Terror-Ermittlungen häufen sich – und die mutmasslichen Täter werden immer jünger. Ist die Jugendanwaltschaft für solche Fälle die richtige Behörde? Bundesanwalt Stefan Blättler stellt es zur Debatte.
Seit 2016 war die schweizerische Bundesanwaltschaft noch nie so stark mit Terrorismus beschäftigt wie im vergangenen Jahr. Insgesamt 121 Strafverfahren und Vorabklärungen waren hängig, wie Bundesanwalt Stefan Blättler am Donnerstag an einer Medienkonferenz erklärte. 2023 wurden 50 Prozent mehr Strafuntersuchungen in diesem Bereich eröffnet als im Vorjahr.
Hinzu kommen mehrere Terror-Verurteilungen durch das Bundesstrafgericht in Bellinzona. Im Vordergrund steht dabei nach wie vor der jihadistische Terrorismus in all seinen Ausprägungen: Unterstützung für terroristische Gruppierungen, Propaganda, Finanzierung – all dies beschäftigt die Bundesanwaltschaft wieder mehr als in früheren Jahren.
«Und wir können nicht davon ausgehen, dass dieser Trend abflaut», sagte Blättler – eine Einschätzung, die von sämtlichen Sicherheitsbehörden geteilt wird. Dabei gibt es allerdings eine Entwicklung, die Blättler besondere Sorgen bereitet: Die mutmasslichen Täter werden immer jünger.
Für die Bundesanwalt ist dies entscheidend, weil bei minderjährigen Beschuldigten nicht mehr sie, sondern die kantonalen Jugendanwaltschaften und Jugendgerichte zuständig sind. Blättler beurteilt dies kritisch. Das sei «durchaus auch ein Handicap», meinte er. Denn Jugendgerichte hätten «nicht unbedingt die Praxis, sich mit mutmasslich terroristischen Jugendlichen auseinanderzusetzen». Man müsse prüfen, ob es allenfalls spezielle Jugendanwaltschaften brauche.
Sicherheitsaspekt zu wenig im Blick
Der versuchte Mordanschlag auf einen Zürcher Juden durch einen islamistischen Jugendlichen von Anfang März veranschaulicht die Problematik beispielhaft. Der Beschuldigte verbrachte mehrere Jahre in Nordafrika, radikalisierte sich im Internet und schwor kurz vor dem Tat dem sogenannten Islamischen Staat (IS) die Treue.
Doch weil der mutmassliche Täter erst 15 Jahre alt ist, kommt das Jugendstrafrecht zur Anwendung, das ganz anders aufgebaut ist als das Erwachsenenstrafrecht. Verkürzt gesagt steht dabei nicht die Tat im Mittelpunkt, sondern der Täter. Oberstes Ziel ist es nicht, zu bestrafen, sondern den Jugendlichen mit auf den Einzelfall abgestimmten Massnahmen wieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Genau darin sieht Blättler jedoch ein Problem: Beim Jugendstrafrecht stehe weniger der Sicherheitsaspekt als vielmehr die Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher im Vordergrund. An diesem Prinzip gäbe es grundsätzlich zwar nichts auszusetzen, sagte Blättler. Es stelle sich aber die Frage, ob diese Gesetzgebung auch für Fälle von radikalisierten Jugendlichen adäquat sei, die bereit seien, Gewalt anzuwenden. Es gehe um Fragen der Sicherheit, um die Wirkung von Sanktionen und darum, ob die Jugendanwaltschaft die richtige Behörde sei, erklärte Blättler.
Er ging bei seiner Medienkonferenz allerdings nicht so weit, schon jetzt eine konkrete Anpassung des Jugendstrafrechtes zu fordern. Man müsse das Problem jedoch im Auge behalten für den Fall, dass sich der Trend zu immer jüngeren Terrorverdächtigen fortsetze und sich Fälle wie jener von Zürich häuften.
«Ich äussere meine Besorgnis»
Genau in diese Richtung zielen Äusserungen, die Christian Dussey, Chef des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), diese Woche in einem Interview mit der NZZ gemacht hatte. In der Schweiz habe der NDB in letzter Zeit mehrere Fälle von Minderjährigen identifiziert, die sich radikalisiert hätten, sagte er.
Bundesanwalt Blättler liess in seinen Ausführungen auch offen, welche Anpassung er am ehesten für sinnvoll hält. «Ich habe weder einen ausgegorenen Vorschlag noch eine Forderung, sondern ich äussere meine Besorgnis», sagte er. Der Bundesanwalt greift damit in eine Debatte ein, die noch vor dem Attentat von Zürich Fahrt aufgenommen hatte.
So haben die eidgenössischen Räte in der Wintersession beschlossen, dass künftig auch Jugendliche, die wegen Mordes verurteilt wurden, verwahrt werden können. Dies, wenn sie nach Ablauf der Strafe weiterhin als gefährlich eingeschätzt werden. Dem Beschluss war ein langes Seilziehen vorausgegangen, der Bundesrat hatte sich dagegen ausgesprochen.
Im Parlament wurden nach dem Anschlag in Zürich jedoch weitere Vorstösse für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts eingereicht. Die Zürcher SVP-Nationalrätin Nina Fehr Düsel schlägt unter anderem vor, in Zukunft bei besonders schweren Straftaten auch bei Jugendlichen das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Rund 70 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus allen Lagern hatten den Vorstoss unterzeichnet.
Markanter Anstieg der Fälle wegen Hamas-Verbot erwartet
Solche Maximalforderungen sind politisch zwar kaum mehrheitsfähig, da die Schweiz mit ihrem Jugendstrafrecht meistens gut fährt. Die Wortmeldung von Blättler, der nicht als Scharfmacher gilt, werden die Chancen auf punktuelle Anpassungen aber erhöhen. Er habe seine Überlegungen auch in den zuständigen Parlamentskommissionen geäussert, sagte Blättler.
Der Bundesanwalt betonte allerdings gleichzeitig, dass die Bundesanwaltschaft sowie das Fedpol mit den Jugendanwaltschaften schon heute gut zusammenarbeiteten. Die Verantwortung liege zwar bei den Jugendanwaltschaften, doch die Bundesbehörden könnten mit ihrem Know-how Hinweise liefern.
Mit einer weiteren Zunahme von Terrorverfahren rechnet Blättler aber noch aus einem ganz anderen Grund. Bundesrat und Parlament müssen demnächst über ein Verbot der Terrororganisation Hamas entscheiden. Im Februar hatte der Bundesrat den entsprechenden Gesetzesvorschlag in die Vernehmlassung geschickt.
Das Verbot würde die Terror-Ermittlungen nicht nur erleichtern, sondern auch dazu führen, dass diese automatisch in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft fielen. Blättler sagte nicht, mit wie vielen zusätzlichen Fällen er rechnet, doch er sprach von einem «voraussichtlich markanten» Anstieg der Fälle.
Laut Jahresbericht hat die Bundesanwaltschaft schon vor dem Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober Ermittlungen aufgenommen. Dies «in Bezug auf mögliche Finanzierungstätigkeiten von Personen in der Schweiz zugunsten der Hamas». Konkretere Hinweise dazu finden sich in dem Bericht aber nicht. Für die Bundesanwaltschaft stelle der Terrorismus weiterhin einen strategischen Schwerpunkt dar, so Blättler. Die Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnerbehörden müsste intensiviert werden.