Der «pure Egoismus» habe gesiegt, so lautet der Befund von Urs Dietschi, der treibenden Kraft gegen die Pistenverlängerungen.
Die Flughafenkritiker hatten davor gewarnt, dass die Pistenverlängerungen die Bevölkerung mit noch mehr Lärm belasten würden. Dies war stets ein Märchen, widerlegt unter anderem von einer Modellierung der Materialprüfungsanstalt Empa. Unbestritten war jedoch, dass die Verlängerungen Gewinner und Verlierer hervorbringen würden.
Die Karte über das Abstimmungsverhalten der Zürcher Gemeinden zeigt nun sehr klar, wo diese Verlierer zu Hause sind. Sie haben die Pistenverlängerungen abgelehnt. Alle anderen haben ihr zugestimmt. Sogar in der rot-grün geprägten Stadt Zürich.
Das zeigt: Den linken Gegnern der Pistenverlängerungen ist es nicht gelungen, aus der Vorlage eine Grundsatz- und Klimadebatte zu machen.
Im Tösstal wird es lauter
Die Verlierer: Das sind in erster Linie die Gemeinden im Osten des Flughafens. Aus dieser Himmelsrichtung landen künftig mehr Jets. Am wuchtigsten verwarf Turbenthal im Tösstal mit 74 Prozent Nein-Anteil die Vorlage: Dort hatte Georg Brunner, Metzgermeister und ehemaliger FDP-Gemeindepräsident, gegen die Verlängerungen geweibelt.
Rot eingefärbt sind auf der Karte auch die Gemeinden nordwestlich des Flughafens. Sie haben künftig mehr Starts am Abend zu gewärtigen, weil vermehrt auf der längeren Piste gestartet wird. Der Nordosten hingegen profitiert.
Die Gewinner: Das sind in erster Linie die Bewohner im Süden des Flughafens. Sie sind in Zukunft abends weniger Anflügen ausgesetzt. Die «Südschneiser» waren einst die vehementesten Flughafenkritiker, sie demonstrierten mit Transparenten und Mahnwachen am Flughafen. Nun empfahlen die Bürgerorganisationen des Südens ein Ja, und die Stimmberechtigten folgten ihnen.
Von Solidarität unter Fluglärmbetroffenen also keine Spur, wie Urs Dietschi nicht ohne Verbitterung konstatiert. Dietschi ist Kantonsrat der Grünen, Vizepräsident der Bürgerorganisation «Fair in Air» und treibende Kraft hinter dem Widerstand gegen die Pistenverlängerungen. Als «puren Egoismus» fasst er das Abstimmungsresultat zusammen.
Weder Klima-Anliegen noch Bevölkerungsschutz sei den Stimmberechtigten wichtig gewesen, sagt Dietschi. Allerdings hatte der Flughafen wiederholt dargelegt, dass mit den Pistenverlängerungen kein Kapazitätsausbau möglich sei und der Entscheid deshalb keinen Einfluss aufs Klima habe.
Die SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf gibt ohne Umschweife zu, dass die Argumente der Befürworter – mehr Stabilität, Sicherheit, Nachtruhe – die Bevölkerung überzeugt hätten. Sie spricht von «vollmundigen Versprechen», an denen sich der Flughafen nun messen lassen müsse. «Es würde mich freuen, wenn er sie einhält. Aber es wäre eine Premiere.»
Wie rasch die Pisten am Flughafen verlängert werden können, lässt sich derzeit erst grob abschätzen. Die Flughafen Zürich AG reicht als Erstes beim Bund ein Gesuch um Plangenehmigung ein. Der Flughafen schreibt: «Es ist mit einem mehrjährigen Verfahren zu rechnen. Mit dem Bau wird nach aktuellem Wissensstand voraussichtlich im Jahr 2030 gestartet.» Die Kosten von rund 250 Millionen Franken werden vollumfänglich durch die Flughafen Zürich AG getragen.
Junge Grüne fordern Obergrenze – die es bereits gibt
Urs Dietschi kündigte noch am Abstimmungssonntag rechtlichen Widerstand gegen die Umsetzung an. Der Verein «Fair in Air» werde allen Klagewilligen «helfen, wo wir können».
Noch hängig sei zudem die Stimmrechtsbeschwerde gegen den jetzigen Urnengang – dies wegen eines Streits mit der Staatskanzlei des Kantons um die Abstimmungszeitung. Es hat schon Fälle gegeben, in denen Stimmrechtsbeschwerden Bauprojekte empfindlich verzögert haben, namentlich das bis heute nicht realisierte Fussballstadion auf dem Hardturm-Areal in der Stadt Zürich. Die Gefahr scheint in diesem Fall aber gering.
Die Diskussion um die Pistenverlängerungen dürfte in dieser Form die letzte für längere Zeit gewesen sein. Kantonsrat und Bevölkerung konnten mitreden, weil die Infrastruktur am Flughafen angetastet werden sollte. Normalerweise gibt der Bund am Flughafen die Regeln vor. Politische Vorstösse im Kanton sind möglich, aber ihre Wirksamkeit ist fraglich.
Doch davon lassen sich die Flughafenkritiker nicht beeindrucken. Bereits sammeln Bürgerinitiativen Unterschriften für die Revision des kantonalen Flughafengesetzes. Sie fordern die Einhaltung von sieben Stunden Nachtruhe. Heute sind es de facto sechseinhalb Stunden, weil der Flughafen die halbe Stunde zwischen 23 Uhr und 23 Uhr 30 regelmässig für den Verspätungsabbau benötigt. Gemäss Flughafen ist dies die strengste Nachtruhe in ganz Europa.
Die jungen Grünen kündigten am Abstimmungssonntag ebenfalls ein Volksbegehren an: Sie fordern eine Obergrenze für die Anzahl Flugbewegungen. Dies, obwohl es eine solche Grenze bereits gibt. Sie liegt bei 320 000 pro Jahr. Ist diese Zahl erreicht, muss sich der Kanton beim Bund für eine Reduktion einsetzen. Die Zahl verharrt seit 2008 allerdings konstant bei 275 000, trotz einem Passagierwachstum um beinahe 50 Prozent von 22 auf über 31 Millionen.
Die nächste Flughafenabstimmung ist somit eine Frage der Zeit. Doch das Verdikt vom Sonntag zeigt, dass es derartige Initiativen an der Urne schwer haben.
Die letzte Niederlage des Flughafens liegt Jahrzehnte zurück. Mit den Pistenverlängerungen hat er in seiner 76-jährigen Geschichte nun 15 von 17 Urnengängen gewonnen.