Georgien ist seit Ende 2023 Beitrittskandidat der EU. Doch das umstrittene «Agentengesetz» wirft die Kaukasusrepublik um Längen zurück.
Als der Europäische Rat im Dezember 2023 Georgien offiziell zum Beitrittskandidaten kürte, ging es den EU-Staaten in erster Linie um ein Signal in Richtung Moskau. Von echten Fortschritten im Reformprozess konnte nicht die Rede sein. Schliesslich hatte die Kommission erst kurz zuvor berichtet, dass das Land von zwölf Auflagen nur eine vollständig und zwei «grösstenteils» erfüllt habe.
Die Verleihung des Kandidatenstatus, so sah man es in Brüssel, sollte als Vertrauensvorschuss für Georgiens Bevölkerung verstanden werden. Zu Zehntausenden waren die Menschen in Tbilissi und anderen Städten der Kaukasusrepublik auf Kundgebungen erschienen, um gegen die aggressive Einflussnahme ihres russischen Nachbarn und für den Beitritt ihres Landes zur EU und zur Nato zu demonstrieren.
Kremlnahe Oligarchen
Dass der Weg in den Westen von korrupten Funktionären und kremlnahen Oligarchen versperrt sein würde, wusste natürlich auch die Kommission. In ihrem Fortschrittsbericht warnt sie vor der «zunehmend feindseligen Rhetorik von politischen Führern» und vor undemokratischen Gesetzen wie jenem, das zivilgesellschaftliche Organisationen mit ausländischen Geldgebern als «Agenten ausländischen Einflusses» abstempeln würde.
Ein gutes Jahr später ist das sogenannte Agentengesetz vom georgischen Parlament verabschiedet worden – trotz aller Kritik und Protesten im In- und Ausland. Zwar kündigte die Präsidentin Salome Surabischwili an, ihr Veto einzulegen, doch kann sie bereits von einer einfachen Mehrheit der Abgeordneten überstimmt werden. Damit hat Georgiens proeuropäische Bewegung eine schwere Niederlage erlitten.
Wie reagiert die EU auf das geopolitische Schlamassel? Zunächst einmal war aus Brüssel nur lautes Schweigen zu vernehmen. Diplomaten berichteten, dass eine gemeinsame Erklärung der 27, die sehr kritisch ausgefallen war, zu Wochenbeginn von zwei Mitgliedstaaten verhindert wurde.
Ungarn und die Slowakei hätten es demzufolge abgelehnt, sich in die «Innenpolitik eines Drittstaats» einzumischen. Die Regierungen von Viktor Orban in Budapest und Robert Fico in Bratislava stehen für einen konzilianten Kurs gegenüber Moskau. Zudem unterhält der Georgische Traum, die Regierungspartei des Oligarchen Bidsina Iwanischwili, gute Beziehungen zu Orban.
Weil man sich auch auf eine abgeschwächte Version nicht einigen konnte, sprangen am Dienstag der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell und der für Aussenpolitik und Erweiterung zuständige EU-Kommissar Oliver Varhelyi mit einer neuen Erklärung in die Bresche. Dem Vernehmen soll sich der Ungar Varhelyi, der in der Kommission als Orbans Mann agiert, gegen eine allzu scharfe Verurteilung Georgiens gewehrt haben.
Brüssel in der Bredouille
Dennoch veröffentlichte die Kommission am Mittwoch eine Mitteilung, in der die georgischen Behörden zu einer Kurskorrektur aufgefordert werden. «Die Verabschiedung dieses Gesetzes wirkt sich negativ auf die Fortschritte Georgiens auf dem Weg in die EU aus», wird Borrell darin zitiert. Die EU «stehe dem georgischen Volk und dessen Entscheidung für die Demokratie und die europäische Zukunft Georgiens» zur Seite.
Die Tatsache, dass nur die Kommission und nicht die Mitgliedstaaten den fernen Beitrittskandidaten rügen, spricht Bände. Einmal mehr verweigern sich Budapest und Bratislava einer gemeinsamen Aussenpolitik. Die Kommission hat allerdings durchblicken lassen, dass im Moment, da das Gesetz in Kraft tritt, der Beitrittsprozess eingefroren wird. Die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten, die Beitrittsgesprächen zu beginnen, würde dann nicht ausgesprochen. Laut Umfragen wünschen sich vier von fünf Georgiern eine starke Westbindung.
Allerdings ist der Handlungsspielraum der EU im Südkaukasus begrenzt. Sanktionen werden in Brüssel mehrheitlich abgelehnt und dürften zum jetzigen Zeitpunkt wohl kaum eine hilfreiche Rolle spielen, sondern könnten die harte Haltung der von Iwanischwili orchestrierten Regierung eher noch verstärken.