Abduselam Halilovic spricht im Interview darüber, was die Islamischen Organisationen gegen die Radikalisierung junger Muslime unternehmen.
Herr Halilovic, am Samstag wurde in Zürich ein orthodoxer Jude niedergestochen. Der Täter hat in einem Bekennervideo dem Islamischen Staat die Treue geschworen. Was bedeutet das für Sie als Präsident der Vereinigung Islamischer Organisationen Zürich, wenn ein junger Muslim eine solche Bluttat begeht?
Zunächst einmal hat es mich ganz grundsätzlich schockiert, dass in Zürich eine solche antisemitische Attacke passieren kann, in der jemand nur wegen seiner Religionszugehörigkeit derart brutal angegriffen wird. Dass der Täter einen muslimischen Hintergrund hat, macht die Sache für uns noch schlimmer, weil es potenziell auf die gesamte muslimische Gemeinschaft zurückfallen kann. Es ist beängstigend, dass ein junger Mensch zu einer solchen Tat geschritten ist. Wir fragen uns alle, wie er sich so radikalisieren konnte.
Seit dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober haben antisemitische Vorfälle auch in der Schweiz zugenommen. Der Krieg im Nahen Osten löst bei Musliminnen und Muslimen Bestürzung und Wut aus. Wie verhindern Sie, dass diese Emotionen zu Konflikten mit der jüdischen Bevölkerung führen?
Die Ereignisse im Nahen Osten machen die muslimische wie auch die jüdische Community besonders betroffen. Und natürlich gehen da die Emotionen hoch, wobei eher Trauer und Machtlosigkeit vorherrschen. Wir haben aber von Anfang an die Angriffe der Hamas auf Israel verurteilt. So wie wir auch sofort klar Stellung bezogen haben zur Messerattacke in Zürich. Jegliche Form des Terrors ist für uns inakzeptabel. Zugleich fördern wir auch den interreligiösen Dialog.
Was bedeutet das konkret?
Wir pflegen direkte Kontakte zu Vertretern der jüdischen Gemeinden und nehmen an verschiedenen Gesprächsformaten teil, bei denen unterschiedliche Glaubensgemeinschaften präsent sind, wie beispielsweise dem Forum der Religionen. Dieses Verständnis für andere Glaubensgemeinschaften tragen Imame und andere Schlüsselpersonen in die Moscheen zu den Gläubigen. Wir widmen unsere Freitagspredigten dem Frieden und dem friedlichen Zusammenleben. Was am Samstag nun aber passiert ist, ist ein ganz starkes Warnsignal für uns. Wir diskutieren derzeit, wie wir den Vorfall weiter thematisieren sollen.
Was tun Sie, um zu verhindern, dass sich junge Männer radikalisieren und, wie der 15-Jährige am Samstag, zur Tat schreiten?
Wir sensibilisieren unsere Mitglieder regelmässig für das Problem. So war Radikalisierung und Prävention zum Beispiel ein Thema im Weiterbildungslehrgang «Zürich-Kompetenz», den wir Imamen und weiteren muslimischen Betreuungspersonen anbieten. Um solche Tendenzen zu erkennen, braucht es eine gute Beziehung zu den Gemeindemitgliedern. Natürlich kann sich eine Radikalisierung an äusseren Merkmalen zeigen, sie kann sich aber auch im Verborgenen abspielen. Deshalb ist es so schwierig, eine solche Tat vorauszusehen. Die Radikalisierung junger Menschen, ob politisch oder religiös motiviert, ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft und betrifft uns alle gleichermassen.
Was tun Imame, wenn sie solche Tendenzen feststellen?
Sie vermitteln den Betroffenen alternative Narrative. Radikale Gruppierungen reden den meist jungen Männern ein, dass sie isoliert sind und in der westlichen Gesellschaft unterdrückt werden. Und sie offerieren ihnen einen Ausweg: Sie sollen Stärke zeigen und Gewalt ausüben, um so Ansehen zu gewinnen. Gerade auf junge Menschen mit Brüchen in der Biografie kann das anziehend wirken. Wir versuchen ihnen dagegen zu vermitteln, dass sie positiv an der Gesellschaft teilhaben können. Dass sie Muslime und Schweizer zugleich sein und friedlich mit Menschen anderen Glaubens zusammenleben können.
Nach Taten wie jener vom Samstag könnte auch die Kritik an Muslimen wieder zunehmen. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Es ist sicher so, dass antimuslimische Haltungen nach solchen Taten reaktiviert werden. Wir haben das auch vor zehn Jahren gespürt, als der IS besonders stark wurde. Gewisse Reaktionen kann ich durchaus nachvollziehen. Es ist nun einmal ein muslimischer Jugendlicher, der die Tat begangen hat. Ich hoffe aber, dass die Mehrheit der Gesellschaft nicht von Einzelfällen auf die ganze Gruppe schliesst. Wichtig ist, dass wir als gesamte Gesellschaft in diesen Momenten keine Spaltung und Polarisierung zulassen. Antisemitismus, Rassismus und antimuslimische Haltungen sind Dinge, denen wir uns gemeinsam entgegenstellen müssen.
Abduselam Halilovic ist Präsident der Vereinigung Islamischer Organisationen Zürich. Der 32-Jährige studierte Islamwissenschaft an der Universität Zürich und ist stellvertretender Geschäftsleiter der Muslimischen Seelsorge Zürich.
Statement gegen Hetze und Gewalt
jhu. Auf Initiative der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus wurde am Dienstag ein gemeinsames Statement verschiedener Religionsgemeinschaften veröffentlicht. «Zusammen gegen Hetze und Gewalt» lautet der Titel. Das friedliche Zusammenleben werde bedroht durch Spaltung und Hass. Es sei an der Zeit, dass die Zivilgesellschaft, ihre Minderheiten und die Politik als eine Einheit gegen diese Bedrohung aufträten, heisst es in der Mitteilung. «Wir sind vielfältig, und diese Vielfalt ist unsere Stärke.»
Es gelte nun, für Toleranz und Respekt einzustehen. «Extremistische Haltungen haben keinen Platz in einer Demokratie», heisst es in der Mitteilung weiter. Ein friedliches Miteinander bedinge, legitime unterschiedliche Ansichten auszuhalten, zu debattieren und Lösungsfindungen anzustreben.
Unterschrieben wurde das Statement von Vertretern jüdischen, muslimischen und christlichen Glaubens. Zudem auch von den Regierungsräten Mario Fehr und Jacqueline Fehr sowie der Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch.