Am Gründonnerstag fällt im Wallis und im Berner Oberland derart viel Schnee, dass Äste brechen, Bäume umstürzen und mancherorts die Stromversorgung für mehrere Tage ausfällt. Förster wie Ferdinand Pfammatter verhinderten Schlimmeres.
In der Nacht auf Gründonnerstag setzten im Wallis und im Berner Oberland starke Schneefälle ein. Der schwere Schnee, der sich mancherorts über einen Meter hoch türmte, unterbrach die Stromversorgung, den Strassen- und den Schienenverkehr. In Visp fielen innerhalb von 24 Stunden 138 Millimeter Niederschlag. Das ist die grösste Menge, die vor Ort jemals gemessen wurde.
Diese starken Niederschläge wirkten sich auf praktisch alle Lebensbereiche aus. Vielerorts fiel der Strom aus, mancherorts auch das Mobilfunknetz. Im Matter- und im Saastal schloss der Schnee Touristen und Einheimische mehrere Tage ein. Der Kanton Wallis rief die besondere Lage aus.
Zwei Wochen später ist der meiste Schnee geschmolzen, doch die Wälder sind von seiner Last gezeichnet. Vielerorts liegen abgebrochene Äste und entwurzelte Bäume am Boden. Forstbetriebe und Helfer räumen auf. Der Kanton Wallis sammelt Daten und hat noch immer keine Übersicht über das Ausmass der Schäden.
Entlang der Lötschberg-Bergstrecke pflegt die Bahngesellschaft BLS seit hundert Jahren die Wälder beiderseits der Gleise. Der Schneefall verursachte hier besonders grosse Schäden. Leute wie der Revierförster Ferdinand Pfammatter versuchten sie einzugrenzen und bereiten sich bereits auf die nächsten starken Niederschläge vor.
Ferdinand Pfammatter, Sie leiten den Forstbetrieb der BLS. Haben Sie die Schäden in Ihrem Revier schon analysieren können?
In Lagen zwischen 600 und 900 Metern über Meer haben wir die grössten Schäden. In diesem Bereich sind die Laubbäume früh ausgetrieben und boten dem Schnee deshalb mehr Fläche. Wo die Humusschicht nur dünn ist, sind die Bäume samt den Wurzelstöcken gekommen. Andernorts stehen sie noch, sind aber stark beschädigt. Ich habe auch Bäume gesehen, die der Schnee gekrümmt hat wie einen Pfeilbogen.
Was heisst das in Zahlen?
Unser Schutzwald erstreckt sich auf einer Fläche von 250 Hektaren. Wir rechnen mit 2000 Kubikmetern Holz, das zerdrückt, gestaucht oder samt den Wurzeln herausgerissen wurde. Das ist so viel, wie 140 LKW laden können. An manchen Stellen klaffen Lücken im Schutzwald.
Wie viele Überstunden haben Sie und Ihre Mitarbeiter seit Gründonnerstag geleistet?
Während der Ostertage haben wir teilweise bis Mitternacht gearbeitet. Das waren 16-Stunden-Tage. Das Holz blockierte Strassen, Suonen, Bäche. Wir mussten durchziehen, damit wir weitere Schäden verhindern konnten. Zum Beispiel Murgänge.
Murgänge?
Die untersten Schichten der Schneedecke waren durchtränkt mit Wasser, das unter dem Schnee ins Tal rann, Schlamm und Geröll mit sich trug und einen Abfluss verstopfte. Weil diese Abflüsse von einem halben Meter Schnee bedeckt und schwer zugänglich waren, konnten wir sie nur unter erschwerten Bedingungen reinigen. In der Nähe des Bahnhofs Brig geriet durch dieses Wasser eine Rutschung von 80 Kubikmetern Schlamm und Geröll in Bewegung.
Sie konnten aber reagieren?
Ein Fangnetz hielt die Rutschung auf. Wäre dieses Netz nicht gewesen, wäre das Geschiebe über eine senkrechte Felswand gestürzt und hätte die Bahnlinie der Bergstrecke verschüttet. Wir mussten das Netz also möglichst rasch entlasten und mit schwerem Gerät das ganze Material abbaggern. Es war eben nicht bloss der Schnee. Es waren auch die Schäden an der Infrastruktur und die Gefahr von Rutschungen, die uns zusätzlich unter Druck gesetzt haben.
Nun, da der Schnee geschmolzen ist: Was ist Ihre dringlichste Aufgabe?
Der Wald ober- und unterhalb der Lötschberg-Bergstrecke steht auf felsigem Grund. Er wird seit hundert Jahren bewässert. Wenn wir unsere Bewässerungssysteme nicht wieder instand setzen, fehlt dieses Wasser. Dann würde sich in diesem Bereich wieder eine Felsensteppe ausbreiten, wie zuvor. Die Bahnstrecke wäre schutzlos. Doch die Infrastruktur in unserem Revier ist grossflächig beschädigt oder zerstört. Wege sind verschüttet, Strassen mit ausgerissenen Wurzelstöcken bedeckt. Stellenweise erinnert es mich an Bilder, die man von Stürmen wie «Lothar» oder «Vivian» kennt.
So dramatisch?
Wir haben zwar keinen Kollaps des Schutzwaldes, doch der Schnee hat mancherorts die Arbeit von Jahrzehnten zerstört. Es ist sehr wichtig, dass wir die Bachläufe möglichst rasch freiräumen. Sonst könnte sich nach den extremen Schäden an Ostern schon im Sommer ein weiteres Problem entwickeln.
Ein weiteres Problem?
Wenn die nächsten Starkniederschläge fallen, könnte dieses Holz das Wasser stauen und Murgänge auslösen.
Räumarbeiten an steilen Bächen zehren sicher an den Kräften.
Es braucht auch viel Erfahrung, denn die Arbeit birgt nach solchen Schäden ohnehin erhebliche Risiken. Gerade wenn viele Bäume übereinanderliegen, kann sich im Holz eine Spannung aufstauen. Unsere Mitarbeiter müssen also genau wissen, wo sie den Baum ansägen können, ohne dass er hochschnellt.
Viele Einheimische und auch Touristen fühlen eine Beklemmung, wenn sie all die gebrochenen Äste und geborstenen Bäume sehen. Was macht das mit Ihnen?
Viele meiner Kollegen und auch ich selbst arbeiten seit zwanzig Jahren in diesen Wäldern. Das Ergebnis dieser Arbeit liegt jetzt vielerorts am Boden. Ich kann meine Gefühle nur schwer beschreiben.
Wie sollte die Bevölkerung auf extreme Ereignisse wie diese Niederschläge reagieren?
Über Ostern war schönes Wetter, die Leute wollten raus in die Natur, und das ist auch verständlich. Allerdings bewegten sich etliche Personen auf gesperrten Wegen oder in Bereichen, wo wir sägen und räumen mussten. Stellen Sie sich vor, Sie zersägen im Wald ganze Baumstämme, und plötzlich klopft Ihnen ein Wanderer auf die Schulter, weil er vorbeilaufen will. Oder Sie treffen in einem abgesperrten Bereich auf Camper, die dort zelten, während in den Bäumen über ihnen noch lose Äste hängen. Mit diesem Verhalten bringen diese Leute sich selbst und auch uns in Gefahr, deshalb möchten wir auch dazu aufrufen, Absperrungen und Empfehlungen zu beachten.
Haben Ihre Leute noch genug Energie?
Wir tauschen uns im Team regelmässig über dieses Thema aus. Am vergangenen Wochenende haben wir uns dann entschieden, freizumachen und uns zu erholen. Das war immens wichtig. Jetzt versuchen wir aus dem Krisenmodus wieder in geordnetere Arbeitsabläufe zurückzufinden. Zudem erhalten wir für kleinere Hilfsarbeiten Unterstützung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BLS. Seit einigen Jahren können sie sich einen Tag alle zwei Jahre für solche Aushilfsdienste in der Natur melden. Das ist eine wichtige Entlastung für uns.
Wie lange werden die Arbeiten noch andauern?
Momentan arbeiten wir nach der Triage. In den kommenden Monaten werden aber noch etliche weitere Arbeiten anfallen. Hinzu kommt unsere alltägliche Arbeit, die wir parallel weiterführen. Ich denke, dass wir noch ein knappes Jahr mit Aufräumen beschäftigt sein werden. Bis sich die stark geschädigten Wälder regeneriert haben, wird es aber Jahrzehnte dauern.