Für Andreas Mösli kam der Platzsturm der Servette-Anhänger unerwartet. Der Klub versucht, die beiden Fackelwerfer zu identifizieren. Derweil wird der Fan-Sektor der Genfer am nächsten Heimspiel gesperrt bleiben.
Es waren wüste Szenen am Sonntag, kurz nach dem Ende des Cup-Halbfinals zwischen dem FC Winterthur und Servette auf der Schützenwiese (0:1). Dutzende von Fans der siegreichen Genfer Mannschaft kletterten über den Zaun vor dem Gästeblock und stürmten ungehindert auf das Spielfeld. Einige von ihnen waren vermummt.
Zwei dieser gewaltbereiten Anhänger hatten brennende Fackeln dabei und versuchten, ihre Leuchtstäbe auf die voll besetzte Osttribüne zu werfen. Einer der beiden Brennkörper fiel kurz vor der ersten Reihe zu Boden, der andere landete mitten im Publikum. Laut Recherchen des «Blicks» wurden dabei ein Vater und ein Kind getroffen. Sie blieben unverletzt, doch sie hatten grosses Glück. Die Flammen dieser Fackeln werden bis zu 2500 Grad heiss, wie ein Pyro-Experte am Montag gegenüber dem «Blick» sagte.
Vor dem Match wurden Polizisten der Kantonspolizei und der Stadtpolizei Winterthur von Servette-Fans mit Flaschen beworfen, als die Anhänger des Gastklubs vom Bahnhof zum Stadion marschierten. Nach der Partie wurden die Sicherheitskräfte laut einer Mitteilung der Kantonspolizei von Genfer Anhängern massiv mit Steinen, Feuerwerkskörpern, Wurfgeschossen und Schlagruten angegriffen. Ein Polizist zog sich dabei leichte Verletzungen zu.
Für die Sicherheit im Stadion ist das Heimteam verantwortlich. Im Sicherheitsreglement der Swiss Football League, das auch für den Cup gilt, heisst es: «Der Heimklub hat einen Ordnungsdienst einzusetzen, um jeder Form gewalttätiger Akte oder Zuschauerausschreitungen vorzubeugen und die Sicherheit des Publikums innerhalb des Stadions sowie in dessen unmittelbarer Umgebung zu gewährleisten.» Wenn Unruhen zu befürchten seien, hätten die Sicherheitskräfte des Heimklubs eine Personenkette zu bilden, damit das Publikum nicht auf das Spielfeld gelangen könne.
Am Sonntag auf der Schützenwiese erwiesen sich beide Bestimmungen als toter Buchstabe. Eine Personenkette vor dem Gästesektor wurde trotz aufgeheizter Stimmung unter den Genfer Anhängern nicht gebildet, die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Platzteams schritten erst zur Tat, als die Vermummten längst auf dem Spielfeld standen und das Publikum auf der Osttribüne bedrohten.
Andreas Mösli, der Kommunikationsverantwortliche und Mitglied der Geschäftsleitung des FC Winterthur, nimmt Stellung.
Herr Mösli, schauen wir kurz zurück. Die Partie am Sonntag ist zu Ende, Servette gewinnt auf der Schützenwiese mit 1:0 und steht im Cup-Final. Doch dann stürmen einige Genfer Anhänger den Platz. Hat der Sicherheitsdienst des FC Winterthur die Lage im Stadion unterschätzt?
Nein. Aber möglicherweise haben wir die Situation falsch eingeschätzt. Wir sind nun dabei, all das aufzuarbeiten. Wir sichten Bildmaterial, tauschen uns aus mit den Behörden, mit der Polizei, mit unseren Fans. Warum ist was passiert? Was können wir besser machen das nächste Mal?
Was können Sie besser machen?
Das ist das Problem beim Thema Sicherheit. Es gibt keine Liste, auf der man Punkte einfach so abhaken kann. Wir gingen tatsächlich davon aus, dass sich die Servette-Fans freuen werden über den Sieg ihrer Mannschaft. Unsere Einschätzung war es definitiv nicht, dass einige Genfer Anhänger den Platz stürmen und Fackeln ins Publikum werfen würden – und das erst noch nicht aus Freude, sondern offenbar mit viel Hass. Damit konnte niemand rechnen.
Die Anreise der Servette-Fans war schon konfliktgeladen. Auf dem Weg zum Stadion bewarfen einige von ihnen Polizisten mit Flaschen. Wusste Ihr Sicherheitsdienst davon?
Natürlich. Wir wussten auch, dass einige Servette-Fans nicht die einfachsten sind. Aber im Stadion selber ist bis Sonntag nie etwas passiert.
Das Reglement der Swiss Football League schreibt vor, dass der Sicherheitsdienst eine Personenkette zu bilden habe, falls zu befürchten sei, dass Fans auf den Platz stürmen könnten . . .
Wie gesagt: Auf dem Platz gab es nie ein Problem in den vergangenen Jahren. Ich habe es noch nie erlebt, dass sich Fans einer siegreichen Mannschaft so verhalten.
Wäre Ihr Sicherheitsdienst in der Lage gewesen, eine Personenkette vor dem Gästesektor zu bilden?
Ja, aber das ist Theorie. Sicherheit kann man nicht ab Papier übernehmen. Hier geht es um Menschen, auf beiden Seiten. Wir hätten mit einer Menschenkette signalisieren können, dass es verboten ist, das Spielfeld zu betreten. Nur: Das wissen alle. Viele Dinge sind verboten, und manche Menschen machen es trotzdem.
Mithilfe der Servette-Spieler auf dem Platz gelang es Ihren Leuten nach einigen Minuten, die meisten Fans zum Verlassen des Platzes zu bewegen.
Das hat gut funktioniert, ja. Aber natürlich ist es nicht optimal, wenn Spieler beim Deeskalieren mithelfen müssen. Andererseits zeigt das auch, wie wichtig die Spieler für die Fans sind. Welch positiven Einfluss sie haben können. Das war nicht geplant, hat aber viel genützt in der Situation.
Der FC Winterthur hat gegen mehrere Personen mehrjährige Stadionverbote ausgesprochen. Gegen wen? Gegen die beiden Fackelwerfer?
Nein, die Fackelwerfer sind nicht dabei. Wir versuchen, sie zu identifizieren, genauso wie die Polizei. Zu den drei Personen, denen wir ein Stadionverbot erteilt haben, können wir aus Datenschutzgründen nichts Weiteres sagen.
Warum gelangen diese Fackeln immer wieder ins Stadion? Kann man die nicht entdecken bei Personenkontrollen am Eingang?
Sie sind zum Teil recht klein und lassen sich so leicht verstecken in einer Tasche oder einem Rucksack. Wir können nicht jeden Zuschauer durchsuchen, das geht nur schon aus zeitlichen Gründen nicht. Das würde auch nicht dem Good-Hosting-Konzept der Fussballliga entsprechen.
Apropos Stimmung: Der FC Winterthur gilt als Gute-Laune-Klub der Schweiz. Besteht die Gefahr, dass sich Ihre Fans von solchen Szenen am Sonntag anstecken lassen?
Auch an diesem Spiel herrschte auf beiden Seiten eine super Stimmung. Die wurde ganz am Ende sabotiert, von ein paar wenigen gewaltbereiten Fans. Ich glaube nicht, dass unsere Anhänger das nachahmen wollen. Auch nicht, wenn sie bei anderen Spielen mal «Scheiss-GC!» oder «Scheiss-Schaffhausen!» rufen. Das kann man nicht verbieten, das gehört für viele zum Fussball dazu.
Macht es im Moment noch Spass, für den FC Winterthur zu arbeiten?
Ja, auf jeden Fall. Man darf sich nicht entmutigen lassen. Für die meisten Zuschauer war es ein tolles Fussballfest. 99 Prozent beider Fan-Lager haben keine Probleme gemacht am Sonntag. Ein paar wenige können diese Stimmung trüben. Da sollte man standfest bleiben – und sich die Freude trotzdem nicht nehmen lassen.
Erste Konsequenzen nach dem Platzsturm auf der Schützenwiese gibt es bereits. Die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden hat am Dienstag bekanntgegeben, dass der Sektor der Servette-Fans am nächsten Heimspiel der Genfer gesperrt bleibt. Dies wegen der «gravierenden» Vorfälle innerhalb und ausserhalb des Stadions in Winterthur vom vergangenen Sonntag.
Die nächste Partie der Schweizer Super League in Genf findet am kommenden Samstag statt. Gegner von Servette ist der FC Winterthur, ausgerechnet. Der Match findet auf Bewährung statt. «Im Falle weiterer Ausschreitungen werden neue Massnahmen ergriffen», schreibt die Arbeitsgruppe, in der Kantone, Städte und die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren vertreten sind.
Der Schweizerische Fussballverband (SFV) ist derweil weiterhin daran, den Bericht des Sicherheitsdelegierten der Partie, den Schiedsrichter-Rapport und die Videos auszuwerten, wie er am Dienstag auf Anfrage sagte. Sobald dieser Prozess abgeschlossen sei, werde man über eine allfällige Disziplinarmassnahme informieren. Infrage kommen laut Rechtspflegeordnung des SFV unter anderem eine Busse, eine Annullierung des Spielresultats oder eine Forfait-Niederlage.
Ob sich eine solche Strafe nur gegen Servette oder auch gegen den FC Winterthur richten würde, konnte der Verband am Dienstag nicht sagen.