Trotz der Zollquerelen von US-Präsident Donald Trump entwickeln sich die europäischen Börsen seit Jahresbeginn erstaunlich robust – auch Nebenwerte erwachen aus ihrem Dornröschenschlaf. The Market zeigt, warum die Hausse anhalten könnte.
Dem Handelskrieg zum Trotz: Die europäischen Börsen zeigen sich 2025 weiterhin erstaunlich robust. Zwar droht US-Präsident Donald Trump damit, auch die Europäische Union nicht vor neuen Zöllen zu verschonen – ab dem 2. April könnten die USA reziproke Importzölle gegen alle Handelspartner einführen, wobei die Details noch ausstehen. Dennoch setzt sich die Rotation in europäische Aktien ungehindert fort. Während der Stoxx Europe 600 seit Anfang Jahr gut 10% avancierte, tritt der S&P 500 unter dem Strich auf der Stelle.
Auch auf Sicht von zwölf Monaten schickt sich das europäische Barometer an, sein US-Pendant einzuholen.
Erfreulich ist, dass die Hausse nicht mehr nur von Aktien grosser Unternehmen getragen wird – wie im vergangenen Jahr in Deutschland mit der Dax-Rally –, sondern dass nun auch Nebenwerte an der Aufwärtsbewegung teilnehmen. In der vergangenen Woche hat der europäische Nebenwerteindex MSCI Europe Mid Cap sein Hoch von Ende 2021 übertroffen. Auch in Deutschland und der Schweiz, wo sich Nebenwerte seit Jahren schwertun, gibt es erste Erholungstendenzen – endlich, mögen sich einige Small- und Mid-Cap-Investoren denken.
Stimmung hellt sich auf
«Wir sehen einen vorsichtigen Optimismus in Europa», sagt Thomas Hodges, Spezialist für europäische Aktien beim schottischen Vermögensverwalter Baillie Gifford. Dass die europäischen Einkaufsmanagerindizes sich wieder der Wachstumsschwelle von 50 nähern oder teilweise sogar schon darüber liegen, mache Hoffnung. «Das deckt sich mit den positiven Aussagen, die wir von vielen Unternehmen derzeit hören», so Hodges.
Auch Peter Kraus, Head of Small Cap Equities bei der Hamburger Privatbank Berenberg, sieht die Aussichten in Europa langsam, aber sicher aufhellen – insbesondere für Nebenwerte. «Nach fast drei Jahren Industrierezession genügt es oft schon, wenn die Unternehmen signalisieren, dass sich die Lage zumindest nicht weiter verschlechtert.» Der Fondsmanager sieht in europäischen Aktien «low hanging fruits», da sie in den vergangenen fünfzehn Jahren die stärkste historische Unterperformance gegenüber US-Werten verzeichnet haben.
Doch dass die jüngste Hausse in Europa auch fundamental begründet ist, zeigen die Analysten der US-Investmentbank Citi in einer Mitte Februar publizierten Research Note. Darin halten sie fest, dass in der abgelaufenen Berichtssaison in fast allen Sektoren – mit Ausnahme von Rohstoffen und Konsumgütern – positive Gewinnrevisionen zu beobachten waren, am stärksten bei Finanzwerten und IT-Aktien.
Bemerkenswert ist vor allem die Diskrepanz zwischen Europa und den USA. Der von Citi erstellte sogenannte Earnings Revision Index (ERI), der Aufschluss darüber gibt, wie stark die Analysten ihre Gewinnprognosen für börsennotierte Unternehmen nach oben oder nach unten revidieren, ist in Europa (ohne Grossbritannien) seit Jahresbeginn auf +8% gestiegen, während er in den USA bei knapp -20% verharrt. Die Kluft beträgt also fast 30% – gemäss Citi ein seltenes Phänomen, das historisch meist mit einer Outperformance europäischer Aktien einherging.
Trump gut für Europa?
Zudem verfestigt sich immer mehr der Eindruck, dass Donald Trump – anders als zunächst erwartet – gut für Europa sein könnte. The Market zeigte bereits an dieser Stelle auf, dass die protektionistische Politik von Trump dazu führen könnte, dass Investitionskapital aus China, Hongkong und anderen Regionen in den USA nicht mehr willkommen ist und sich daher andere Anlageziele suchen könnte – etwa in Europa.
Auch Kraus ist überzeugt, dass europäische Aktien von der Politik Trumps profitieren könnten. «Trump will einen schwachen Dollar, was die Kapitalströme auch nach Europa lenken und den Euro stärken würde.» Ein schwacher Dollar in Kombination mit einem starken Euro sei historisch meist positiv für europäische Risk Assets gewesen. Kraus, verweist in diesem Zusammenhang auf die Periode zwischen 2003 und 2008.
Damals schwächte sich der Dollar gegenüber dem Euro stark ab.
In dieser Zeit gelang es dem Stoxx Europe 600, das US-Leitbarometer S&P 500 zu überflügeln – eine Seltenheit mit Blick auf dieses Jahrhundert.
Sollte es sich zudem abzeichnen, dass die Wirtschaft in Deutschland dank einer wieder handlungsfähigen Regierung anzieht, könnte das den Kapitalzufluss nach Europa zusätzlich massiv verstärken, glaubt Kraus.
Welche europäischen Aktien?
Die Wende bei europäischen Aktien könnte sich also weiter verfestigen – zumal die Bewertung europäischer Aktien trotz der jüngsten Hausse noch immer historisch günstig ist. Gemäss Analysten von UBS liegt das sektoradjustierte Kurs-Gewinn-Verhältnis – dieses berücksichtigt die unterschiedliche Sektorzusammensetzung von Aktienindizes – europäischer Aktien mit Blick auf die nächsten zwölf Monate noch immer 23% unter dem von US-Aktien, ein Abschlag von 7% sei die Norm.
Doch wo in Europa können Anleger jetzt zugreifen?
Hodges sieht grosse Chancen bei Industriewerten, da in Europa das Ende der industriellen Rezession in Sichtweite rücke. Mit 28% stellen sie den grössten Anteil im European Fund von Baillie Gifford. Einer seiner Favoriten ist die schwedische Instalco.
Die Unternehmensgruppe ist in Skandinavien führend in den Bereichen Elektro-, Heizungs- und Sanitärinstallationen sowie bei Industrielösungen, musste jedoch im vergangenen Jahr einen Rückgang der Projekte hinnehmen, was sich auch im Aktienkurs bemerkbar machte. «In der letzten Ergebnispräsentation zeigte sich jedoch, dass der Auftragsbestand wieder zunimmt, was im Laufe des Jahres zu einer Belebung der Projekte führen dürfte.»
Ähnlich überzeugt ist er von Kingspan. Das irische Unternehmen ist auf nachhaltige Bauprodukte und Dämmstoffe spezialisiert und verzeichnet ebenfalls eine Erholung im Auftragsbestand. Hodges glaubt: «Wenn Unternehmen wie Instalco und Kingspan wieder zum Wachstum zurückfinden, ist das ein positives Signal für Nebenwerte.»
Berenberg-Fondsmanager Kraus findet im Bereich der zyklischen Industriewerte Intralogistiker wie Interroll und Jungheinrich gut positioniert für einen Aufschwung. Beide Unternehmen haben in den letzten Jahren unter der zurückhaltenden Investitionsbereitschaft ihrer Kunden gelitten, die während der Covid-Pandemie noch einen Investitionsboom ausgelöst hatten. Insbesondere die Aktien von Jungheinrich zeigten in den vergangenen Wochen jedoch klare Erholungstendenzen.
Zudem rechnet er bei HMS Networks mit einer Erholung im operativen Geschäft. Das schwedische Unternehmen, das auf industrielle Kommunikationslösungen spezialisiert ist, verzeichnete in den letzten beiden Jahren einen Rückgang der Bestellungen, da Kunden ihren Lagerbestand anpassten. «Die Ergebnisvorlage zum vierten Quartal 2024 macht diesbezüglich Hoffnung.»
Deutschland mit viel Aufholpotenzial
Kraus sieht generell grosse Chancen bei Aktien aus Deutschland und Nordeuropa, vor allem bei Nebenwerten. «Sowohl der MDax als auch auch der SDax sind sehr zyklisch aufgestellt. Das birgt enormes Erholungspotenzial.» Hodges von Baillie Gifford setzt in Deutschland auf die Aktien von Hypoport. Das Unternehmen bietet Plattformlösungen für die Kredit- und Immobilienbranche an.
«Da sich das deutsche Hypothekenvolumen erholt, nehmen die Einnahmen wieder zu, und auch die Profitabilität verbessert sich», sagt Hodges. Da Hypoport eine reine Technologieplattform ist, sind die Kosten weitgehend fix und nehmen mit steigendem Umsatz kaum zu. Zudem sieht Hodges weiterhin viel Marktpotenzial, das erschlossen werden kann: «In Deutschland wenden sich nach wie vor rund die Hälfte der Menschen an ihre Bank statt an einen Hypothekenmakler. In Ländern wie Grossbritannien, Australien oder den USA sind es etwa 70%.»
Auch Kraus hat Finanzwerte im Blick, wenn es um den «Europa-Trade» geht. «Wenn die Aktien steigen, profitieren Online-Broker wie Swissquote aus der Schweiz oder FlatexDegiro aus Deutschland.» Während die Aktien von Swissquote auch dank des Krypto-Booms bereits seit einiger Zeit gut laufen, hat FlatexDegiro – wo Innovationen in Bereichen wie Krypto- und Neo-Brokerage lange ausblieben – im vergangenen Jahr mit einem neuen CEO wieder in die Erfolgsspur gefunden
Kraus hat zudem die Aktien der schwedischen Immobilienplattform Hemnet im Portfolio, die er als Homegate oder ImmoScout24 von Schweden bezeichnet. «Hemnet hat in Schweden ein Monopol in einem wachsenden Markt und eine enorme Cash-Generierung.» Auch die schwedischen Online-Banken Avanza Bank und Nordnet könnten gemäss Kraus zu den Profiteuren eines Aufschwungs in Europa gehören.
ASM International: Europas KI-Profiteur
Sowohl Kraus als auch Hodges sehen derzeit zudem gute Voraussetzungen für den Bereich Tech-Hardware in Europa. «Halbleiterunternehmen wie Mycronic aus Schweden oder Comet und Inficon aus der Schweiz könnten vor dem nächsten Aufschwung stehen, auch wenn das genaue Timing natürlich schwierig ist», sagt Kraus. Zudem erachtet Kraus Aktien aus dem Bereich der Energie-Infrastruktur wie Sulzer, Burckhardt Compression oder Technip als interessant.
Ein neuer europäischer Favorit von Hodges ist der Halbleiterausrüster ASM International. Die Niederländer stellen Produktionsanlagen für Halbleiterhersteller wie TSMC, Samsung und Intel her. «Wir beobachten, dass die stetige Verkleinerung der Halbleiter – das sogenannte Moore’sche Gesetz – an ihre physikalischen Grenzen stösst», sagt Hodges. Dies mache die Halbleiterfertigung zunehmend komplexer, wovon ASM International profitiere.
Die Niederländer sind Marktführer im Bereich der sogenannten Atomic Layer Deposition, einer Technologie, die für die präzise Schichtung ultradünner Materialschichten in modernen Chips essenziell ist. Je komplexer die Chip-Herstellung wird, desto wichtiger wird diese Technologie. «ASM International ist damit eine der besten Möglichkeiten, um in Europa vom KI-Trend zu profitieren», sagt Hodges.
Zudem hat der European Fund von Baillie Gifford zuletzt sein Engagement in Healthcare-Aktien ausgeweitet – dies, nachdem vor allem der Biotech-Sektor die letzten Jahre unter einer zurückhaltenden Finanzierung gelitten hatte. Hodges hebt neben Lonza und Novo Nordisk die schwedische Biotech-Gesellschaft Camurus hervor. Das Unternehmen optimiert bestehende Medikamente mit dem Ziel, ihre Wirkungsdauer zu verlängern.
«Ihre FluidCrystal-Technologie ermöglicht die Injektion von Medikamenten in Form eines Gels, das sich über einen längeren Zeitraum im Körper abbaut», sagt Hodges. Der Vorteil: Die Einnahmehäufigkeit wird reduziert, wodurch die Therapietreue der Patienten steigt. Besonders erfolgreich ist diese Technologie derzeit beim Medikament Buprenorphin, das zur Behandlung von Opioidabhängigkeit eingesetzt wird. «FluidCrystal ist jedoch universell einsetzbar und kann auf viele andere Medikamentklassen übertragen werden», so Hodges.
Wer breit gestreut in europäische Aktien investieren will, für den bieten sich ETF an. The Market hat an dieser Stelle gezeigt, welche ETF sich dafür eignen. Auch das Thema Rüstung bleibt vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung unter Donald Trump und der wachsenden Einsicht Europas, seine Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen, relevant. Mit welchen ETF Anleger in diese Branche investieren können, hat The Market bereits vor rund einem Jahr ausführlich dargelegt.