Die grosse Kammer versucht in der anstehenden Sondersession, Pendenzen abzubauen. Das Unterfangen ist zum Scheitern verurteilt.
Der Ständeratspräsident mahnt die Standesvertreter zur Zurückhaltung bei der Einreichung persönlicher Vorstösse. Es sei auf die Qualität zu achten «durch Verzicht auf Überborden bei der Quantität». In der vorgehenden Session seien 31 Vorstösse eingereicht, jedoch nur 14 bearbeitet worden. Deshalb sei eine spezielle Nachmittagssitzung nötig gewesen.
Das war vor 30 Jahren, zu Beginn der Frühjahrssession 1994. Der Ständeratspräsident hiess Riccardo Jagmetti, FDP-Politiker aus dem Kanton Zürich. Seither hat sich in Bundesbern vieles verändert. Nur die von Jagmetti beklagte «Motionitis» ist geblieben. Zumindest im Nationalrat.
Über 150 Vorstösse à 8000 Franken
Dessen 200 Mitglieder kommen ab Montag zusammen, vor allem, um den angestauten Berg an Vorstössen abzubauen. Philippe Schwab, der Generalsekretär der Bundesversammlung, bezeichnete solche sogenannten Sondersessionen einmal als «Nachholsitzung». Die Zeitungen von CH Media sprachen von einer «Nachsitzrunde». Von einer Strafaufgabe wollen indes die wenigsten Nationalräte etwas wissen.
Immer mehr von ihnen leben von der Politik. Kann man auch gut: Mit den Sitzungsgeldern (440 Franken pro Tag), Spesenentschädigungen sowie 33 000 Franken für allfällige Mitarbeiter kommen die Nationalräte im Jahr auf gut 130 000 Franken. Die zuständige Kommission des Nationalrats wollte jüngst noch mehr Geld, auch den Sessionsrhythmus wollte sie «familienfreundlicher» gestalten. Es sei öfter abends zu sitzen statt viermal jährlich drei Wochen.
«Eine für alle ideale Lösung kann kaum gefunden werden», sagte dazu die Kommission des Ständerats. Und lehnte die Forderungen am vergangenen Montag ab. Sie sprach sich auch gegen die «Lohnerhöhung» in eigener Sache aus. Das Milizsystem ist derweil längst am Anschlag. Die einen wollen es retten, indem sie es weiter aufblähen. Andere wollen es straffen.
Thomas Burgherr will sich nächste Woche wenigstens den aussenparlamentarischen Verwaltungskommissionen widmen. Der Aargauer SVP-Nationalrat verlangt, dass die Liste wo immer möglich gekürzt werden solle. Der Bundesrat ist allerdings dagegen. Er findet, dass mit der Verschiebung der Aufgaben der Kommission für Stalleinrichtung oder der Kommission für die eidgenössische Diplomprüfung für beeidigte Edelmetallprüferinnen und -prüfer in die Verwaltung schon genug gemacht worden sei. Es gibt Berichte dazu. Und alles geht seinen Gang.
Seit Jagmetti sind es vor allem Vertreter der FDP, die sich für ein schlankeres Parlament einsetzen. Der frühere Luzerner Nationalrat Georges Theiler verlangte etwa mit einem «Vorstoss gegen die Vorstossflut» eine Kontingentierung pro Ratsmitglied und pro Fraktion. Auch sein Tessiner Kollege Fabio Abate wollte das Recht der Parlamentarier, Vorstösse einzureichen, «eingeschränkt» oder zumindest geregelt haben.
Unter der Fraktionschefin Gabi Huber verlangte die FDP, dass die Kosten, die allein durch die Beantwortung eines Vorstosses entstehen, jedes Mal ausgewiesen würden. Heute werden die Kosten eines Vorstosses auf bis zu 8000 Franken geschätzt. Allein in der nächsten Woche sind es weit über 150 Motionen, Postulate und Initiativen – man rechne.
Deshalb versucht auch Marcel Dobler sein Glück. Der Unternehmer schlägt eine Erfolgsbilanz vor. Demnach sollen die Parlamentsdienste einmal pro Legislatur eine öffentlich zugängliche Zusammenstellung machen und dabei aufzeigen, «welche Vorstösse von welchem Ratsmitglied eine Mehrheit gefunden haben und überwiesen worden sind und welche nicht». Sein Vorstoss ist jetzt schon zum Scheitern verurteilt.
Mehr abbauen statt auftürmen
Die Ideen können noch so gut sein, bis jetzt wurde jeder Vorschlag, den Parlamentsbetrieb effizienter zu machen, abgelehnt. Also bleibt vorerst nur die Sondersession, die nicht mit der ausserordentlichen Session zu verwechseln ist. Letztere kann von mindestens einem Viertel der Ratsmitglieder verlangt werden – bei besonders dringlichen Themen, wie dem Untergang der Credit Suisse vor einem Jahr.
Bei der anstehenden Sondersession geht es mehr um einen Frühlingsputz. Das merkt man unter anderem an den zahlreichen Vorstössen, die übernommen werden müssen, weil deren Urheber gar nicht mehr im Parlament sitzen. Die SVP will, dass der Bund den Bundesplatz kauft, die Grünen wollen autofreie Samstage. Der Entscheid aus Strassburg, die Schweiz mache zu wenig für den Klimaschutz, dürfte die eine oder andere Debatte zusätzlich befeuern.
Die Vorstösse gehören praktisch alle der Kategorie IV an, Kurzdebatte. Ein Ende ist also in Sicht; ob es für alle Vorstösse reicht, ist derweil unklar. Dazu droht der Sondersession ein Sondereffekt: So wurden während der Ausgabe 2022 mehr neue Vorstösse eingereicht als abgebaut. Der Nationalrat ist ohnehin zehnmal «produktiver» als der knapp viermal kleinere Ständerat. Vielleicht haben sich die Ständeräte die Worte von Jagmetti zu Herzen genommen. Zu viele Vorstösse erhöhten nicht nur die Arbeitslast, sagte der damalige Ratspräsident. Eine zu grosse Menge lasse auch Rückschlüsse auf den Wert der Vorstösse selbst zu.