Welche Rolle spielt der Schweizer Finanzplatz für die Finanzierung des Hamas-Terrors? Noch gibt es einzig Verdachtsmeldungen, doch die Behörden sind in erhöhter Alarmbereitschaft – einst wurde in Zürich und Genf ein grosser Teil des Vermögens der palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet.
Einiges Aufsehen erregte eine Warnung, die die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) im vergangenen November, im Nachgang zum Angriff der Hamas auf Israel, an die Schweizer Finanzintermediäre verschickte. Als Finanzintermediäre gelten Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter und Zahlungsverkehrsdienstleister.
In ihrem Aufruf wies die Meldestelle MROS explizit auf den möglichen Missbrauch von gemeinnützigen Organisationen hin: Kampagnen zur Finanzierung von Terrorismus würden häufig unter dem Deckmantel von Spendenaufrufen für humanitäre Hilfe durchgeführt. Das könnten Verbände, Wohltätigkeitsorganisationen oder auch private Initiativen sein.
Seit der Warnung des Schweizer Finanzplatzes sind bei der MROS, die dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) unterstellt ist, rund zwei Dutzend Verdachtsmeldungen eingegangen. Das hat Fedpol-Sprecher Christoph Gnägi auf Anfrage der NZZ bekanntgegeben. Laut Gnägi stehen die Meldungen vor allem im Zusammenhang mit Geldtransfers zum Zweck der humanitären Hilfe.
Grundlegende Fragen
Weitere Angaben zum Inhalt und zum Stand der Bearbeitung – die Meldungen werden gegebenenfalls an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet – machte der Sprecher nicht. Er wies aber darauf hin, dass die Zahl der Meldungen nicht aussergewöhnlich sei: Bei der humanitären Hilfe in gewissen Ländern stellten sich grundlegende Fragen hinsichtlich Begünstigter und Mittelverwendung, was zu gehäuften Meldungen führe.
Bei der MROS scheint man das Risiko einer rufschädigenden Rolle der Schweiz bei der Terrorismusfinanzierung ernst zu nehmen, ähnlich wie nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001. So reichte die Meldestelle den Finanzintermediären rund einen Monat nach der ursprünglichen Warnung eine 27-seitige Ergänzung nach.
Das Papier, das der NZZ vorliegt, ergänzt die Typologien der Terrorismusfinanzierung. Diese umfasse nicht nur die direkte Finanzierung von Terrorakten, sondern auch die Finanzierung von Propaganda, Rekrutierung, Ausbildung, Reisen, täglichen Lebenshaltungskosten und anderen operativen Bedürfnissen von Terrorismusorganisationen wie der Hamas.
Erwähnt werden in dem Papier auch die verschiedenen Methoden der Terrorismusfinanzierung, von Cash-Transaktionen über Crowdfunding mit Kryptowährungen bis zu informellen Werttransfersystemen wie Hawala. Zu den Non-Profit-Organisationen schreibt die MROS, dass diese von Terroristen missbraucht werden können, weil sie das Vertrauen der Öffentlichkeit geniessen.
Im Jahr 2022 waren bei der MROS 59 Meldungen eingegangen. Das führte zu fünf Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden. Rechtskräftige Urteile wegen Terrorismusfinanzierung sind in der Schweiz nicht bekannt. Das hängt auch damit zusammen, dass der Straftatbestand subsidiär wirkt und zurücktritt, wenn ein spezifischer, konkreter Terrorakt finanziert wird. Zudem wird der Eventualvorsatz, also wenn die Möglichkeit der Terrorismusfinanzierung lediglich in Kauf genommen wird, in der Strafnorm von einer Bestrafung explizit ausgeschlossen. Ein SP-Vorstoss, der dies ändern wollte, scheiterte im Herbst 2016 im Nationalrat klar.
Noch kein Verbot der Hamas
Die Schweiz ist eines der wenigen westlichen Länder, in denen die Hamas nach wie vor nicht verboten ist. Zwar hat der Bundesrat im Februar eine entsprechende Gesetzesvorlage in die Vernehmlassung geschickt. Doch wie häufig liegt der Teufel im Detail, und für die parlamentarische Beratung zeichnen sich Differenzen zur exakten Formulierung ab.
Sobald die Gesetzesänderung mit dem Verbot der Hamas – und verwandter Organisationen – in Kraft tritt, rechnet die Bundesanwaltschaft (BA) mit einem markanten Anstieg der Fälle, wie Bundesanwalt Stefan Blättler vergangene Woche vor den Medien bekanntgab. Bereits vor dem 7. Oktober hatte die BA wegen mutmasslicher Geldzahlungen an die Hamas ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation eingeleitet. Gegen wen sich die Ermittlungen richten und wie sie ausgelöst wurden, gibt die BA weiterhin nicht bekannt. Denkbar wären eine Verdachtsmeldung an die MROS oder Informationen aus dem Ausland.
Einst spielte der Schweizer Finanzplatz eine zentrale Rolle bei der Verwaltung von palästinensischen Geldern. Das war Mitte der 1990er Jahre, nach den Abkommen von Oslo, die einen autonomen palästinensischen Staat im Westjordanland und im Gazastreifen vorsahen. Als Folge der Oslo-Abkommen musste Israel verschiedene Guthaben an die palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) beziehungsweise an die palästinensischen Autonomiebehörden (PA) abtreten.
Pensionskassengelder aus Gaza bei der CS
So flossen Hunderte von Millionen Dollar auf Konten der PLO und der PA. Der «Spiegel» schrieb 1997 von der «reichsten Befreiungsbewegung der Welt». Da der damalige PLO-Chef Yasir Arafat befürchtete, die USA könnten die Konten dereinst einfrieren, steuerte er sie nach Europa und da vor allem in die Schweiz. So landeten rund 150 Millionen Dollar des Pensionskassenfonds von Gaza auf einem Konto der Credit Suisse (CS) in Zürich.
Verwaltet wurde das CS-Konto mit den palästinensischen Pensionskassengeldern zeitweise von der Zürcher Vermögensverwaltung Belesta Asset Management AG. Federführend war der israelisch-schweizerische Doppelbürger Arie G. «Wir hatten den Vorteil, Israeli zu sein», sagte er damals der «Financial Times». «Das machte es für die Palästinenser einfacher, das Geld von der israelischen Regierung zu erhalten.»
Die neuen Verantwortlichen der Nachfolgefirma der Belesta Asset Management AG halten auf Anfrage fest, der Besitzerwechsel sei vor vielen Jahren erfolgt. Die heutige Firma habe nie irgendwelchen Kontakt (weder direkt noch indirekt) mit palästinensischen Personen oder Unternehmen gehabt. Die Medienstelle der CS-Einheit – die heute zur UBS gehört – beantwortet eine Anfrage mit den Worten: «Wir kommentieren diese Sache nicht.»
Ein weiteres Konto mit palästinensischen Geldern im Wert von zeitweise über 200 Millionen Dollar war in den Jahren vor und nach 2000 bei der Genfer Privatbank Lombard Odier angelegt. Die Verwaltung dieses Kontos übertrug PLO-Chef Arafat zwei ehemaligen Mitgliedern des israelischen Geheimdiensts Shin Bet. Diese investierten einen Grossteil des Geldes in das ägyptische Telekommunikationsunternehmen Orascom Telecom von Naguib Sawiris – ein riskantes Investment, das sich aber als äusserst lukrative Investition herausstellen sollte.
Gemäss Recherchen der «Financial Times» hatte die Genfer Privatbank vereinbart, dass die palästinensischen Gelder nicht für Krieg oder andere gewaltsame Operationen verwendet werden dürfen. Als Folge der Intifada, für die auch PLO-Chef Arafat verantwortlich gemacht wurde, löste Lombard Odier (heute: Lombard Odier Darier Hentsch) das Konto Ende 2001 auf. Die Genfer Privatbank befürchtete Sanktionen der USA aufgrund Arafats Verwicklung in die Intifada.
Im Buch «West Bankers» des «Wall Street Journal»-Journalisten Benoit Faucon werden weitere Finanzinstitute und Auslandbanken in Genf und Zürich genannt, die um die Jahrhundertwende oftmals zweistellige Millionenbeträge der palästinensischen Behörden verwalteten.
Schweiz in Task-Force gegen Hamas-Finanzierung
Was im Fall der PLO beziehungsweise der PA zum damaligen Zeitpunkt legitim gewesen sein mag, ist im Fall der Hamas spätestens seit dem brutalen Überfall auf Israel im vergangenen Oktober nicht tolerierbar. So hat sich die Schweiz im vergangenen Herbst, von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, einer internationalen, von den USA geführten Task-Force gegen die Finanzierung der Hamas und anderer Terrororganisationen angeschlossen.
Dieser Schritt ist auch deshalb bemerkenswert, weil sich die Schweiz bis heute nicht dazu durchgerungen hat, einer anderen internationalen Task-Force beizutreten, jener zur Suche nach russischen Oligarchengeldern.