Vier britische Bergsteiger benötigen im Himalaja keine Zeit für die Akklimatisierung – dank einem Gas, das dem Risiko vor der Höhenkrankheit vorbeugt. Die Methode ist umstritten, doch Hilfsmittel prägen den Alpinismus seit je.
Am frühen Mittwochmorgen haben Sie das Ziel erreicht. Um 7 Uhr 15 Ortszeit standen Garth Miller, Alistair Scott Carns, Staatsminister für Veteranen und Bevölkerung im britischen Verteidigungsministerium, Anthony James Stazicker und Kevin Francis Godlington auf dem Gipfel des 8848 Meter hohen Mount Everest – viereinhalb Tage nach ihrem Abflug aus London-Heathrow.
Ein Helikopter hatte die Veteranen von Spezialeinheiten der britischen Armee am 17. Mai gegen Mittag ins Basislager auf dem Khumbu-Gletscher auf der Südseite des höchsten Berges der Welt gebracht. Am Sonntag stiegen sie durch den gefürchteten Khumbu-Eisbruch bis zum Lager 2 auf.
Ihren Aufstieg zum Gipfel begannen sie am Dienstagabend um 22 Uhr 30 Uhr vom Lager 4 auf dem Südsattel in fast 8000 Metern Höhe. Begleitet wurden die vier Bergsteiger von dem britischen Fotografen Sandro Gromen Hayes sowie den einheimischen Bergführern Pasang Tendi Sherpa, Pemba Rinji Sherpa, Gelu Sherpa, Nima Nuru Sherpa, and Phu Dorji Sherpa.
Insbesondere Garth Miller, der die Expedition leitete, ist ein erfahrener Höhenbergsteiger. Er stand bereits auf dem Gipfel des K2, des mit 8611 Metern zweithöchsten Berges der Welt, und dem von anderen Achttausendern. Miller schaffte es zudem schon einmal in 21 Tagen von London auf den Gipfel des Mount Everest und wieder zurück in die Heimat. Miller und seine Kollegen haben laut eigenen Angaben Einsatzerfahrung in den gewalttätigsten und gefährlichsten Konflikten auf der ganzen Welt. «Wir haben in den letzten 20 Jahren in jedem grösseren Konflikt gedient», heisst es auf der Webseite des Projekts.
Dabei verbanden die vier Briten mit ihrer Expedition nicht nur ein bergsteigerisches Ziel. Das vorrangige Anliegen, für das die Veteranen bei ihrer Everest-Besteigung Aufmerksamkeit erzeugen wollten: «Die militärische Gemeinschaft zu vereinen, insbesondere die Veteranen, die Verbindungen zwischen Verteidigung und Gesellschaft zu vertiefen, Spenden zu sammeln insbesondere für diejenigen, die die Familien und Kinder derjenigen unterstützen, die das ultimative Opfer gebracht haben, um unsere Freiheiten zu verteidigen.» Konkret sollen eine Million Pfund zur Unterstützung von Veteranen und Wohltätigkeitsorganisationen der britischen Streitkräfte zusammenkommen.
Kürzere Akklimatisierungszeit dank Xenon
Das imponiert auch Lukas Furtenbach von Furtenbach Adventures, der die Expedition organisierte: «Jeder von ihnen hat eine Geschichte, die von Pflicht, Aufopferung und Widerstandskraft geprägt ist. Es geht nicht nur darum, den Gipfel zu erreichen, sondern auch darum, Grenzen zu überwinden, andere zu inspirieren und das Bewusstsein für Dinge zu schärfen, die ihnen am Herzen liegen. Sie besteigen nicht bloss einen Berg, sondern tragen eine Botschaft der Hoffnung mit sich.»
Der aus Innsbruck stammende Furtenbach hat seit seinem Einstieg in das Expeditionsgeschäft 2014 wesentliche Verbesserungen bei der Sicherheit im Höhenbergsteigen auf den Weg gebracht. Mit einem ausgeklügelten Akklimatisationsplan bereitet er Teilnehmer seiner kommerziellen Expeditionen beispielsweise in Hypoxie-Zelten auf den Aufstieg auf die höchsten Gipfel der Welt vor. Mit dieser Methode sind die Bergsteiger nur noch rund drei Wochen am Mount Everest unterwegs. Ganz normale Expeditionen dauern sechs bis acht Wochen. Zusätzlich lässt Furtenbach permanent Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung im Blut der Teilnehmer überwachen – mittels eines mit einem Sensor ausgestatteten Datenhandschuhs. So kann er mögliche Probleme bei der Höhenanpassung rechtzeitig erkennen.
Mit Xenon, das dem Risiko für die berüchtigte Höhenkrankheit vorbeugen soll, hat Furtenbach schon seit einigen Jahren gute Erfahrungen gemacht. 2020 hat er das Gas nach einem Hinweis von Michael Fries, einem Anästhesisten aus Limburg, zunächst selbst ausprobiert. Später haben es auch Bergführer und Teilnehmer seiner Expeditionen verwendet – mit grossem Erfolg.
Die Expedition der britischen Veteranen hatte vor deren Aufstieg eine heftige Kontroverse ausgelöst, nachdem die vier angekündigt hatten, dass sie sich mit Xenon auf den Aufstieg vorbereiten würden. Das Edelgas, das primär in der Anästhesie eingesetzt wird, steht auf der Dopingliste der Welt-Antidoping-Agentur.
Die Doping-Kritik läuft am Mount Everest jedoch ins Leere. Das Basislager des Mount Everest gilt aufgrund der Medikamente, die dort vielfach eingenommen werden, gemeinhin als das höchstgelegene Dopinglabor der Welt. Hinzu kommt: Die Wirksamkeit von Medikamenten wie Diamox oder Dexamethason, die gegen die Höhenkrankheit zum Einsatz kommen, wurde genauso wenig in wissenschaftlichen Studien valide überprüft wie die von Xenon – was im Fall von Xenon jedoch zu heftiger Kritik führt.
Reinhold Messner kritisiert die Methode – lässt Sicherheitsaspekte aber unberücksichtigt
Oft war die Verwendung von Xenon am Mount Everest auch nur ein vorgeschobener Kritikpunkt. Widerspruch löste vor allem die fortschreitende Kommerzialisierung des Mount Everest aus. Die Xenon-Expedition kostete jeden der vier Teilnehmer 150 000 Euro.
Die Kontroverse verdeutlichte einmal mehr, wie weit verbreitet im Alpinismus noch immer die Vorstellung ist, Höhenbergsteigen müsse per se gefährlich und potenziell tödlich sein. Insbesondere Reinhold Messner aus Südtirol, der als erster Bergsteiger sämtliche vierzehn Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestiegen hatte, befeuerte mit seinen Äusserungen die ablehnende Haltung zahlreicher anderer, wobei er die Sicherheitsaspekte unberücksichtigt liess.
Übersehen wird dabei auch, dass Flaschensauerstoff eine lange Tradition hat im Alpinismus. Auch George Mallory und Andrew Irvine waren bei ihrem Versuch am Mount Everest 1924 mit Sauerstoffflaschen unterwegs gewesen. Erst durch den Erfolg von Messner und Habeler am Mount Everest 1978 wurde der Verzicht auf Zusatz-Sauerstoff im Höhenbergsteigen zum höchsten und einzig wahren Ziel erhoben. Was allerdings viele Alpinistinnen und Alpinisten das Leben kostete.
Am Donnerstag werden die Rekord-Bergsteiger, die für ihren Aufstieg neben Xenon auch Hypoxie zu Hause sowie Flaschensauerstoff nutzten, im Basislager zurückerwartet. Dann können nur noch die Flüge dem erfolgreichen Abschluss des Projekts im Weg stehen. Sie waren von Anfang an die grösste Unwägbarkeit dieser ambitionierten Everest-Expedition.
Läuft jedoch weiterhin alles nach Plan, so werden die vier spätestens am Samstag wieder zurück in London sein. Dann hätten Garth Miller, Alistair Carns, Anthony Stazicker und Kevin Godlington ihr Ziel innert sieben Tagen erreicht.