Der Offensivspieler ist seit 25 Jahren im Klub, für die Bayern war er stets unersetzlich – selbst wenn er nicht spielte. Doch jetzt droht den Münchnern ein Image-Debakel.
Das Jahr 2025 ist für den FC Bayern ein besonderes. Nicht nur steht Ende Mai das Endspiel der Champions League in München an, das «Finale dahoam», das sie nach der Niederlage 2012 gegen den FC Chelsea an gleicher Stelle in diesem Jahr unbedingt erreichen und gewinnen möchten.
2025 ist auch ein Jahr der Jubiläen. Der Klub wird 125 Jahre alt, was den Bayern einmal mehr die Gelegenheit gab, sich als eine Institution zu inszenieren, die im Treiben der Grossklubs unorthodox agiert: Der Zusammenhalt der sogenannten Bayern-Familie wurde allenthalben beschworen, mehr noch als sonst.
Ein Veto von Hoeness und Rummenigge?
Zu diesem Zweck rief der FC Bayern seine Legenden zusammen, und fast alle, die noch leben, folgten dem Ruf: Paul Breitner, Franz «Bulle» Roth, Franck Ribéry und natürlich Sepp Maier, der legendäre Torhüter der 1970er Jahre, der bis im vergangenen September mit 709 Matches der Rekordspieler der Bayern war – aber auch Thomas Müller, der Dauerbrenner unter den Offensivkräften. Längst hat er, der noch aktiv ist, einen Status wie die Altvorderen. 25 Jahre ist er nun schon im FC Bayern, fast sein gesamtes Fussballerleben lang. Und so war es der Oberbayer Müller, der den Rekord des Niederbayern Maier 45 Jahre später überbot.
Maiers Karriere endete 1979, als er mit seinem Mercedes der S-Klasse im Aquaplaning von der Fahrbahn abkam; 35 Jahre war der Torhüter damals alt. Wann die Karriere des 35-jährigen Müller enden wird, ist ungewiss, nur eines zeichnete sich in den letzten Tagen immer deutlicher ab: Diese Saison dürfte seine letzte im Bayern-Trikot sein. Am Wochenende berichteten sowohl die stets gut informierte «Bild»-Zeitung als auch der «Kicker» übereinstimmend, dass der Klub nicht gewillt sei, Müllers Vertrag um ein weiteres Jahr zu verlängern.
Überraschend ist das zumindest auf den ersten Blick, hatte doch Max Eberl, der Sportdirektor, noch Anfang des Jahres verkündet, die Vertragsverlängerung sei bloss eine Formsache. Umso erstaunter wird nun registriert, dass es seitens des Klubs keine Bereitschaft gibt – anders als beim Torhüter-Methusalem Manuel Neuer, der bis 2026 in München bleiben darf.
Bloss darf man fragen, ob diese Entwicklung tatsächlich so überraschend ist: Hatte nicht Uli Hoeness, der Bayern-Grande, vor ein paar Wochen erklärt, Müller solle sich Gedanken über seine Zukunft machen, denn ein Müller, der bloss auf der Ersatzbank sitze, könne nicht die Lösung sein? Plötzlich war keine Rede mehr davon, dass die Vertragsunterschrift im Prinzip eine ausgemachte Sache sei. Vielmehr hiess es nun, der Aufsichtsrat um Hoeness und den ehemaligen Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge sei mit einer Verlängerung nicht einverstanden.
Es geht auch um Müllers Gehalt
Angeführt werden Kostengründe, denn Müller zählt nicht zu den preiswerten Spielern im Bayern-Kader. Kolportiert werden 17 Millionen Euro inklusive Prämien pro Jahr – innerhalb der stattlichen Bayern-Lohnpyramide gehört er damit zur Spitze. Aus der Meldung entstand eine rasante Dynamik. Denn Müller ist eben nicht irgendein Profi des FC Bayern. Er ist derjenige, der die erfolgreiche Phase der Bayern in der jüngsten Vergangenheit wie kein anderer personifiziert. 2009 debütierte er unglücklich unter dem Trainer Jürgen Klinsmann, doch Louis van Gaal, der die Spielweise der Münchner für die folgenden Jahre definieren sollte, fand in Müller den idealen Profi für sein auf Unberechenbarkeit ausgelegtes Angriffsspiel.
Der damals 19-Jährige wurde zum Nationalspieler, er zog mit den Bayern in den Final der Champions League ein, er machte alle Hochs und Tiefs der kommenden Jahre mit – vom Champions-League-Sieg 2013 über den Triumph sieben Jahre später bis hin zu jener Phase, in der die Dominanz der Bayern schwand und schliesslich von Leverkusen gebrochen wurde. Ein Mann mit enormem Wert: Müller war für jedes Team eine wichtige Kraft innerhalb der Kabine, seine oft als vorbildlich gepriesene Mentalität riss die Kollegen mit. Und er stand auch immer dann Rede und Antwort, wenn sich mancher Kollege zierte. Pointiert, schonungslos, aber von einer analytischen Schärfe, wie sie in diesem Geschäft ungewöhnlich ist – auch das macht Thomas Müller zu einer Ausnahmeerscheinung.
Müller hat nur noch wenige Einsätze
Nun glauben die Bayern offenbar, auf diese Qualitäten verzichten zu können. Vom Trainer Vincent Kompany erhält er nur noch wenig Einsatzzeit, seine Bedeutung für das erfolgreiche Bayern-Ensemble in dieser Saison ist zumindest auf dem Fussballfeld geringer als in den Jahren zuvor. Und doch wäre eine Trennung zum Saisonende ein Vorgang, der vor allem seinem Arbeitgeber ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellen würde: Ein Klub, der vorgibt, sich der eigenen Geschichte und des Werts seiner Legenden bewusst zu sein, sollte wissen, wie mit einem Mann wie Müller umzugehen ist.
Schliesslich hegen die Bayern mit Müller durchaus Pläne. Langfristig soll er in das Geschehen im Klub eingebunden sein. Die schlechteste Idee wäre es nicht. Denn die Bayern sind stets auf der Suche nach personeller Kontinuität, nach Leuten, die dem Verein in ungewöhnlicher Weise verbunden sind. Philipp Lahm wurde einst die Stelle des Sportdirektors offeriert, doch er lehnte ab, weil er keinen Sitz im Vorstand erhielt.
Stattdessen beriefen sie Hasan Salihamidzic als Sportdirektor und später Oliver Kahn als Vorstandschef. Beide waren prägende Figuren der Mannschaft, die 2001 mit dem Coach Ottmar Hitzfeld die Champions League gewann. Als Führungskräfte stehen sie allerdings für eine unglückliche Episode, sie wurden abberufen in jenem Augenblick, als die Bayern 2023 am letzten Spieltag überraschend doch noch die Meisterschaft gewannen.
Sané und Gnabry überzeugen seit Jahren nicht
Das unglückliche Agieren des Duos hatte seinerzeit Hoeness und Rummenigge, die früheren Klubverantwortlichen, auf den Plan gerufen. Nun bestimmen sie, im Verbund mit dem CEO Jan-Christian Dreesen, erneut die Geschicke des bedeutendsten deutschen Fussballklubs.
Was die Bayern-Führung auch immer dazu bewogen hat, Müller einen Anschlussvertrag zu verweigern: Es dürfte nicht allein an den finanziellen Kapazitäten liegen, erst recht nicht bei einem Klub, der nahezu eine Milliarde Umsatz macht. Schliesslich finden sich auch noch andere Kandidaten, über deren Lohn sich diskutieren liesse, etwa die beiden Aussenstürmer Leroy Sané und Serge Gnabry.
Im Vergleich zum auf die laufende Saison hin verpflichteten Michael Olise sind sie allenfalls hoch dotierte Mitläufer, seit Jahren Durchschnitt in einem Spitzenteam, ohne je dauerhaft entsprechende Akzente gesetzt zu haben. Auch ist nur schwer vorstellbar, dass sich mit einem durch und durch vernünftigen Menschen wie Müller im Spätherbst der Karriere nicht über die Konditionen für ein weiteres Jahr reden liesse.
Was droht, ist nicht weniger als ein Image-Debakel. Nicht für den Spieler, sondern für den Klub, der sich sonst so viel auf seinen tadellosen Umgang mit den eigenen Legenden zugutehält.