Acht von zehn Sportlern in Schweizer Fitnessstudios nehmen Supplemente, um kraftvoller zu werden. Ob das nötig ist und welche Nebenwirkungen sie sich erkaufen.
Wie einfach könnte die Welt für Kraftsportler sein, wenn sie wie Popeye wären: Eine Dose Spinat öffnen, runterschütten, und schon wachsen ballonartige Riesenmuskeln, und man hat Mega-Kräfte. Heute verspricht sich so manch ein Sportler Ähnliches von Muskelaufbaupräparaten: Kreatin, Proteinpulver, Hydroxymethylbutyrat – besser bekannt als HMB – oder Aminosäure-Kombinationen, abgekürzt BCAA.
«Ich fühle mich im Training stärker mit Kreatin», sagt Nicolas Gomez, 27 Jahre alt, Kraftsportler und Fitnesstrainer bei Activ Fitness in Zürich. Er nimmt jeden Tag drei Gramm Kreatin und etwa 25 Gramm Proteinpulver zu sich, in einem Shake aufgelöst. «Ich trainiere fünf Mal pro Woche, und das schon seit Jahren, um Muskeln aufzubauen», sagt er. «Dabei helfen mir diese Produkte.» Gomez bestellt Kreatin und Pulver online, beides kostet ihn zusammen rund 20 Franken pro Monat.
Acht von zehn Sportlern in Schweizer Fitnessstudios nehmen mindestens einmal pro Woche ein Supplement, aber sie sind schlecht informiert, wie eine Umfrage unter 417 Sportlern ergab. Vier von zehn verwendeten Proteinpulver und -drinks, jeder sechste BCAA und andere Aminosäuren und jeder achte Kreatin, vor allem Männer unter 30 Jahren. Der Hauptgrund ist für Männer, ihre Muskeln aufzubauen, und für Frauen, ihre Gesundheit zu verbessern. Am häufigsten hatten sich die Sportler bei Trainern, Sportkameraden oder auf den Websites der Hersteller informiert und nicht bei Fachleuten.
«Wir werden oft von unseren Mitgliedern auf Nahrungsergänzungsmittel angesprochen», sagt Vinzenz Voser, Verantwortlicher für Produkte und Dienstleistungen bei Movemi, Betreiberin zweier Fitnessketten. «Besonders die Nachfrage nach Produkten mit hohem Proteingehalt boomt.»
Ist das gesundheitlich bedenklich? Dutzende von Studien liefern bis jetzt keine Hinweise, dass die gängigen Muskelaufbaupräparate gefährlich sein könnten. Trotzdem sei sie aber vor allem bei jungen Sportlern mit Empfehlungen vorsichtig, sagt Joëlle Flück, Sportwissenschafterin, ehemalige Leistungssportlerin und Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Sporternährung (SSNS). «Die Effekte im Verhältnis zum Training sind gering. Am meisten erreicht man, wenn man die Muskeln adäquat und mit der passenden Frequenz fordert und gleichzeitig ausreichend Proteine und Kalorien zu sich nimmt – das geht auch mit normalem Essen.»
Kreatin hilft beim Muskelaufbau und fördert die Erholung
Kreatin gelangt mit dem Blut in den Muskel und bewirkt dort, dass die Substanz ATP rascher wieder aufgebaut wird, das ist der «Hauptkraftstoff» der Muskelzellen. Der Körper stellt Kreatin zum einen aus Aminosäuren selbst her, zum anderen nehmen wir es mit der Nahrung auf, vor allem mit Fleisch und Fisch. Kreatin-Monohydrat ist das Supplement, das am gründlichsten untersucht worden ist. Darum rät das australische Sportinstitut davon ab, andere Verbindungen einzunehmen.
Kreatin scheint laut Studien vor allem dann zu wirken, wenn man beim Schnellkrafttraining kurze, intensive Bewegungen macht. Sportler konnten so beispielsweise mehr Gewichte mit mehr Wiederholungen heben und waren schneller in wiederholten Kurz-Sprints.
Sportler bekamen mit Kreatin im Schnitt etwa 1,4 Kilogramm mehr Muskeln als mit Placebo. Kreatin verringert zudem möglicherweise Muskelschäden und fördert die Erholung nach intensiver Belastung. Allerdings ist die Wirkung individuell unterschiedlich und hängt unter anderem von Sportart, Fitnesslevel und Ernährung ab. Ausdauersportler konnten sich nur wenige bis gar keine Effekte erhoffen.
Weil Kreatin als Nahrungsergänzungsmittel nicht mit so qualitativ hochwertigen Studien untersucht werden muss wie Medikamente, sind die Angaben zu Nebenwirkungen wenig verlässlich. In Einzelfällen wurde über Muskelkrämpfe und -zerrungen, Dehydrierung oder Magen-Darm-Probleme berichtet. Aber dass Kreatin tatsächlich hierfür verantwortlich ist, wurde nie belegt. Immer wieder ist auch von einer Gewichtszunahme von einem bis zwei Kilo zu lesen, aber das scheint nicht immer der Fall zu sein. Und Kreatin schädigt gemäss der Datenlage auch nicht die Nieren, wenn man nicht mehr als drei Gramm pro Tag nimmt.
Belastet Kreatin die Psyche?
Zweifel an der Unbedenklichkeit von Kreatin lässt aber nun eine Studie der Universität Toronto mit 912 jungen Menschen aufkommen. Nahm jemand Kreatin, hatte er häufiger Symptome einer Muskeldysmorphie. Das ist eine psychische Krankheit. Die Betroffenen sind überzeugt, ihr Körper habe zu wenige Muskeln, obwohl sie häufig sogar überdurchschnittlich muskulös sind. Um ihren gefühlten Makel auszugleichen, machen sie exzessiv Krafttraining, nehmen Muskelaufbaupräparate und mitunter Anabolika. Zuweilen sind die Betroffenen so verzweifelt, dass sie Suizidgedanken haben oder gar einen Suizidversuch unternehmen.
Gregor Hasler, Chefarzt im Freiburger Netzwerk für Psychische Gesundheit, ist skeptisch: «Es gibt keine biologische Erklärung, warum Kreatin zu einer Muskeldysmorphie führen sollte», sagt er. «Es könnte andersherum sein: Junge Menschen mit Muskeldysmorphie nehmen Kreatin, um ihre Muskeln aufzubauen.» Trainer könnten helfen, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. «Sie könnten jeden neuen Kunden fragen, ob er mit seinem Körper zufrieden sei, was seine Ziele und seine Motivation für das Training seien oder ob es Bereiche gebe, die den Sportler an seinem Körper störten.»
Auch wenn ein Kunde täglich und übermässig trainiert, Supplemente oder gar Hormone nimmt, können das Warnsignale sein. «Auch wenn solche Fragen Mut kosten: Trauen Sie sich, den Sportler anzusprechen», sagt Hasler. «Je frühzeitiger mit einer Psychotherapie begonnen wird, desto grösser sind die Aussichten, dass die Krankheit nicht chronisch wird.»
Die Sportwissenschafterin Joëlle Flück würde Kreatin – wenn überhaupt – Profi-Sportlern empfehlen, die passend zu ihrem Training ausreichend Proteine und Kalorien zu sich nähmen und die versuchen wollten, noch mehr Leistung herauszuholen. «Ein Eishockeyspieler oder ein Sprinter in der Leichtathletik könnte davon profitieren», sagt sie. «Das könnte auch ein Hobbysportler sein, der nach den letzten paar Prozent sucht.» Es generell zu nehmen, hält sie aber nicht für sinnvoll.
Wie Proteine den Muskelaufbau beeinflussen
Auch Protein-Shakes seien nur dann notwendig, wenn ein Sportler Schwierigkeiten habe, auf die notwendige Menge zu kommen – etwa weil er Milchprodukte nicht verträgt oder Veganer ist – oder keine Proteinquellen verfügbar seien, «zum Beispiel wenn man über Mittag im Gym trainiert und danach keine Zeit hat, eine proteinreiche Mahlzeit zu essen», sagt Flück.
Kraftsportler, die Proteine verzehrten, hatten gemäss einer Metaanalyse aus 49 Studien mit 1863 Teilnehmern nur neun Prozent mehr Kraft als diejenigen, die stattdessen Placebo-Proteine oder nichts nahmen. Mit Supplementen trainierten sie sich etwa 450 Gramm mehr Muskeln an.
Es machte keinen Unterschied, ob ein Sportler Casein, Molke-, Soja- oder Erbsenprotein oder Proteine in Form von Rindfleisch, Joghurt oder Proteinsnacks zu sich nahm. Und ab einer Proteinmenge von 1,6 Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag wuchs die Muskelmasse nicht weiter. «Das Proteinpulver erachte ich nicht für notwendig, aber es hilft mir, meinen Proteinbedarf abzudecken», sagt der Kraftsportler Nicolas Gomez. «Und ich trinke die Shakes gerne.»
Weitere Präparate sind das als HMB bekannte Hydroxymethylbutyrat, ein Stoffwechselprodukt der Aminosäure Leucin, sowie Aminosäure-Kombinationen (BCAA). Sie wirkten in Studien weniger stark als Kreatin und Proteinsupplemente. Die Aufnahme hochwertiger Proteine sei gegenüber BCAA und HMB zu bevorzugen, so das australische Sportinstitut.
Wer trotzdem das Geld für Muskelaufbaupräparate ausgeben möchte, sollte zumindest auf reine Produkte achten. Immer wieder wird nämlich berichtet, dass Kreatin oder Proteinpulver Schwermetalle oder verbotene Zusätze enthalten. Möglichst «saubere» Produkte kann man beispielsweise mithilfe der Kölner Liste finden, allerdings wird dort nicht auf Schwermetalle getestet.
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