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Im Frühling entscheidet der Bundesrat über Zahlungen an das umstrittene Hilfswerk. Das geht vielen nicht schnell genug. Und: Da wäre noch der Schweizer an der Spitze.
Das Uno-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) kommt nicht aus den Negativschlagzeilen heraus: Unter dem Hauptquartier des Hilfswerks in Gaza hat die israelische Armee nach eigenen Angaben ein Kommunikationszentrum der Hamas in einem 700 Meter langen Tunnel entdeckt.
Das Datenzentrum soll mit dem Stromnetz des Hilfswerks verbunden gewesen sein, teilte die Armee am Samstagabend mit. Indizien deuteten darauf hin, dass Büros und Räumlichkeiten der UNRWA-Zentrale von Hamas-Terroristen genutzt worden seien.
Kurz nach dem Fund forderte der israelische Aussenminister Israel Katz den UNRWA-Chef Philippe Lazzarini zum Rücktritt auf. Dieser wiederum erklärte auf der Plattform X, der Organisation sei nicht bekannt gewesen, was sich unter dem Hauptquartier befinde. Das Personal habe das Gelände bereits am 12. Oktober verlassen und das Gebäude seitdem nicht mehr genutzt.
In der Schweiz äusserte sich das Aussendepartement (EDA) nur knapp zur Entdeckung des Datenzentrums der Hamas. Man habe davon Kenntnis genommen und warte auf mehr Informationen, erklärte ein Sprecher gegenüber der NZZ. Was die Zahlungen der Schweiz an die UNRWA betrifft, verwies er auf frühere Stellungnahmen des EDA. Die Gelder wurden noch nicht gestoppt.
Die Vorwürfe gegen das Hilfswerk wiegen schwer – auch deshalb weil Israel erst im Dezember zwölf Mitarbeiter der UNRWA beschuldigt hatte, sie seien direkt am Massaker der Hamas vom 7. Oktober beteiligt gewesen. Mehrere wichtige Geberländer kündigten an, ihre Zahlungen an das Hilfswerk auszusetzen.
SVP-Tuena: «Lazzarini nicht mehr tragbar»
Die Schweiz zahlte bisher 20 Millionen Franken jährlich und gehörte damit zu den wichtigen Unterstützern. In der Wintersession hat das Parlament nun beschlossen, das Geld zu halbieren. Das letzte Wort hat der Bundesrat, er muss aber die beiden aussenpolitischen Kommissionen konsultieren. Erst im April will die Landesregierung entscheiden, ob und wie viel Geld gesprochen wird.
Doch kann es sich die Schweiz leisten, so lange mit einem Entscheid zuzuwarten? FDP-Präsident Thierry Burkart hatte Cassis schon nach den Pogrom-Beteiligungsvorwürfen dazu aufgefordert, die Gelder einzustellen. Er war am Sonntag für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Der Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena findet, dass nun nicht mehr gezaudert werden dürfe. «Es hatte sich abgezeichnet, dass die UNRWA Verbindungen zur Hamas hat. Jetzt muss die Schweiz ein klares Zeichen setzen.» Unter keinen Umständen dürften weitere Gelder an das umstrittene Hilfswerk fliessen. Aussenminister Ignazio Cassis müsse diesbezüglich pointiert Stellung beziehen, «und zwar sofort». Philippe Lazzarini hält er als Chef des Hilfswerks für nicht mehr tragbar. «Es mag ja sein, dass er nichts gewusst hat, was vor sich geht. Aber dann muss er die Konsequenzen ziehen und zurücktreten.»
Bei den anderen Parteien klingt es gemässigter. Erst einmal, so der Tenor, müssten die Vorwürfe sauber abgeklärt werden. Würde der UNRWA die Gelder gestrichen, ohne eine alternative Unterstützung zu organisieren, hätte das für die Menschen in Gaza katastrophale Folgen, sagt die St. Galler SP-Nationalrätin Claudia Friedl. Die UNRWA habe den besten Zugang zur Bevölkerung, was angesichts der dramatischen Situation im Süden des Gazastreifens wichtig sei.
Sollten sich die Vorwürfe von Israel erhärten, sei das gravierend, sagt FDP-Nationalrätin Maja Riniker. Aber da aktuell keine Gelder an das Hilfswerk flössen, sollten keine übereilten Entscheide getroffen werden. Lazzarini solle sich erklären können. «Ich bin dagegen, seinen sofortigen Rücktritt zu fordern.»
GLP-Gredig: «Rücktrittsforderung ist überstürzt»
Das sieht auch die Zürcher GLP-Nationalrätin Corina Gredig so. Es sei richtig, dass die Schweiz die für 2024 vorgesehenen Gelder noch nicht ausbezahlt habe. «Die Vorwürfe, die im Raum stehen, sind schwerwiegend. Wir wollen nicht mit Steuergeldern Terrorismus mitfinanzieren.» Nach den neusten Entwicklungen aber das definitive Ende der Zahlungen oder Philippe Lazzarinis Rücktritt zu fordern, hält sie für überstürzt. «Es braucht eine saubere Untersuchung.» Im März will die Aussenpolitische Kommission Lazzarini anhören und dann entscheiden.
Lazzarini ist bereits der zweite Schweizer an der Spitze der UNRWA. Sein Vorgänger Pierre Krähenbühl trat im Jahr 2019 zurück, nachdem Uno-Generaldirektor Antonio Guterres dazu aufgefordert hatte. Ein interner Untersuchungsbericht der UNO, der bis heute unveröffentlicht ist, zeigte, wie wenig er von den Vorgängen in der UNRWA-Zentrale mitbekam. Er war mehr unterwegs, um Geld zu sammeln, als an Ort und Stelle.
Für das Hilfswerk hatte dies gravierende Folgen: Nachdem ein interner Untersuchungsbericht an die Öffentlichkeit gelangt war, zogen die USA ihre jährlichen Zahlungen in Höhe von 350 Millionen Dollar zurück. Die Schweiz stellte ihre Zahlungen vorübergehend ein.
Pierre Krähenbühl wiederum hat einen neuen Top-Job im humanitären Bereich gefunden: Er wird neuer Generaldirektor des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Erneut präsidiert ein Schweizer eine internationale Organisation, die sich vorhalten lassen muss, zu viel Verständnis für die palästinensische Seite zu zeigen. Zu den schärfsten Kritikern des IKRK gehört Israel, das dem Roten Kreuz vorwirft, es bemühe sich kaum um die israelischen Geiseln, die sich immer noch in der Gewalt der Hamas befinden.