Das Bezirksgericht Uster sieht keine Anhaltspunkte für unverhältnismässiges Verhalten.
Der Strafprozess am Bezirksgericht Uster hatte vor einem Monat stattgefunden, am Dienstag ist das Urteil gefällt und am Mittwoch mündlich eröffnet worden: Vier Kantonspolizisten sind im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz vom Juli 2021 in Wangen bei Dübendorf von den Vorwürfen der einfachen Körperverletzung und des Amtsmissbrauchs freigesprochen worden.
Die Polizisten hatten damals den Auftrag, eine psychisch angeschlagene Frau, gegen die eine fürsorgerische Unterbringung (FU) verfügt worden war, in deren Wohnung abzuholen. Die heute 53-jährige Frau wehrte sich aber heftig dagegen. Sie macht geltend, beim Polizeieinsatz misshandelt worden zu sein.
Die Schadenersatz- und Genugtuungsforderungen der Privatklägerin wurden vom Bezirksgericht auf den Zivilweg verwiesen. Auf einen Antrag des Anwalts der Frau, es sei festzustellen, dass Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Verbot unmenschlicher, erniedrigender Behandlung) verletzt worden sei, trat das Gericht nicht ein. Das liege nicht in seiner Zuständigkeit, begründete der Einzelrichter.
Wahrnehmung der Frau beeinträchtigt
Bei der Urteilseröffnung erklärt der Richter, unter den damaligen Umständen sei es «logisch und menschlich», dass die Wahrnehmung der Frau beim Polizeieinsatz beeinträchtigt gewesen sei. Sie habe sich in einem Ausnahmezustand befunden, habe sich zuvor selber freiwillig ins Spital Uster begeben, habe Streit mit ihrem Ehemann gehabt, Suizidabsichten geäussert und auch angegeben, zwei bis drei Tage nichts mehr gegessen zu haben.
Spitalärzte verfügten eine FU. Die Frau verliess das Spital aber heimlich, was eine polizeiliche Ausschreibung auslöste. Zunächst begaben sich zwei Polizisten zu ihrer Wohnung, um sie abzuholen. Sie weigerte sich, aufzumachen, verbarrikadierte sich und schob schwere Möbel vor die Türe. Die Beamten forderten Verstärkung an und boten einen Schlüsselservice auf, der die Türe aufbohrte.
Die Frau warf Konservendosen und andere Gegenstände gegen die Polizisten. Als diese in die Wohnung eindringen konnten, wurden der Frau Handschellen angelegt, wogegen sie sich – auch gemäss eigenen Angaben – heftig wehrte. Über die weiteren Geschehnisse gingen die Schilderungen der Polizisten und der Frau auseinander.
Die vier Kantonspolizisten im Alter zwischen 30 und 46 Jahren beschrieben im Gerichtssaal ihr Eingreifen als einen «völlig angemessenen», «souveränen», «verhältnismässigen», «eher milden» Einsatz. Sie hätten trotz extremer Gegenwehr auf die Bedürfnisse der Frau Rücksicht genommen.
Die Frau machte hingegen geltend, sie sei von den Polizisten brutal über ein Schrankmöbel geworfen worden. Und das, obwohl sie die Männer auf eine mehrere Wochen zurückliegende Rückenoperation aufmerksam gemacht habe und den Rücken nicht habe belasten dürfen. Ein Polizist habe ihr dann die Handschellen absichtlich enger angezogen. Sie habe, am Boden sitzend, mit zu engen Handschellen eineinhalb Stunden warten müssen. Sie machte Blutergüsse und eine Quetschung des Nervs an einem Daumen geltend.
Ihr Anwalt hatte 6000 Franken Genugtuung verlangt, der Staatsanwalt vor Gericht einen Freispruch gefordert. In der Untersuchung war Letzterer zweimal vom Obergericht zurückgepfiffen worden, als er Nichteintreten beantragt und später die Strafuntersuchung eingestellt hatte.
Keine Unverhältnismässigkeit feststellbar
Der Einzelrichter erklärt in der Urteilsbegründung, es gebe keine Anhaltspunkte aus dem Arztbericht nach der Rückenoperation, dass die Frau im Gehen, Sitzen oder Biegen des Rückens eingeschränkt gewesen sei. Zudem habe sie während des Vorfalls selber schwere Möbel verschoben und Gegenstände geworfen. Dadurch könne sie ihre Beschwerden selber verursacht haben.
Die Frau habe auch gar nicht wahrnehmen können, ob und wie ihr die Handschellen hinter dem Rücken enger eingestellt worden seien. Alle Polizisten hatten diesen Vorwurf stets verneint. Es stehe aber fest, dass die Frau sich aus ihren Handschellen hatte herauswinden wollen. Die angeblichen Verletzungen der Frau hätten zum Teil nur auf ihren Schilderungen und nicht auf Feststellungen von Ärzten basiert.
Es sei nicht nachgewiesen, dass solche Verletzungen nicht schon vor dem Polizeieinsatz bestanden hätten oder durch die Abwehr der Frau oder Versuche des Herauswindens aus den Handschellen entstanden seien. Die Frau sei zudem nicht bereit gewesen, die Ärzte im Spital vom ärztlichen Geheimnis zu entbinden.
Ein Kausalzusammenhang zwischen den Handlungen der Polizisten und den Verletzungen lasse sich nicht erstellen. In subjektiver Hinsicht gebe es auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Polizisten Verletzungen beabsichtigt oder in Kauf genommen hätten. Ein unverhältnismässiges Verhalten der Polizisten konnte das Gericht nicht feststellen.
Die Frau habe selber angegeben, sie habe sich heftig gewehrt, sagt der Einzelrichter. Alle Polizisten hätten während des mehrstündigen Einsatzes nie gewusst, mit welchen Abwehrreaktionen weiter zu rechnen gewesen seien. Sie hätten sich im ständigen Spannungsfeld zwischen Erfüllen des Auftrags, sachgerechtem Umgang mit der Frau und Eigenschutz befunden.
Urteil GG230038 vom 5. 3. 2024, noch nicht rechtskräftig.