Den «Atzen-Pop», den er zelebriert, hat Jule X nicht erfunden. Seine Songs bastelt er aus Hits der letzten Jahrzehnte zusammen. Und dann überzeugt er auf der Bühne als souveräner Performer.
«Texte werden überschätzt!» Das findet ausgerechnet Jule X, jener Rapper, der im Refrain seines bekanntesten Songs den DJ immer wieder als «Hurensohn» bezeichnet. Der junge Herr, der mit heissen Slogans um sich wirft wie mit Leuchtpetarden, hat in den letzten zweieinhalb Jahren freudvoll die Schweiz gespaltet, jedenfalls das Hip-Hop-Publikum.
Die einen finden Songs wie «Dr DJ isch» (2021) das Hinterletzte, die anderen drehen an seinen Konzerten komplett durch. Und genau das findet der 24-jährige Musiker aus dem Berner Stadtteil Oberbottigen amüsant, sehr amüsant sogar. Das Anecken, die Provokation, die gehören zu seiner Künstlerpersönlichkeit wie die Fussballtrikots (bei unserem Interview ist es eines von Nigeria) und sein «Vöku»-Schnitt, der Vokuhila. Der aufsehenerregendste Schweizer Rapper des Sommers 2024 und die Kollegen seiner Vokuhila-Mafia tragen tatsächlich die klassische Manta-Fahrer-Frisur von einst.
Text als Nonsens
Jule X packt dann provokativ noch einen drauf: «Texte sind Füllmasse. Es gibt sogar Songs, die absolut keinen Sinn ergeben», gesteht er bei einem Stück Apfelkuchen. «Hör dir zum Beispiel einmal ‹Leopard› an. Ich kann dir nicht sagen, worum es da geht.»
Er hat recht und unrecht – und er weiss das auch. Die Inhalte seiner erfolgreichen Songs sind keineswegs so belanglos, wie er sie darstellen möchte. «Dr DJ isch» ist noch während der Pandemie entstanden und handelt eigentlich von einer unbefriedigten Sehnsucht nach einer Partynacht. Der vertonte Albtraum: Stell dir vor, du darfst endlich wieder ausgehen – und dann ist der DJ ein Versager. Als es ihm an jeglichen Entladungsmöglichkeiten für seine Vitalität und Energie fehlte, da schuf er im Kinderzimmer einen ultimativen Party-Hit. «Woni am Refrain gsi bi, isch mini Määr is Zimmer innegloffe u hett gseyt: Altä, dä chasch nöd bringe! Da hani gwüsst: Das wird öppis.» Zu Deutsch: Als meine Mutter reinkam und meinte: Das geht doch nicht! Da wusste ich: Das wird was.
Die Tracks von Jule X klingen zum Teil nach Trap, zum Teil nach Dumpfbacken-Techno, zum Teil nach aufgepeitschten Pop-Hits. Kein Zufall: Klauen ist ein Hobby von Jule X. Doch anders als frühere Hip-Hop-Generationen bedient er sich bei den Hits der neunziger und nuller Jahre und nicht beim Soul und R’n’B aus den Siebzigern. Kylie Minogue, Madonna, Wir sind Helden oder irgendwelche Melodien von Tiktok – alle müssen dran glauben. Das Lied «Nur ein Wort» von Wir sind Helden, ursprünglich 2005 erschienen, übersetzt er gar wörtlich ins Bärndütsch und unterlegt es mit Neunziger-Jahre-Techno-Pop.
Mit Hip-Hop hat die Musik von Jule X und seiner Crew eigentlich nicht mehr viel zu tun. «Wir sind einfach irgendwelche Internet-Kids, die Rap gehört haben und dadurch verdorben worden sind», sagt er dazu schulterzuckend. «Das mit den Regeln und dem ‹real› sein, das ist mir zu anstrengend.» Es sei auch mühsam, dass man bei ihnen von «Klauen» rede, bei den Traditionalisten des Rap hingegen von «Samplen» – «das ist doch das Gleiche!» Jule X ist lieber ein Provokateur als ein Hip-Hop-Purist. «Ich habe bis heute nicht das Gefühl, ich sei ein krank-guter Rapper. Dafür stimmt alles drum herum.»
Die Musik entsteht im Studio des Aarauer Produzenten Mondetto – und zwar ohne Bier und Billig-Techno, sondern langsam und konzentriert, Take um Take, wie Jule X erzählt. Souverän zu klingen, sei harte Arbeit. «Ich nehme jedes Stück etliche Male auf. Immer wieder wechsle ich die Stimmlage, immer wieder arbeite ich an der Intensität. Wie die Stimme herüberkommt und wie der Mix gemacht ist – das ist für mich das Wichtigste.»
Alle Stücke sollen so «catchy» wie möglich sein. Der Inbegriff von «catchy» sei für ihn übrigens Peter Reber. Dessen Album «Grüeni Banane» hält Jule X für ein Meisterwerk – genauso wie die Klassiker von Polo Hofer. Grosses Lob hat er auch für den Zürcher Rapper Lil Bruzy übrig, mit dem er gemeinsam eine EP aufgenommen hat («Vokuhilas & Buzzcuts») und auf Tournee gegangen ist.
Auf die Performance kommt es an
«Wenn man einmal im Universum Bruzy drin ist, kommt man nicht mehr raus.» Gleiches gilt aber auch für die Kollaborationen von Jule X und Lil Bruzy. Am meisten gestreamt wurde bisher der Song «Zistig» (2023): «Aues wo du verzeusch isch mir leider ä chli z höch / Spar dir dis Versägerchruut, hüt gömmer blöd / Suffä am nä Zisti, suffä amnä Zisti.» Der Track basiert auf dem alten Sommerhit «Destination Calabria» von Alex Gaudino. Der hat mittlerweile fast 360 Millionen Streams auf Spotify. Bruzy und Jule haben es immerhin schon auf über 800 000 Streams geschafft.
Den «Atzen-Pop», den er zelebriert, hat Jule X nicht erfunden. In Deutschland gibt es den Trend, Feierhütten-Musik und Rap zu vermischen, schon seit gut fünfzehn Jahren. Aber wer ein Pop-Star sein will, muss nicht unbedingt Neues schaffen und Hits schreiben, er muss vor allem performen können. Und das kann der Mann aus Oberbottigen alias «Obubärn»: Mit seiner Vokuhila-Mafia sorgt er auf über dreissig Konzerten dieses Jahr für Moshpits vor der Bühne und Schweissausbrüche unter den Fans. Das Drumherum stimmt.