Erstmals verurteilt ein Strafgericht einen ehemaligen US-Präsidenten. Bis zur Wahl wird Donald Trump aber kaum ins Gefängnis müssen. Die Rolle des «politisch Verfolgten» dient gar seiner Popularität. Derweil könnte er für seine schwersten Vergehen ungestraft davon kommen.
Kurz vor dem Schuldspruch in Manhattan am späten Donnerstagnachmittag soll Donald Trump noch guter Laune gewesen sein. Er lachte und scherzte mit seinem Anwalt Todd Blanche. So berichten es Journalisten, die im Gerichtssaal anwesend waren. Insgeheim hoffte die Verteidigung wohl auf eine «hung jury» – ein Geschworenengericht, das sich nicht auf ein einstimmiges Urteil einigen kann. Doch dann verlauteten die Juroren: «Wir haben ein Verdikt.» Und dies bereits am zweiten Tag ihrer Verhandlungen.
Die schnelle Entscheidung konnte für Trump nichts Gutes heissen. Ernst und reglos soll er dagesessen sein, als das Urteil verkündet wurde: Schuldig in allen 34 Anklagepunkten lautete es. Für die Geschworenen war klar: Trump hatte 2016 kurz vor der Präsidentschaftswahl einen Seitensprung mit der Porno-Darstellerin Stormy Daniels zu vertuschen versucht, indem er ihr über seinen Anwalt Michael Cohen ein Schweigegeld von 130 000 Dollar auszahlen liess. Danach verbuchte er die Entschädigung an Cohen fälschlicherweise als Anwaltskosten. Mit dieser Verschleierung manipulierte er in den Augen der Anklage und der Geschworenen nicht nur die Geschäftsbücher seines Unternehmens, sondern auch den Ausgang der Präsidentschaftswahl.
Grosse Genugtuung für Cohen
So kompliziert der Fall war, die Geschworenen glaubten am Ende offensichtlich dem Hauptzeugen: Michael Cohen. Dieser hat unter anderem wegen der Schweigegeldzahlung bereits eine dreijährige Haftstrafe abgesessen. Seit seiner Verurteilung wollte er auch Trump dafür zur Rechenschaft gezogen sehen. Für den 57-Jährigen dürfte der Schuldspruch deshalb eine besondere Genugtuung sein. In einer Erklärung meinte er danach: «Die Wahrheit ist immer wichtig.»
Es ist indes eine Wahrheit, die Trump wohl niemals anerkennen wird. Nachdem er den Gerichtssaal verlassen hatte, trat er vor die Kameras und bezeichnete den Prozess als «manipuliert» und den vorsitzenden Richter als «korrupt». In Manhattan habe er bei den Präsidentschaftswahlen nur 5 bis 6 Prozent der Stimmen gewonnen. Es sei klar gewesen, dass sich in dieser Hochburg der Demokraten niemals eine unparteiische Jury zusammenstellen lasse. «Das wahre Urteil wird am 5. November durch das Volk erfolgen», meinte Trump und fügte an: «Ich bin ein sehr unschuldiger Mann.»
Präsident Joe Bidens Wahlkampfteam verschickte kurz nach dem Urteil eine kurze Erklärung: «In New York hat sich heute gezeigt, dass niemand über dem Gesetz steht», hiess es darin. Gleichzeitig ändere das Urteil an der Ausgangslage aber nicht viel: «Es gibt nach wie vor nur eine Möglichkeit, um Donald Trump vom Oval Office fern zu halten: durch die Wahlurne.» Ob Trump nun ein verurteilter Straftäter sei oder nicht, er werde der republikanische Präsidentschaftskandidat sein.
«Ich bin ein politischer Gefangener»
Aus diesem Grund schaltete auch Trump nach dem Schuldspruch am Donnerstag sogleich wieder in den Wahlkampfmodus. Der ehemalige Präsident hatte das Gerichtsgebäude kaum verlassen, da verschickte seine Kampagne einen Spendenaufruf mit einem Bild von ihm und der Überschrift «Ich bin ein politischer Gefangener».
Mit ähnlichen Parolen stellten sich danach führende Republikaner hinter ihren Kandidaten. Der ganze Prozess sei «eine rein politische Übung» gewesen, schrieb der Speaker des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, auf dem Kurznachrichtendienst X. «Die Demokraten schrecken vor nichts zurück, um andere Meinungen zu unterdrücken und ihre politischen Gegner fertig zu machen.» Aber Trump werde dieses «absurde Urteil» anfechten und gewinnen.
Bevor Trump das Urteil indes in die nächste Instanz weiter ziehen kann, muss der Richter noch das Strafmass festlegen. Dies wird voraussichtlich am 11. Juli geschehen – nur wenige Tage vor dem Beginn des republikanischen Parteitags in Milwaukee, wo Trump offiziell zum Kandidaten gekürt wird. Dem ehemaligen Präsidenten könnten eine Gefängnisstrafe von mehreren Jahren drohen. Allerdings sind auch eine Strafe auf Bewährung, Hausarrest, gemeinnützige Arbeit oder eine Geldbusse möglich.
Solange das Urteil nicht letztinstanzlich geklärt ist, dürfte Trump auf freiem Fuss bleiben. Somit ist die brennendste Frage nun, ob sich der Schuldspruch auf den Ausgang der Wahl im November auswirken könnte. Gemäss einer aktuellen Umfrage dürfte das Urteil nur bei etwa 10 Prozent der republikanischen Wähler die Zweifel am Kandidaten ihrer Partei verstärken. Da das Rennen um das Weisse Haus allerdings sehr knapp enden wird, könnten diese wenigen Wähler trotzdem entscheidend sein.
Solche Umfragen sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Bisher hat sich gezeigt, dass Trump seinen Anhängern in der Rolle des «Justizopfers» und Rächers gegen ein «korruptes System» gefällt. Und deshalb dürfte der ehemalige Präsident dieses bekannte Schauspiel nun noch weiter auf die Spitze treiben. Am Donnerstagabend verschickte sein Wahlkampfteam unentwegt Textnachrichten: «Die Gerechtigkeit ist tot in Amerika» oder «Das Justizsystem ist manipuliert», hiess es darin etwa.
Die wichtigsten Anklagen sind noch hängig
Dabei unterschlägt Trump jedoch, dass sich das amerikanische Justizsystem bisher als ziemlich träge erwies, wenn es darum ging, ihn für seine mutmasslich viel schwereren Vergehen zur Verantwortung zu ziehen. Der ehemalige Präsident ist in zwei weiteren Strafverfahren angeklagt. Im Gliedstaat Georgia und in der Hauptstadt Washington geht es um seinen Versuch, das Wahlresultat vor vier Jahren umzustürzen und einen friedlichen Machtwechsel zu verhindern. In Florida steht Trump unter Anklage, weil er nach seiner Amtszeit grosse Mengen an Geheimdokumenten aus dem Weissen Haus mitgenommen und vor den Bundesbehörden versteckt hatte.
Weil die konservative Richterin in Florida das Verfahren in die Länge zu ziehen scheint und sich auch die konservative Richtermehrheit am Supreme Court viel Zeit lässt, um über Trumps mögliche Immunität zu entscheiden, wird es in diesen gewichtigen Fällen womöglich nicht zu Prozessterminen vor der Wahl kommen. Das gleiche gilt für Georgia, wo die zuständige Bezirksstaatsanwältin Fani Willis das Verfahren selbst durch eine Affäre mit einem untergebenen Ankläger ins Wanken gebracht hat.
Und so dürfte Trump nicht Unrecht haben: Da die Gerichte bis im November die Verantwortung des ehemaligen Präsidenten für den Sturm auf das Capitol und die Unterschlagung der Geheimdokumente vermutlich nicht mehr beurteilen können, liegt es am amerikanischen Volk, an der Urne ein Verdikt zu fällen. Gewinnt Trump, könnte er die Verfahren auf Bundesebene gegen ihn wohl durch seinen Justizminister einstellen lassen. Was dann mit einem möglichen Berufungsverfahren in New York und der Anklage in Georgia passiert, ist hingegen schwer vorherzusehen. Amerika befindet sich auf historischem Neuland. Trump ist der erste strafrechtlich verurteilte ehemalige Präsident der USA.