Giorgio Armani gilt als einer der einflussreichsten Modemacher des 20. Jahrhunderts. Das Erfolgsgeheimnis des stilprägenden «Mode-Königs» ist vielfältig. Doch zur Ikone wurde ein Jackett.
Er war eine Ausnahmefigur der schnelllebigen Modewelt. Zum kleinen Kreis der grossen Modeerneuerer des 20. Jahrhunderts gehörend, hatte Giorgio Armani feine Antennen für Mode als Ausdrucksmittel sozialer Zugehörigkeit und als Medium freier Persönlichkeitsentwicklung – das heisst dafür, wie man sich verändert und Individualität kommuniziert.
Diese Doppelbedeutung von Modekultur in einen neuen Stil zu übersetzen, gelang in den 1970er Jahren dem damals dreissigjährigen Modeschöpfer und Jungunternehmer Giorgio Armani. Die von ihm verwendete Farbpalette neutraler Farben – weiss, grau und beige, das sogenannte «Armani-Greige» – und hochwertige Stoffe deckten sich mit dem allgemeinen Code «eleganter Chic». Gleichzeitig versprachen von Armani entwickelte Schnitttechniken unverwechselbaren individuellen Körperausdruck.
Dass der Modedesigner Frauen um Nuancen maskuliner und Männer um Nuancen femininer kleidete, spiegelt das Selbstverständnis eines modernen Paares, das sich alles teilt und sich über konventionelle Geschlechterrollen hinwegsetzt. So gesehen lässt die sinnliche und erotische Ausstrahlung des Armani-Looks genau das auf der Haut spüren, was für das Kulturgut «Mode» zur wichtigsten Umwälzung des 20. Jahrhunderts gehört: freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichberechtigung und Lockerung gendertypischer Verhaltensmuster.
Das Armani-Jackett
Giorgio Armanis Erfindungen zählen heute zu den Klassikern der Mode des 20. Jahrhunderts. Doch 1975, als der talentierte Modeschöpfer mit seinem Partner, dem Architekten Sergio Galeotti, das Mailänder Unternehmen Giorgio Armani SpA für Herrenkleidung begründete, brach er mit dem «klassischen Stil», die einzelne Form aus der Norm einer übergeordneten Struktur abzuleiten.
Zum Eckpfeiler dieser Stilrevolution wurde das «Armani-Jackett», die Ikone der Garderobe des «New Man». Hierfür lockerte der junge Modeschöpfer den «steifen» Schnitt des konventionellen Herrenanzugs. Weniger Knöpfe, weniger Kragen, kein Schulterpolster – Schluss mit scharf geschnittenen, starren Kanten! Derartig «dekonstruiert», veränderte sich Kleidung zu einer den Körper umschmeichelnden Hülle aus Textilien, die sich angenehm anfühlen: Leinen, Seide, Kaschmir.
Leicht zerknitterte Stoffe, lockerer Schnitt, weiche Nähte und Falten mochten damals aus der Sicht des traditionsreichen italienischen Schneiderhandwerks kaum als «perfetto» gelten. Aber Armani war kein «sarto», kein Schneider im herkömmlichen Sinn, sondern ein Neues wagender «stilista». Er blickte über den Schneidetisch weit hinaus, beobachtete den gesellschaftlichen Wandel aufmerksam und hatte ebenso ein Auge für Ikonen der Modegeschichte.
1980 präsentierte Armani seine erste Damenkollektion. Als Inspirationsquelle knüpfte der junge Modemacher an Kreationen von Coco Chanel an. Im Kontrast zum farbneutralen «Greige» erinnern Symphonien wunderschöner Blautöne der Armani-Kollektionen an das legendäre Jeanne-Lanvin-Blau. Die kreative Vielseitigkeit des Mailänders wiederum lässt an Jean Patou denken. Folglich regten die 1920er und 1930er Jahre die Phantasie des Newcomers an und stiessen das Tor auf zu einer märchenhaften Karriere. Sie verbreitete «Fashion made in Milan» in aller Welt.
Italo-Chic
Ein erster Höhepunkt der Erfolgsgeschichte markierte ein Defilee der Armani-Kollektion vor dem Rockefeller Center in New York im Jahr 1980. Das Medienecho in der amerikanischen Presse bewies, dass der ebenso edle wie lässige Italo-Chic dem Lifestyle junger Grossstädter entsprach, die selbstbewusst ihren eigenen Weg gingen. Im Kontrast zum extravaganten Modestil Pariser Couturiers und zu Rebellen wie Thierry Mugler oder Jean Paul Gaultier versprachen die Kreationen des Mailänders einen Sex-Appeal, der auf Natürlichkeit und sinnlich-eleganter Ästhetik gründete.
Die USA wurden denn auch für das Unternehmen «Giorgio Armani» zum wichtigsten Absatzmarkt. Celebrity-Dressing und Kostümausstattung von Hollywoodfilmen wie «American Gigolo» (1980) erwiesen sich als optimales Style-Placement. Ungeachtet seiner Erfolge verlor der Padrone des Modehauses nicht den Bezug zur Realität und zum Business. Dazu gehörte die Ausweitung des Labels «Giorgio Armani» auf mehrere Linien.
1990 öffnete an der Mailänder Via Manzoni der Armani Megastore. Der stilisierte Adler mit der Initiale «GA» weitete sein Reich der Stilästhetik mächtig aus, von Fashion auf Accessoires, Kosmetik, Parfums, Interieur, Café und Hotel. Dass der Modemacher ein eigenes Kaufhaus einrichtete, erinnert an Zeiten, als der Studienabbrecher Giorgio Armani im Mailänder Kaufhaus La Rinascente Schaufenster dekorierte und später in der Abteilung Einkauf Herrenmode arbeitete. Gut vorstellbar, dass der ehemalige Medizinstudent damals im Konsumtempel Rinascente ins Träumen geriet: Wie wäre es, wenn eine solche Luxuswelt, allein von mir geschaffen, mir gehörte?
Leidenschaft und Augenmass
Träumen, das mochte der junge Giorgio, der aus der Heimatstadt Vicenza mit seiner Familie nach Mailand gezogen war, gerne. Zumeist am Wochenende, wenn in einem Mailänder Vorstadtkino Filme über die Leinwand flimmerten. Empfindsamkeit in ihm geweckt habe, so der filmbegeisterte Armani, das neorealistische Erstlingswerk von Luchino Visconti «Ossessione» (1943).
Leidenschaft durch das Augenmass des ästhetisch Massvollen und Harmonischen filtern zu können, festigte den Welterfolg des Mode-Königs. Ebenso, dass er bei Nino Cerruti von Grund auf das Schneiderhandwerk erlernt hatte. Dass er seinem eigenen Auge und seiner Intuition vertraute, war ein Schlüssel, Modegeschichte zu schreiben. Sein Lebenswerk würdigte schon 2000 eine glanzvolle Retrospektive im Guggenheim Museum in New York. Die Triennale Mailand widmete ihm 2007 eine Schau der Superlative. 2010 signalisierte die Eröffnung des «Armani Hotel» im Burj Khalifa, Dubai, dass «Armani-total-Chic» in der arabischen Welt angekommen war.
Armani-Mythos
Im Frühjahr 2015 feierte der Modemacher das 40-Jahr-Firmenjubiläum. Er eröffnete sein Museum, die Armani/Silos in Mailand, und er webte am Stoff des eigenen Mythos. «Fare una bella figura» – gut aussehen und Haltung bewahren, das ist es, was er vorlebte und was seine Entwürfe sanft, aber mit Nachdruck kommunizieren.
Ein Auftritt im silbern schimmernden, den Körper umspielenden Armani-Abendkleid vermittelt der Frau ein Gefühl von «bellezza» und «saggezza», von weiblicher Klugheit und sinnenfreudiger Schönheit. Armanis Kollektionen animieren zu geschmeidigen Bewegungen. Schreiten, marschieren, stolzieren – solche Gangarten waren für Armani ein Graus, «lauf doch einfach wie eine Frau», ermahnte er die Models vor der Show und sprach damit an, dass nicht das «Giorgio Armani»-Label allein eine sexy Ausstrahlung, Anmut und Stil verleiht.
Wer folgt ihm nach? – Selbst im hohen Alter kürte der Star italienischen Modedesigns offiziell keinen Kronprinzen zum künstlerischen Leiter seines Imperiums. Auf Fragen diesbezüglich antwortete er lapidar, dass es keinen zweiten Giorgio Armani geben werde . Anstatt einen begabten Fashion-Stylisten als Nachfolger aufzubauen, schlug «Re Giorgio» mit über achtzig einen anderen Weg ein. Er konsolidierte sein Mode-Reich durch Reduktion.
Als er im Frühjahr 2017 das Ende der seit 1979/1981 bestehenden, autonomen Linien «Armani Jeans» und «Armani Collection» verkündete, kam dies einer Sensation gleich. Was nach einem Bruch mit der Tradition des Modehauses aussah, entpuppte sich als konsistente Strategie, für Beständigkeit des eigenen Hauses in wirbligen Zeiten der Umbrüche der Modewelt Sorge zu tragen. Widerstandsfähigkeit gegen Schnelllebigkeit und «costanza» durch weichen Linienumschwung – vor allem auch diese Eigenschaft verschaffte Armanis Fashion-Imperium Welterfolg und Dauer. Am Donnerstag ist Giorgio Armani im Alter von 91 Jahren in Mailand gestorben.