Ein Fondueplausch wird zum Kulturaustausch – Rühr- und Lehrstück mit Tücken hinter dem Zürcher Paradeplatz.
Um in eine Kultur einzutauchen, steckt man den Kopf am besten in ihre Töpfe, Pfannen oder Caquelons. Das gilt auch für die zugewandten Zugewanderten, die ich seit zwei Jahren in einem Kurs an unsere Mundart heranführen darf.
Was man unter einem Znüni, einem Tirggel, einer Rande versteht und dass ein Müesli schmackhafter ist als ein Müsli, das nämlich eine kleine Maus ist, haben sie längst verinnerlicht. Doch ohne praktische Anwendung wird das Lernen dröge, also wollen wir uns diesmal bei einer helvetisch geprägten Mahlzeit unterhalten.
Letztes Jahr besuchten (und besprachen) wir zusammen das persisch inspirierte «Banoo» in Rapperswil, auf Empfehlung einer Kursteilnehmerin mit iranischen Wurzeln. Nun wird der Kulturtransfer umgedreht. Es gilt zu beweisen, dass das von der Trendgastronomie überstrapazierte Sharing-Prinzip hierzulande schon lange üblich ist: Alle am Tisch rühren in einem Fondue.
Dafür einen dieser stickigen Bretterverschläge aufzusuchen, die winters die Innenstädte heimsuchen und sich als Alphütten aufspielen, kommt nicht infrage. Diese Spezialität schmeckt ohne Vorspiegelung ländlicher Tatsachen genauso gut, wenn nicht besser: Sie bietet, solange es kein aufgewärmtes Fertigprodukt ist, im Grunde immer und überall Genuss.
Wir landen mitten im Zürcher Stadtzentrum, in der «Milchbar» an der Kappelergasse. Das ist ein Betrieb mit jahrzehntelanger Tradition, den vor zehn Jahren die umtriebige Péclard-Gruppe übernommen und neu aufgestellt hat. Nun ist die täglich von früh bis spät geöffnete Lokalität multifunktional: zweigeschossiges Restaurant, Delikatessenladen, Caffè-Bar und Hotel, wenn auch nur mit einem einzigen Bett.
Gleich hinter dem Paradeplatz belebt die «Milchbar» so den gastronomisch dürftig ausgestatteten oberen Teil der Bahnhofstrasse Richtung See – und bietet an bester Lage ein Open-Air-Fondue an. Serviert wird es im Schutz der prächtigen Arkaden im Innenhof und im Durchgang, sympathischerweise nicht nur im Winter. Für Gfrörli liegen Decken bereit, und selbst ohne Reservation lässt sich an diesem Abend ein Tisch für acht ergattern. Es bietet sich ein ruhiges Umfeld für Konversation, das Hauptziel unserer multinationalen Kursgruppe.
Das Pièce de Résistance, comme il faut in rot emaillierten Caquelons serviert, überzeugt mit sämiger, homogener Konsistenz, schön eingebundener Säure und dezenter Würze. Als Urheber der Mischung wird Franz Faeh ausgewiesen, der Culinary Director des «Gstaad Palace». Das Luxushotel ist Schauplatz einer leider platten Polanski-Komödie, die gerade im Kino läuft und so lauwarm ist, wie unser Fondue aufs Rechaud kommt. Es liegt der Schluss nahe, dass dem zugewanderten Personal etwas mehr Schulung guttäte in der Handhabung dieser Nationalspeise.
Das dazu gereichte Ruchbrot ist jedoch eine tadellose Wahl (dass sich manchenorts frisches Baguette zum Fondue gesellt, ist eine Unsitte). Zusätzlich gibt’s Kartoffeln, Essiggurken, Silberzwiebeln. Doch was zum Teufel hat das NZZ-Logo auf den Servietten zu suchen? Es muss sich um Restposten aus dem inzwischen geschlossenen Nachtklub-Café handeln, das die Péclard-Crew im Redaktionssitz betrieben hat.
Beim Rühren erörtern wir, warum die köstliche Kruste im Welschland wohl «Religieuse» und in Zürich «Grossmueter» genannt wird. Und was geschieht, wenn jemand seinen Brotwürfel in der Käsemasse verliert? Man einigt sich am Tisch im Scherz auf eine lokale Spielart: «Füdliblutt um de Paradeplatz ränne!»
Doch zur Strafaufgabe wird niemand genötigt, nicht einmal der nette Kellner, der am Ende fragt: «Könnte ich Sie dann mal abkassieren?» Das tut in hiesigen Ohren geradezu weh, passt aber ganz gut zum Preis: 38 Franken pro Person (à discrétion wären’s 52 Franken), allfällige Trüffeln 8 Franken extra. Die Rechnung ist leicht höher als jene in Rapperswil fürs persische Mahl, dessen diverse Gänge wir zu Hause kaum je so gut hinbekommen hätten.
Der Fondue-Preis ist selbst für Zürich exorbitant. Dass diese Stadt zu den teuersten Pflastern der Welt zählt, braucht man niemandem mehr beizubringen, und die letzte Lektion lautet: Ein formidables Fondue bereiten wir günstig daheim zu. Mit der richtigen Käsemischung (etwa vom Berner Chäsbueb oder der Caseificio del Gottardo) und etwas Know-how (eine Prise Natron macht es bekömmlicher) ist das keine Hexerei. Und stellt man nach dem geselligen Gelage je ein Schälchen mit Kaffeepulver und mit Essig auf, stinkt’s tags darauf auch nicht mehr. En Guete mitenand!
Restaurant
Milchbar
Kappelergasse 16, 8001 Zürich.
Telefon 044 211 90 12.
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
Die Sammlung der NZZ-Restaurantkritiken der letzten fünf Jahre finden Sie hier.