Im Streit um den Mord an einem Sikh-Aktivisten in Kanada ist es zum Eklat gekommen: Ottawa weist sechs Diplomaten aus, die in das Mordkomplott verwickelt gewesen sein sollen. Delhi bezeichnet die Vorwürfe als politisch motiviert.
Der Streit zwischen Indien und Kanada schwelte schon länger, doch nun ist es zum Eklat gekommen: Die kanadische Regierung warf Indien am Montag vor, mit Gewalt und Drohungen gegen Sikh-Separatisten in Kanada vorzugehen. Da Delhi nicht zur Kooperation bereit gewesen sei, habe Kanada sich entschlossen, den indischen Botschafter in Ottawa und fünf weitere Diplomaten auszuweisen, die in illegale Aktivitäten verwickelt gewesen seien. Indien reagierte empört und verwies ebenfalls sechs kanadische Diplomaten des Landes.
Die Vorwürfe gegen Indien wiegen schwer. Bei einer Pressekonferenz am Montag warf der kanadische Polizeichef Mike Duheme Vertretern der indischen Regierung Beteiligung an Mord, Erpressung, Einschüchterung und Nötigung vor. Der Chef der Royal Canadian Mounted Police (RCMP) sagte, Kanada habe sich entschlossen, die Ermittlungsergebnisse zur Verwicklung der Inder in kriminelle Aktivitäten öffentlich zu machen, nachdem alle diplomatischen Gespräche gescheitert seien.
Kanadas Premierminister Justin Trudeau hatte das Thema am letzten Donnerstag bei einem Treffen mit seinem indischen Amtskollegen Narendra Modi am Rande des Asean-Gipfels in Laos angesprochen. Trudeau sagte am Montag, er habe Modi bei dem Gespräch gedrängt, bei den Ermittlungen zu kooperieren. Ein Treffen der Berater für nationale Sicherheit beider Länder in Singapur habe am Wochenende aber keine Fortschritte gebracht, beklagte Trudeau.
Keine Annäherung bei Gesprächen auf höchster Ebene
Die Kanadier hätten in Singapur die Ergebnisse der RCMP-Ermittlungen mit den Indern geteilt, doch habe die indische Regierung entschieden, nicht zu kooperieren, sagte Trudeau. Er betonte, Kanada akzeptiere voll und ganz die territoriale Integrität Indiens, doch gefährdeten Indiens Aktivitäten in Kanada die öffentliche Sicherheit. So hätten indische Agenten heimlich Informationen gesammelt und Kanadier südasiatischer Abstammung bedroht und sogar ermordet. Dies sei inakzeptabel, sagte der kanadische Premierminister.
Auslöser des Streits war die Ermordung des Sikh-Führers Hardeep Singh Nijjar im Juni 2023 gewesen. Nijjar war ein Anführer der Khalistan-Bewegung, die für einen eigenen Sikh-Staat in Indien eintritt. Trudeau warf Indien im September 2023 vor, in den Mord verwickelt gewesen zu sein. Delhi wies dies empört zurück und beschuldigte Kanada seinerseits, Terroristen Zuflucht zu bieten, die mit Gewalt für die Abspaltung eines Sikh-Staats im Nordwesten Indiens kämpften.
Kanadas Aussenministerin Mélanie Joly sagte, ihr Land habe sich nun zur Ausweisung von sechs Diplomaten entschieden, nachdem die indische Regierung es abgelehnt habe, ihre diplomatische Immunität aufzuheben, damit sie an den Ermittlungen mitwirken könnten. Die sechs Diplomaten seien bei dem Mord an Nijjar «Personen von Interesse», sagte Joly. Unter den ausgewiesenen Diplomaten ist auch Indiens Botschafter Sanjay Kumar Verma.
Delhi sieht Versuch, Wählerstimmen zu gewinnen
Das Aussenministerium in Delhi reagierte prompt und wies sechs kanadische Diplomaten aus, unter ihnen den amtierenden Botschafter Stewart Wheeler. Die Vorwürfe aus Ottawa bezeichnete das Ministerium als absurd und politisch motiviert. Es sei ein Versuch von Trudeaus liberaler Partei, Wählerstimmen unter den Sikhs in Kanada zu gewinnen. Das Ministerium betonte zudem, es habe seine eigenen Diplomaten freiwillig abgezogen, da die Atmosphäre des Extremismus und der Gewalt in Kanada sie in Gefahr gebracht habe.
Das diplomatische Zerwürfnis ist beispiellos und ein schwerer Schlag für die historisch engen Beziehungen. Kanada ist wegen seiner liberalen Einwanderungspolitik seit langem ein bevorzugtes Ziel für indische Migranten. Heute lebt dort eine grosse Gemeinde indischer Herkunft. Trudeau betonte denn auch die lange Geschichte der Beziehungen zwischen den beiden Ländern und versicherte, Kanada habe kein Interesse, dieses Verhältnis zu gefährden.
Laut den kanadischen Ermittlern war die berüchtigte Gangster-Bande von Lawrence Bishnoi an dem Mord an Nijjar beteiligt. Pikanterweise wird die Bishnoi-Gang auch verdächtigt, am Samstag einen früheren Abgeordneten in Mumbai ermordet zu haben. Der Mord an Baba Siddiqui wirft in Indien seit Tagen hohe Wellen. Siddiqui wurde am Abend beim Verlassen des Hauses seines Sohnes erschossen. Die Polizei vermutet, dass der 31-jährige Lawrence Bishnoi aus dem Gefängnis, in dem er inhaftiert ist, den Mord in Auftrag gegeben hat.
Auch die USA erhöhen den Druck auf Indien
Brisant für Indien ist, dass gleichzeitig auch die USA den Druck auf Delhi erhöht haben. Sie verdächtigen einen indischen Agenten, in ein anderes Mordkomplott gegen einen Sikh-Aktivisten verwickelt zu sein. Ein Sprecher des amerikanischen Aussenministeriums teilte mit, Mitglieder eines indischen Ermittlungsausschusses, der zur Prüfung der Vorwürfe im Fall von Gurpatwant Singh Pannun gebildet worden war, würden am Dienstag zu Gesprächen in Washington erwartet.
Indische Medien berichteten, das Vorgehen sei offensichtlich mit Kanada abgestimmt. Ein hoher indischer Regierungsvertreter sagte dem «Indian Express», es sei ein von Amerikanern und Kanadiern gelegter Hinterhalt. Die kanadische Regierung teilte zudem mit, sie kooperiere in der Sache mit ihren Partnern im Five-Eyes-Verbund, in dem die USA, Australien, Grossbritannien, Kanada und Neuseeland Geheimdienstinformationen austauschen. Insbesondere mit den Briten und Amerikanern gebe es eine intensive Abstimmung in der Frage.