Elf Wochen nach der Parlamentswahl ist die Regierungsbildung wieder zurück auf Platz eins: Der Zentrist Pieter Omtzigt steigt aus den Gesprächen aus. Ihm sind Wilders’ Finanzpläne ungeheuer.
Muss Europas bekanntester Islamophob Geert Wilders seinen Traum beerdigen, Ministerpräsident zu werden? Bald drei Monate nach der niederländischen Parlamentswahl hat sich ein zentraler Akteur aus den Koalitionsverhandlungen zurückgezogen.
Pieter Omtzigt, der Gründer der Partei Neuer Gesellschaftsvertrag (NSC), erklärte am Dienstagabend, dass er die Gespräche nicht fortsetzen werde. Damit steht fest, dass eine breite rechtsgerichtete Koalition in den Niederlanden vorerst nicht zustande kommt.
Omtzigt nannte als Grund die Meinungsverschiedenheiten über die Finanzpolitik. Mehrere Ministerien hatten die vier Parteien, die seit Dezember über eine Regierungsbildung verhandeln, über die angespannte Haushaltslage informiert.
Omtzigt sah sich die Zahlen an und zog daraus den Schluss, dass die Wahlversprechen, die insbesondere Wilders seinen Wählern gemacht hatten nicht bezahlbar sind. Darunter befinden sich nicht nur erhebliche Steuersenkungen und ein tieferes Rentenalter, sondern auch Gratisangebote im öffentlichen Verkehr sowie mehr Geld für Gesundheits- und Sozialwesen. «Ich will dem niederländischen Volk keine Versprechungen machen, von denen ich jetzt schon weiss, dass ich sie nicht halten kann», sagte Omtzigt.
Wilders wütend und enttäuscht
Wilders reagierte enttäuscht. «Die Niederlande wollen diese Regierung, und jetzt wirft Pieter Omtzigt das Handtuch, wo wir doch bis heute noch im Gespräch waren. Das verstehe ich überhaupt nicht», schrieb der Anführer der Partei für die Freiheit (PVV) auf X.
Auch Caroline van der Plas, die für die Bauern-Bürger-Bewegung an den Gesprächen beteiligt ist, äusserte Unverständnis: «Es ist für uns eine völlige Überraschung, dass Pieter Omtzigt beschlossen hat, den Tisch zu verlassen», schrieb sie.
Bei der Wahl am 22. November hatte Wilders mit seiner PVV 37 von 150 Parlamentssitzen gewonnen und damit sein historisch stärkstes Ergebnis eingefahren. Aber auch der frühere Christlichdemokrat Omtzigt hatte aus dem Stand 20 Sitze für den NSC geholt. Beide Parteiführer dürfen als Gewinner des Urnengangs zählen.
Die liberal-konservative Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) des scheidenden Premiers Mark Rutte war dagegen klar abgestraft worden, und auch das von Frans Timmermans angeführte Linksbündnis aus Sozialdemokraten und Grünen konnte die Wähler nicht überzeugen.
Es war also nur folgerichtig, dass sich Wilders und Omtzigt zusammensetzten, um ein Bündnis zu sondieren, das dem breiten Wählerwillen entsprechen sollte. Mit am Tisch sassen ausserdem die VVD-Frontfrau Dilan Yesilgöz, die eine solche Regierung allerdings nur tolerieren wollte, ohne sich zu beteiligen, sowie die Bauernführerin van der Plas. Alle vier Parteien waren sich vor allem beim Thema Migration mehr oder weniger einig. Sie wollen die Einwanderung in die Niederlande deutlich einschränken.
Omtzigt hatte von Beginn der Gespräche an rechtsstaatliche Bedenken gegen die Zusammenarbeit mit Wilders angemeldet. Der Ökonom störte sich unter anderem an Wilders’ Plänen, Moscheen, den Koran und islamische Schulen in den Niederlanden verbieten zu wollen. Das verstiesse gegen die Verfassung.
Er forderte von Wilders auch dann noch eine Klarstellung, als der PVV-Chef nach dem Wahlsieg versprach, diese Ideen «auf Eis zu legen». Viele Niederländer sind skeptisch, ob Wilders seinen Ideen im Umgang mit der muslimischen Gemeinschaft auch nur vorläufig abgeschworen hat. Schliesslich bezeichnete er die Gegnerschaft zum Islam wiederholt als «Teil der DNA» seiner Partei.
Bei der Migration war man sich schliesslich weniger einig, als es zunächst den Anschein gemacht hatte: So wollte Wilders die Zuwanderung auf null senken. Um das umzusetzen, müsste Den Haag aus dem Schengenraum austreten. Yesilgöz und van der Plas dagegen wollen die Einwanderung zwar reduzieren, bei der Arbeitsmigration aber auf differenzierte Lösungen setzen.
Macht die Rutte-Partei doch mit?
Am Ende waren es aber die Finanzen, die die Gespräche zum Scheitern brachten. Ronald Plasterk, ein früherer sozialdemokratischer Innenminister, der von Wilders mit der Sondierung von Koalitionspartnern beauftragt worden war, soll nun den Parteien Ratschläge erteilen, wie die Gespräche weitergehen sollen.
Offenbar kaum eine Rolle spielte bei den Verhandlungen die aussenpolitischen Pläne von Wilders. Gegner der Hilfe für die Ukraine in der EU wie der ungarische Regierungschef Viktor Orban bekämen mit ihm Unterstützung. Im Wahlprogramm sprach sich seine Partei gegen weitere Militärhilfen aus: «Wir schicken unser Geld und militärisches Material wie die F-16 nicht in die Ukraine, sondern behalten sie für unsere eigene Armee.»
Omtzigt erklärte unterdessen, dass er weiterhin bereit sei, eine Minderheitsregierung unter Wilders zu tolerieren. Theoretisch könnte sich daran auch die VVD beteiligen, sollte es sich Yesilgöz noch einmal anders überlegen. Sie tut sich schwer, ihre Partei zu kontrollieren. Nach Umfragen ist eine Mehrheit der VVD-Wähler für eine Regierungsbeteiligung.
Ohne diese Partei käme eine Koalition aus Wilders’ PVV und der Bauernpartei allerdings nur auf 44 Sitze – etwas mehr als ein Viertel der Parlamentssitze. Auch eine ganz andere Formation wäre rechnerisch möglich, beispielsweise eine grosse Koalition unter Beteiligung der Sozialdemokraten und Grünen.
Laut Umfragen wäre ein solches Bündnis jedoch die von den Niederländern am wenigsten gewünschte Variante. Schliesslich bleibt auch noch die Möglichkeit von Neuwahlen. Vor denen müssten sich die Gegner Wilders’ jedoch am meisten fürchten: Laut Umfragen käme der Rechtspopulist derzeit sogar auf 50 der 150 Sitze.