Nach dem Streit mit einem Kunden beschliesst Dürer 1511, keine Altarbilder mehr zu malen. Die Historikerin Ulinka Rublack untersucht das Verhältnis von Kunst und Kommerz in der frühen Neuzeit.
Zwei Jahre lang musste sich der reiche Frankfurter Kaufmann Jakob Heller gedulden, bevor die bei Albrecht Dürer in Nürnberg bestellte Altartafel endlich bei ihm eintraf. Das grossformatige Werk stellte die Himmelfahrt und Krönung Mariens dar und war Mittelteil eines Triptychons, welches das Ehepaar Heller im Frankfurter Dominikanerkloster zu ihrem Gedenken platzieren wollten.
Der teilweise erhaltene Briefwechsel zwischen Heller und Dürer aus den Jahren 1507 bis 1509 ist aufschlussreich. Er dokumentiert die Spannung zwischen einem Kaufmann, der auf eine sorgfältige, aber zügige Fertigstellung der Auftragsarbeit drängte, und einem Maler, der den ursprünglich vereinbarten Preis zu verdoppeln versuchte.
Beide Männer feilschten und drohten: der eine mit Vertragsabbruch, der andere mit dem Verkauf an einen grosszügigeren Kunstliebhaber. Der Inhalt des Gemäldes ist nirgends Thema. Es geht um Zeit, Geld und teure Materialien: «Hab ich nun länger denn ein Jahr daran gemacht und über 25 Gulden Ultramarin darein vermalt», klagt Dürer einmal.
Ein Verlustgeschäft
Er lieferte das Gemälde trotz allem ab, und Heller bezahlte schliesslich mehr als ursprünglich vereinbart. Der Patrizier wollte sich ein Gemälde von einem der angesehensten Maler leisten, und Dürer war es wichtig, in der Handels- und Krönungsstadt Frankfurt mit einem vortrefflichen Gemälde präsent zu sein. Er selbst erklärte mehrfach, er wolle «einen Ruhm erlangen» und deshalb «auch lieber diese Tafel zu Frankfurt, denn an einem anderen Ort in ganz Deutschland» ausgestellt wissen.
Für Dürer war der Heller-Altar ein Verlustgeschäft. In seinem vorletzten Brief kündigt er an, er werde sich jetzt wieder kleineren Gemälden und der Druckgrafik zuwenden: «Und hätte ichs bisher getan, so wollte ich auf den heutigen Tag 1000 Gulden reicher sein.»
1724 fiel der Altar den Flammen zum Opfer. Heute ist er bloss in einer Kopie erhalten. Er bildet den Ausgangspunkt für Ulinka Rublacks Buch «Dürer im Zeitalter der Wunder». Die in Cambridge lehrende Historikerin interpretiert Dürers Konflikt mit Heller als Bruch in seiner Vita. Danach malte er tatsächlich nur noch ein einziges Altarbild und beschränkte sich auf kleinere Formate und Druckgrafik.
Tulpen, Strümpfe, kostbare Münzen
In der Auseinandersetzung mit Heller wurde Dürer bewusst, dass sein in Venedig entwickeltes Selbstverständnis als Künstler nicht den Vorstellungen entsprach, die sich ein deutscher Kaufmann von einem malenden Handwerker machte. Vielleicht trieb ihn auch sein technischer Perfektionismus in den Ruin. Rublack äussert dies als durchaus plausible Thesen. Ob das Feilschen mit Heller bei Dürer ein tieferes Trauma hinterlassen hat, wie sie behauptet, bleibe dahingestellt.
Rublack vermutet auch, dass die aufsehenerregende Selbstdarstellung Dürers auf dem Bild als «Revanche» an Heller gesehen werden muss: Mitten in der Himmelfahrt der Maria hat sich der Maler selbst gemalt, neben einem Baum stehend, mit einem Namensschild in der Hand. Doch die These, dies sei als Spitze gegen den Auftraggeber zu verstehen, ist wenig wahrscheinlich.
Schon in früheren Bildern hatte sich Dürer prominent inszeniert. Etwa im «Rosenkranzfest» aus der Kirche San Bartolomeo in Venedig oder in der «Marter der zehntausend Christen», das er für den sächsischen Kurfürsten Friedrich III. gemalt hatte. In Dürers letztem Brief an Heller deutet zudem nichts auf eine entsetzte Reaktion Hellers hin. Oder auf Schadenfreude aufseiten Dürers.
Doch Rublack geht es in ihrem neusten Buch eigentlich gar nicht um Dürer, sondern vielmehr um das Entstehen einer frühmodernen Welt, in der darum gewetteifert wurde, wer die seltensten Gegenstände besass. Wer hatte die kostbarsten Muscheln in seiner Sammlung? Wer die exotischsten Federn, die teuersten Strümpfe, die vollständigste Sammlung römischer Kaisermünzen, die elegantesten Schnabelschuhe, die teuersten Rennpferde, die buntesten Tulpen – oder eben die beste Gemäldesammlung?
Der beste Dürer, den es gibt
Der Heller-Altar dient Rublack als Prisma für die Betrachtung eines neuen Verhältnisses von Kunstproduktion, Sammelpraxis und Handel in Europa. Sie konzentriert sich dabei auf die Zeit zwischen dem frühen 16. Jahrhundert und dem Dreissigjährigen Krieg (1618–1648). Dürer ist für Rublack in zweierlei Hinsicht ein interessanter Ausgangspunkt. Einerseits war er nicht nur Künstler, sondern auch ein Selbstdarsteller mit einer völlig neuartigen Selbstvermarktungsstrategie, der sich zunehmend auch als Händler, Vermittler von Kunstwerken und Sammler betätigte.
Anderseits galt Dürer bald selbst auch als «Rarität»: So wie Heller unbedingt einen Altar von seiner Hand haben wollte, wurden hundert Jahre später, im Zeitalter der Raritätenkabinette, Dürer-Gemälde zu regelrechten Jagdtrophäen. Verschiedene Herrscher versuchten, den Frankfurter Dominikanern den berühmten und vielbesuchten Heller-Altar abzukaufen, doch erst dem bayrischen Herzog Maximilian I. gelang dies 1614.
Nicht dass Maximilian sich besonders für Gemälde oder gar für Dürer interessiert hätte. Aber es gehörte zu einer fürstlichen Wunderkammer, Einzigartiges darbieten zu können. Und weil die reiche und gelehrte Welt Dürer wiederentdeckt hatte, musste Maximilian eben den besten Dürer erwerben, den es zu haben gab.
Seltene Dinge
Rublacks Buch darf als eine Art Verbindungsstück bezeichnet werden. Eines ihrer früheren Werke, «Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance», beginnt bereits mit Dürers modebewussten Selbstporträts. Zurzeit schreibt Rublack an einem Buch, das «The Triumph of Fashion» heissen soll und die Entwicklung der Mode vom Jahr 1300 an beschreiben wird.
Zwischen diesen Werken bildet «Dürer im Zeitalter der Wunder» eine lange und bisweilen wacklige Brücke. Nach dem ersten, dem Heller-Altar gewidmeten Teil befasst sich Rublack ausführlich mit dem Kaufmann Hans Fugger und seinen Geschäften am bayrischen Hof und mit dem Diplomaten Philipp Hainhofer, der als Kunstagent für verschiedene Fürstenhöfe tätig war. Da spielen Muscheln, Pferde, Stiefel und exotische Raritäten die Hauptrolle – und Dürer nicht einmal eine Nebenrolle. Sein Name blitzt bloss kurz auf, wo der bayrische Herzog nebst tausend anderen Dingen eben auch den Heller-Altar erwirbt.
Ulinka Rublacks Buch ist vor allem eine detaillierte Studie zum Aufstieg der Luxusgüter und zur Kommerzialisierung der Kunst in der frühen Neuzeit. Was die Autorin über die Wertschätzung Dürers durch Maximilian I. sagt, stimmt auch für viele andere Objekte, die sie Revue passieren lässt: Der Herzog schätzte den Maler nicht als grossen Künstler, der «Farbgebung und spirituellen Ausdruck beherrschte», sondern «wegen der Seltenheit der Stücke». Ein Fürst musste nebst Samthandschuhen, Edelsteinen und Windhunden eben auch einen Dürer haben.
Ulinka Rublack: Dürer im Zeitalter der Wunder. Kunst und Gesellschaft an der Schwelle zur globalen Welt. Aus dem Englischen übersetzt von Nastasja S. Dresler. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2024. 640 S., Fr. 56.90.