Der Verlag Eksmo-AST will den letzten Teil der «Doktor Garin»-Trilogie von Wladimir Sorokin aus dem Programm nehmen. Wegen angeblicher LGBT-Propaganda. Bücher von Autoren, die sich kritisch über den Ukraine-Krieg und das Putin-Regime äussern, werden systematisch aus dem Verkehr gezogen.
Während die Diskussionsgäste im russischen Staatsfernsehen regelmässig in Schnappatmung verfallen, wenn sie sich über das Canceln russischer Künstler im Westen echauffieren, verschwinden die besten Gegenwartsautoren aus den russischen Buchläden und Bibliotheken. Vor kurzem hat der Verlag Eksmo-AST angekündigt, den letzten Teil der «Doktor Garin»-Trilogie von Wladimir Sorokin aus dem Programm zu nehmen. Grund dafür ist angebliche LGBT-Propaganda im Buch. Ein neu geschaffenes «Experten-Zentrum», in dem Vertreter patriotischer Organisationen, Kulturwissenschafter und Religionsvertreter sitzen, hatte eine entsprechende Empfehlung abgegeben, nachdem «Klagen aus der Gesellschaft» laut geworden seien.
Sorokin ist kein Einzelfall. Vor wenigen Monaten wurden die Bücher von Boris Akunin, Dmitri Bykow und Ljudmila Ulitzkaja in Russland aus dem Verkehr gezogen. Bei allen diesen literarischen Grössen war das Vorgehen das gleiche: Die staatsnahen Komiker Wowan und Lexus gaben sich in Prank-Calls als Vertreter der ukrainischen Regierung aus, entlockten ihren Opfern antirussische Statements und stellten die Gespräche online.
Neben regimekritischen russischen Autoren waren auch westliche Politiker solchen Aktionen zum Opfer gefallen. So sagte etwa Giorgia Meloni im November einem der Komiker, der sich als Vertreter der Afrikanischen Union vorstellte, dass die europäischen Regierungschefs genug vom Ukraine-Krieg hätten. Die Vermutung steht im Raum, dass Wowan und Lexus ihre Streiche im Auftrag des russischen Geheimdienstes spielen.
Dubioses Komikerduo
Alle Getäuschten wiederholten jedoch nur Positionen, die sie in zahlreichen Statements bereits öffentlich gemacht hatten. Boris Akunin sagte gegenüber dem dubiosen Komikerduo, die russische Armee sei eine verbrecherische Organisation und Russland müsse sich zu einer Konföderation von autonomen Regionen wandeln. Dmitri Bykow meinte, er verurteile die Ukraine nicht für die Angriffe auf zivile Ziele in Russland. Und Ljudmila Ulitzkaja erklärte, dass sie die Honorare ihrer Buchverkäufe in Russland an die ukrainische Armee spende.
Die russischen Behörden sahen die Tatbestände von Terrorismus und Extremismus erfüllt. Ein Moskauer Gericht erliess in absentia einen Haftbefehl für Boris Akunin, das Vermögen seiner Frau in Russland wurde beschlagnahmt. Akunin reagierte auf das Verbot seiner Bücher mit der Gründung eines eigenen Exilverlags unter dem Namen BAbook, in dem er auch seine eigenen Werke veröffentlicht.
Virtuosen der Gewalt
Die russischen Polittechnologen sind mittlerweile zu Virtuosen der Gewalt geworden, die das Crescendo der Aggression meisterhaft beherrschen. So wurden prominente Schriftsteller nach ihrer Kritik an der Krim-Annexion auf grossen Plakaten im Stadtzentrum Moskaus als «Verräter» gebrandmarkt. Ankündigungen von Theaterstücken wurden ohne Nennung des Verfassers gedruckt.
Interne Anweisungen für Buchhandlungen sahen vor, dass Bücher missliebiger Autoren nicht mehr mit dem Cover ausgestellt werden durften, sondern nur noch mit dem Buchrücken auf tieferen Regalbrettern. Noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine gab es auch physische Angriffe. Ulitzkaja wurde mit grüner Farbe übergossen, Dmitri Bykow wurde Opfer eines Giftanschlags. Kein Autor von Rang und Namen lebt heute noch in Russland.
Die Folgen für die russische Literatur sind verheerend. Grossen Erfolg haben die imperialen Fantasy-Romane von Wiktor Daschkewitsch. Sein Held Graf Awerin ist ein Zauberer, der im Petersburg der achtziger Jahre böse Geister austreibt. Die Oktoberrevolution hat nie stattgefunden, in Russland herrscht Zar Alexander V. Das Lesepublikum wird in eine alternative Wirklichkeit entführt und muss sich um die reale Gegenwart keine Sorgen machen.