Zürichs Stadtparlament will mit einem Modell aus Prävention und Repression gewalttätigen Fussballfans begegnen. Sogar die SP zieht bei der härten Gangart mit.
Der Schweizer Fussball hat ein Problem mit gewalttätigen Fans. Diese Erkenntnis ist nicht neu, und sie zeigte sich auch in der Hinrunde der Schweizer Liga. Ob marodierende Hooligans am Volksfest, Pfefferspray-Attacken mitten in der S-Bahn oder Angriffe auf Mitarbeiter der Transportpolizei – Fangewalt gab es von Zürich bis Genf.
Die Diskussion, wie die Lage beruhigt werden könnte, hat zwischen der Politik und der Sportwelt einen Graben aufgerissen. Kurz bevor sich der Fussball in die Winterpause verabschiedete, war die Politik wieder am Zug.
Der Ständerat will die Fangewalt mit personalisierten Tickets bekämpfen. Er unterstützte einen Vorstoss seiner Sicherheitspolitischen Kommission. Mit derlei Tickets sollen Hooligans bereits beim Billettkauf ausgesiebt werden. Ein Abgleich zwischen Käufer und Hooligan-Datenbank macht es möglich. Auf die Massnahme wartet manch kantonaler Polizeidirektor schon lange.
Die Swiss Football League (SFL) erklärte bereits im Herbst, dass sie und die Klubs die Einführung solcher Tickets strikte ablehnen. Der SFL-Geschäftsführer Claudius Schäfer hatte unter anderem datenschutzrechtliche Bedenken.
Schäfer zeichnete das Bild einer Herkulesaufgabe: stundenlange Wartezeiten beim Eingang, weil die Identität der Fans überprüft werden müsse, weiter sei die Sitzplatzpflicht kaum durchsetzbar, und sowieso gebe es ja noch Stehplätze.
Kurzum: Personalisierte Tickets bedeuten laut Schäfer für die Klubs nicht weniger als einen riesigen Mehraufwand und damit ein finanzielles Risiko. Selbst in grossen Ligen wie jenen von Deutschland, England, Spanien und Frankreich seien solche Tickets noch nicht eingeführt worden.
In Italien, wo die Tickets schon länger personalisiert sind, kommt es in den Stadien zwar weiterhin zu rassistischen Vorfällen. Die Gewalt hat sich allerdings verlagert, die Hooligans treffen sich nun ausserhalb der Stadien, inklusive Strassenschlachten auf der Autobahn.
Zumindest was die rechtlichen Grundlagen betrifft, will der Ständerat nun aber das Fundament legen. Er möchte ein revidiertes Hooligan-Konkordat, mit dem personalisierte Tickets auch gegen den Willen der Sportklubs eingeführt werden könnten. Als Nächstes muss der Nationalrat darüber befinden.
Reale bis kreative Ansätze
Schwerwiegende Vorfälle verlagern sich zunehmend auf das Gebiet ausserhalb der Stadien. Nirgends zeigt sich dies so dramatisch wie im Raum Zürich, wo die Rivalität zwischen den beiden Klubs FCZ und GC für immer neue Gewaltausbrüche sorgt.
Die lokale Politik wollte handeln, einen Anfang machte die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Stadtzürcher Parlaments. Deren Vertreter redeten über Monate mit Fanarbeitern und der Polizei, mit Klubs und Behörden. Entstanden ist ein Bericht, der mit allerlei Massnahmen aufwartet, die von realistisch bis kreativ reichen.
So hält die GPK beispielsweise fest, dass bereits heute an Risikospielen in Zürich ein Alkoholverbot gelte, eine Massnahme, wie sie England schon lange kennt. Nur werden dort gleich ganze Pubs zugesperrt, sofern sie sich in Stadionnähe befinden.
In Zürich sei die Wirksamkeit des Verbots aber «eingeschränkt», stellt die GPK fest, «da Fans teilweise bereits im Vorfeld Alkohol konsumieren». Die Struktur des Letzigrunds – die Mauer ums Stadion ist weitläufig und nur rund zwei Meter hoch – ermögliche «den illegalen Transport von Alkohol in die Kurven». Als Lösung nennt die GPK unter anderem bessere Eingangskontrollen.
Ebenfalls mittels Kontrollen soll das Pyro-Problem angegangen werden. Denn das Verbot der Leuchtfackeln sei für die Stadionbetreiber kaum durchsetzbar, weil militante Fans uniform gekleidet und vermummt seien. Da hälfen auch die zahlreichen Kameras wenig.
Die GPK sieht hier aber nicht nur repressive Massnahmen vor. Es könnte im Stadion auch ein eigener Bereich für Pyrotechnik eingeführt werden, lautet ein Vorschlag. Norwegen will ab 2025 ebenfalls den legalen Einsatz von Pyrotechnik austesten.
Genauere Eingangskontrollen würden auch Minderjährige unter 14, die ohne Erwachsene unterwegs seien, vom Matchbesuch abhalten. Denn die Fans, die den Weg in die Fankurven fänden, würden immer jünger, heisst es im Bericht. «Die Fanarbeit beobachtet eine besorgniserregende Radikalisierungstendenz bei jungen Fans, die sich unter anderem in Hass gegen die Polizei äussert.»
Wegen der Pandemie habe die Jugend «die Lehrzeit» durch die älteren Fans nicht durchlaufen. Die Vorschläge der Kommission zielen in Richtung Dialog. So wird über eine verstärkte Fanarbeit oder eine sogenannte «Sirupkurve», eine Art Kindertreff im Stadion, nachgedacht.
Sektorenschliessungen und Geisterspiele sind nebst den personalisierten Tickets der andere grosse Streitpunkt im Kampf gegen die Gewalt bei Sportanlässen. Das schweizweite Kaskadenmodell, ursprünglich von den Fussballklubs mitgetragen, sah solche Massnahmen vor.
Sektoren dürfen geschlossen werden, um Ausschreitungen zu verhindern. In der Praxis aber verkam der präventive Charakter der Massnahme zu einer Art Kollektivstrafe für vergangene Ereignisse. Die GPK gibt in ihrem Bericht allerdings keine Empfehlung pro oder contra Sektorenschliessungen und Geisterspiele ab.
Dafür scheint die Kommission in Sachen Polizeieinsätze gewisse Bedenken zu haben. So sei zu prüfen, ob nicht «andere Akteure» als Sicherheitspersonal an Fanmärschen eingesetzt werden könnten, «da die Polizei als möglicher Trigger für Gewalt fungieren kann». Zudem hätten die Klubs vermerkt, dass ein grosses Polizeiaufgebot oder Wasserwerfer «als provozierend» wahrgenommen werden könnten.
Der Bericht ist nicht ganz widerspruchsfrei, denn ein paar Zeilen weiter bezeichnet die Kommission die Zürcher Polizeistrategie als durchaus bewährt. Als Vergleich dient das Ausland, in dem Fall das Wiener Fussballderby. Dort verzichte die Polizei auf Distanzmittel wie Wasserwerfer. Dafür müssten um die 1000 Polizisten eingesetzt werden. Im Vergleich dazu kämen in Zürich «nur» 250 Polizistinnen und Polizisten zum Einsatz, die Zürcher Strategie sei also «effektiver und verletzungsärmer».
Am Ende steht das Vier-Säulen-Modell
Aus dem Bericht der GPK schnürte das Stadtparlament nun ein konkretes Massnahmenpaket. Ein entsprechendes Postulat der FDP- und der Mitte/EVP-Fraktion wurde kürzlich angenommen.
Wie so oft, wenn das Problem kompliziert und schwerwiegend genug ist, setzt die Zürcher Politik auf ein «Vier-Säulen-Modell». Wie bei der radikal neuen Drogenpolitik Anfang der 1990er Jahre soll auch bei der Fangewalt ein Mix aus Repression und Prävention, aus Therapie und Schadensminderung zu einer Verbesserung führen.
Bei der Prävention und der Deeskalation fordert das Modell: Die Klubs müssen sich klar gegen Fangewalt aussprechen. Respekt und Fairplay sollen gefördert werden. Es braucht mehr Dialog zwischen allen Beteiligten.
Was die Sicherheit und die Repression betrifft, fordert die Politik unter anderem: personalisierte Tickets, verstärkte Kontrollen beim Einlass, Sanktionen und Strafen bei Regelverstössen, Sektorenschliessungen oder Geisterspiele bei wiederholten Vergehen, eine höhere Kostenbeteiligung der Klubs, wenn sie Massnahmen im Rahmen des Vier-Säulen-Modells unterlassen.
Nicolas Cavalli, Co-Präsident der GLP, meinte, jetzt müssten Massnahmen wie «verbesserte Eintrittskontrollen, der Aufbau von Fanarbeit und die Sensibilisierung gegen Alkohol und Drogen» umgesetzt werden.
«Wir hoffen, dass die Prävention greift», sagte Florian Utz, Fraktionspräsident der SP. «Aber wir sind realistisch, dass es auch die Repression braucht.» Dass auch die SP nicht vor repressiven Massnahmen zurückschreckt, zeigt, dass das Thema Fangewalt mittlerweile sogar das klassische Links-rechts-Schema aushebelt.
Polizeikosten von einer halben Million Franken pro Jahr
Einen weiteren Ansatz, nämlich jenen übers Portemonnaie, sieht die FDP vor. Der Freisinn plädiert für eine höhere Beteiligung an den Sicherheitskosten durch die beiden Fussballklubs.
Weil die Sprache der Kosten wohl die einzige sei, die «der eine Präsident der beiden Klubs» verstehe, sagte der FDP-Parteipräsident Përparim Avdili anlässlich der städtischen Budgetdebatte.
Die beiden Klubs müssen derzeit pro Jahr maximal je eine halbe Million Franken der Polizeikosten mittragen. Avdili: «Aus dem GPK-Bericht geht aber hervor, dass die tatsächlichen Kosten mindestens doppelt so hoch sind.»
Tatsächlich können in Extremfällen die Kosten für ein einzelnes Spiel bis zu 250 000 Franken betragen, wie die GPK schreibt. Der FCZ erreichte in den letzten Jahren den jährlichen Kostendeckel von einer halben Million, die Grasshoppers hingegen nicht.
Das Stadtparlament stimmte vorerst gegen eine Erhöhung des Kostendeckels, unter anderem, weil die Verträge zur Kostenverteilung mit den Klubs auch für 2025 gültig sind.
Sowieso glaubt die lokale Politik, noch ein Ass im Ärmel zu haben: das Letzigrundstadion. Dieses gehört der Stadt. Die Mietkosten könne man ja davon abhängig machen, wie viel Gewalt im Stadion geschehe, sagte Florian Utz von der SP. Entweder würden die Klubs dann weniger oder mehr bezahlen als heute.
Nun ist es an der Stadtzürcher Regierung zu prüfen, wie das Vier-Säulen-Modell eingeführt und etabliert werden kann. Ein Punkt dürfte dem Stadtrat besonders auffallen. Auch das Modell des Gemeinderates fordert personalisierte Tickets, gleich dem Ständerat. Der Druck auf Klubs und Liga kommt damit aus Bern wie aus Zürich.