2021 in einem Interview mit Roger Schawinski: «Es lohnt sich nicht, wenn die Schweiz einen Alleingang macht.» Die Abschaltung wurde schliesslich nochmals um einige Jahre verschoben.
Nun planen Privatradios ihren vollständigen Ausstieg schrittweise bis 2026, die SRG hat ihren UKW-Betrieb bereits per 31. Dezember 2024 vollständig eingestellt. Sie begründet dies mit Sparmöglichkeiten von jährlich 15 Millionen Franken, und damit, sich mit DAB+ auf eine modernere Technologie zu fokussieren.
Die Schweiz ist mit dem UKW-Ausstieg deutlich schneller dran als ihre Nachbarländer. Deutschland hat keinen landesweiten Plan für eine Abschaltung, als einzelnes Bundesland hat Schleswig-Holstein einen schrittweisen Wechsel bis 2031 angekündigt. In Österreich gibt es noch kein offizielles Abschaltdatum. Schade verweist wieder auf den Wechsel weg von der Mittelwelle ab den fünfziger Jahren. Damals sei die Umstellung zu den Ultrakurzwellen europaweit koordiniert worden. Heute seien sich die europäischen Staaten uneinig, ob eine rasche UKW-Abschaltung eine gute Idee sei, die Vorteile der neuen Verbreitungstechnologie seien weit weniger klar als damals.
Zeit für den Abschied vom Faxgerät
Dass sich Technologien im Laufe der Zeit ändern und von neuen abgelöst werden, ist eine Folge des technologischen Fortschritts. Aber im Fall der UKW-Abschaltung hat sich nicht nur die Technologie weiterentwickelt, es hat sich auch das Hörverhalten der Nutzenden verändert. Um die Nachrichten oder den Wetterbericht zu hören, sind sie weder auf UKW- noch auf DAB+-Empfang angewiesen.
Man kann nur mutmassen, welche der grossen technischen Errungenschaften dem technologischen Fortschritt als Nächstes zum Opfer fallen werden. Folgerichtig wären der Fernsehanschluss oder das Festnetztelefon dran. Viele dieser Technologien müssen gar nicht abgeschafft werden, sondern verschwinden schrittweise von selbst – wie zum Beispiel das Faxgerät.
Doch dass es manchmal etwas Druck braucht, um die Nutzer von liebgewonnenen Technologien wegzubringen, zeigt gerade das Beispiel Radio: Obwohl die Mittelwelle in den siebziger Jahren zunehmend störungsanfällig war, blieben viele Personen in der Schweiz ihren alten Radios treu. 1978 erschuf die SRG deshalb ein Fabelwesen namens «UKfee», das durchs ganze Land tourte, um das Radiogerät der Leute von Mittelwelle auf UKW umzustellen.
Einen solchen Aufwand wollte man dieses Mal offenbar nicht betreiben, die Radiohörenden wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie haben aber auch mehr Ausweichmöglichkeiten – und wenn es nur das Internet ist.