Nach dem AHV-Rechenfehler des Bundes verlangen SP und Grüne, dass die Abstimmung über die jüngste Reform kassiert wird. Das höchste Gericht fällt sein Urteil am 12. Dezember.
Die AHV sorgt für Stress im Bundeshaus. Die Streitthemen reichen von der 13. Rente über die Leistungen für Witwen bis zu den Renten von Ehepaaren. Die Finanzierungslücken sind gross – und bald vielleicht noch grösser. Am 12. Dezember entscheidet das Bundesgericht, ob die Volksabstimmung über die Reform «AHV 21» vom Herbst 2022 aufgehoben werden muss, wie dies SP und Grüne verlangen. Sie verweisen auf den im August bekannt gewordenen AHV-Rechenfehler und argumentieren, die Behörden hätten bereits vor der damaligen Abstimmung die Finanzlage zu düster dargestellt.
Die Reform «AHV 21» ist zum Teil bereits in Kraft getreten. Sie umfasst vor allem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Angleichung des Rentenalters der Frauen an jenes der Männer (65 Jahre). Der zweite Teil wurde nur knapp angenommen (50,5 Prozent Ja). Wird die Reform rückgängig gemacht, vergrössern sich die ab 2027 drohenden Defizite der AHV um weitere 2 Milliarden Franken.
Das Bundesgericht hat für den Entscheid eine öffentliche Beratung angesetzt, wie am Freitag die Tamedia-Zeitungen unter Berufung auf die Beschwerdeführer meldeten. Dass das Gericht nicht auf dem Zirkularweg entscheidet, lässt mutmassen, dass mindestens ein Mitglied der fünfköpfigen Richterbank für eine Annullierung ist. Sicher ist das aber nicht.
Gender-gerechte Richterbank
Bemerkenswert ist die Zusammensetzung des höchstinstanzlichen Quintetts. Zuständig ist die erste öffentlich-rechtliche Abteilung, doch sie besteht aus fünf Männern. Ein rein männliches Gremium, das in der aufgeladenen Debatte um das Rentenalter der Frauen einen Entscheid fällt? Das hielt man in Lausanne nicht für ideal. Und so wurden kurzerhand zwei ordentliche Richter aus- und zwei nebenamtliche Richterinnen eingewechselt.
Laut Reglement gelten bei der Bildung des Spruchkörpers mehrere Kriterien. Dazu gehört die «Mitwirkung von Mitgliedern beiderlei Geschlechts in Fällen, in denen es die Natur der Streitsache als angezeigt erscheinen lässt». In den letzten Jahren musste sich das Gericht Kritik oder gar Häme anhören, weil es wichtige Urteile zum Scheidungsrecht in rein männlicher Besetzung gefällt hatte. Insofern mag die Gender-Rochade im AHV-Streitfall ein präventiver Akt gegen rot-grüne Stimmungsmache sein.
Bis dato wurde erst ein einziges Mal eine Volksabstimmung kassiert. Damals hatte der Bund falsche Zahlen zum Ausmass der steuerlichen «Heiratsstrafe» präsentiert. Bei der AHV geht es jedoch um Schätzungen, die naturgemäss unsicher sind. Der Rechenfehler war zudem kleiner als die Aufregung: Die Abweichung beträgt für das Jahr 2033 rund 2,5 Milliarden Franken oder 3,6 Prozent.