Modissa will so die Eigenmarke Collectif mon Amour forcieren.
Es war das Jahr, in dem MTV auf Sendung ging. Im Radio wurde «Bette Davis Eyes» rauf und runter gespielt, Kurt Furgler war Bundespräsident, Zürich brannte nicht mehr, aber Punk startete erst richtig durch. Und an der Bahnhofstrasse ging 1981 ein Geschäft für junge Mode auf, das das Stadtbild bis heute prägen sollte.
«Big» hiess es, achtziger-Jahre-typisch unbescheiden und in bewusster Abgrenzung zum etwas angestaubten Mutterhaus Modissa schräg vis-à-vis, das für junge Frauen der Laden ihrer Mütter war. Factory-Stil statt Carrara-Marmor, Röhrli-Jeans und Miniröcke statt Seidenblusen. Big war gross, lange bevor es H&M oder Zara gab.
Diese Epoche geht nun, über vierzig Jahre danach, zu Ende. Die Modissa-Besitzer lassen Big verschwinden. Mitsamt dem prägnanten Schriftzug auf dem Art-déco-Fries über dem Haupteingang, der auch über die zentrale Querachse der Uraniastrasse von weitem sichtbar ist.
Doch im Gegensatz zu vielen anderen Traditionsgeschäften an der Bahnhofstrasse, darunter auch der Modissa-Hauptsitz, ist dieses Ende ein Neuanfang. Das Geschäft wird in zwei Wochen, am 29. Februar, von den gleichen Besitzern unter anderem Namen wiedereröffnet.
Künftig heisst es «Collectif mon Amour» – das ist die 2017 erfundene Modissa-Eigenmarke, die bei Big schon bisher etwa die Hälfte des Umsatzes generierte. Dieser Anteil soll nun deutlich gesteigert werden, und der Laden soll als Flagship-Store dazu dienen, den Namen bekannter zu machen. Das ist das Kalkül.
Nachhaltige Eigenmarke plus Edel-Secondhand-Laden
Genau wie 1981 bei der Erfindung der Tochtermarke Big springen die Modissa-Besitzer auf einen Megatrend auf, um für eine neue Generation anschlussfähig zu bleiben. Das Stichwort lautet jetzt: Nachhaltigkeit.
Darauf ist nicht nur die Marke Collectif mon Amour ausgerichtet, sondern auch die Partnerin, die man sich ins Haus holt: die Unternehmerin Rea Bill mit ihrer Ladenkette Reawake, in der bereits getragene Stücke von Nobelmarken wie Chanel, Hermès, Louis Vuitton oder Gucci verkauft werden. Secondhand, aber first class.
Bill sieht sich nicht als Umweltaktivistin – auch bei ihr geht es um lustvollen Konsum –, sie stört sich jedoch an der Schnelllebigkeit der Branche. Sie nimmt für sich in Anspruch, mit ihrem Geschäftsmodell etwas gegen die Schattenseiten der Textilindustrie zu unternehmen. Gegen die Ausbeutung von Arbeiterinnen und ungebremste Treibhausgasemissionen.
Reawake hat seine Zürcher Filiale vor einigen Jahren ins Warenhaus Jelmoli verlegt; dieses schliesst aber Ende 2024. Im umgebauten Big-Geschäft an der Bahnhofstrasse bekommt der Edel-Secondhand-Laden ein neues Zuhause.
Die Marke Collectif mon Amour wiederum, das jüngste Kind der Modissa-Familie, hat sich den Zielen des Programms «Sustainable Textiles Switzerland 2030» verpflichtet, das mithilfe des Bundesamts für Umwelt initiiert wurde. Auch grosse Anbieter wie Migros und Coop, PKZ, Calida, Mammut oder Transa nehmen daran teil.
Zu den Zielen gehört es nicht nur, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um die Hälfte und bis 2050 auf null zu senken. Die angeschlossenen Unternehmen verpflichten sich auch, entlang ihrer gesamten Lieferkette Einfluss zu nehmen, um exzessive Arbeitszeiten, Zwangsarbeit, Kinderarbeit und sexuelle Belästigung zu verhindern.
Auch wenn bei Collectif mon Amour nur das Design aus Zürich stammt, habe man die Lieferkette im Griff, sagt der Modissa-CEO Reto Waidacher auf Anfrage. Nicht zuletzt deshalb, weil man zum Teil schon viele Jahrzehnte mit den gleichen Lieferanten zusammenarbeite. Damals waren es vor allem Strickwaren aus China, die bei Modissa ins Sortiment kamen – und an diese Tradition knüpft das Haus heute an.
Die Strickmode komme heute mehrheitlich aus Portugal, aber nach wie vor auch aus China, aus der Inneren Mongolei und Hongkong, sagt Waidacher. Einen Cashmere-Pullover gebe es bei Collectif mon Amour für deutlich unter 300 Franken. Er garantiert aber, dass alles unter fairen Bedingungen produziert werde. Man kenne die Produzenten gut und habe sie auch schon vor Ort besucht. Zwischenhändler würden wo immer möglich vermieden.
Der Holzschindel-Look weist den Weg
Die Neuausrichtung des Ladens an der Bahnhofstrasse am Zeitgeist wird sich auch in der Innenarchitektur niederschlagen: Auf den Marmor-Look von Modissa und den Factory-Look von Big folgt nun ein Toggenburger Holzschindel-Look. Kombiniert mit einem Bodenbelag aus Naturkautschuk.
Für Modissa entscheidet sich in diesen Räumen wohl, ob dem Traditionshaus auch seine zweite Neuerfindung gelingt und es den Weg in die Zukunft findet. Es ist einen weiten Weg gekommen, wenn man bedenkt, dass der Unternehmenspatron Isy Gablinger Mitte der 1940er Jahre mit dem Direktimport günstiger Persianermäntel angefangen hat.
Als Modissa 2022 bekanntgab, sich auf die Weiterentwicklung der Big-Geschäfte zu konzentrieren und die letzten zwei klassischen Modegeschäfte in Winterthur und an der Zürcher Bahnhofstrasse zu schliessen, war dies das Ende eines längeren Rückzugsgefechts. Über die Jahre hatten zuvor mehrere Modissa-Filialen dichtgemacht, unter anderem in den Einkaufszentren Glatt und Spreitenbach.
Big hielt sich an diesen Standorten etwas länger, ist inzwischen aber ebenfalls auf drei Filialen in der Stadt Zürich geschrumpft. Jene im Hauptbahnhof und in den Viaduktbögen werden noch bis im Herbst unter der alten Marke laufen. Dann vollziehen auch sie den Namenswechsel. Vielleicht ist es der Anfang einer neuen Epoche.