Ein Skandal in Japans Dauer-Regierungspartei LDP hat Konsequenzen. Parteichef Kishida tritt nicht zur Wiederwahl an. Damit bekommt das G-7-Land bald einen neuen Regierungschef.
Japans Regierungschef Fumio Kishida hat faktisch seinen Rücktritt angekündigt. Am Mittwoch erklärte er vor der Presse, dass er nicht zur Präsidentschaftswahl seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) Ende September antreten werde. In Japan ist der Parteichef meist auch der Regierungschef.
Offiziell will er damit die Verantwortung für einen Parteispendenskandal seiner Partei übernehmen. Es sei notwendig, den Menschen eine neue LDP zu präsentieren, begründete er den Schritt. «Und der offensichtlichste erste Schritt für die Veränderung der LDP ist, dass ich zurücktrete.»
Kishida erhöht damit nach drei stabilen Amtsjahren in einer geopolitisch und wirtschaftlich brisanten Zeit die politische Unsicherheit in der viertgrössten Volkswirtschaft der Welt. Im Nahen Osten droht ein Krieg Irans und seiner Milizen gegen Israel. Daheim ist nach einer überraschenden Zinserhöhung durch die Notenbank und einem historischen Börsencrash der Finanzmarkt verunsichert.
Das Urteil der Anleger auf Kishidas Ankündigung unterstreicht diese Verunsicherung. Während die Börse das voraussichtliche Ende eines unpopulären Regierungschefs üblicherweise mit steigenden Kursen quittiert, sank der Leitindex Nikkei 225 am Mittwoch nach der ersten Nachricht ins Minus. Kurz vor Handelsschluss legte er dann noch leicht zu gegenüber dem Vortag. Denn noch ist völlig unklar, wer auf Kishida folgen wird.
Schon länger tiefe Zustimmungsraten für die LDP
Ganz unerwartet kommt der Rücktritt nicht, mit dem Kishida einer möglichen Abwahl durch seine Partei zuvorkommt. Innerparteilich ist er als Chef einer Machtgruppe zwar ein Schwergewicht. Aber die Zustimmungsrate für sein Kabinett rutschte in Umfragen dauerhaft deutlich unter 30 Prozent ab, auch die Popularität der Partei leidet.
Ein Führungswechsel ist ein traditionelles Mittel, wahltaktisch für Rückenwind zu sorgen. Dafür ist Kishida selbst ein gutes Beispiel. Im Herbst 2021 ersetzte er den glücklosen Yoshihide Suga, der sich nur ein Jahr im Amt hielt. Danach erfreute sich Kishida über Monate einer hohen Popularität.
Parteiskandale überschatten diplomatische Erfolge
Besonders auf diplomatischem Parkett glänzte der ehemalige Aussen- und Verteidigungsminister. Nicht nur der Ukraine-Krieg fiel in seine Regierungszeit. Er führte das Land auch auf einen neuen sicherheitspolitischen Kurs. So setzte Kishida ohne grosse öffentliche Widerstände eine starke Anhebung des Verteidigungsetats auf zwei Prozent der Wirtschaftskraft durch. Japan soll besser gegen die Bedrohung der atomar bewaffneten Nachbarn China, Russland und Nordkorea geschützt werden.
Zudem trieb der 67-Jährige neue Sicherheitsallianzen voran. Der Höhepunkt war der Abschluss einer trilateralen Sicherheitsallianz mit der Schutzmacht USA und dem Nachbarn Südkorea, mit dem sich Japan traditionell über die Behandlung der japanischen Eroberungsgeschichte im Streit befindet.
Wirtschaftspolitisch hatte er immerhin den Ansatz eines Programms. Er wollte einen «neuen Kapitalismus», in dem die Einkommen des Gros der Bevölkerung wachsen und nicht nur die der Reichen. Konkret wurde Kishida nie.
Sein politischer Stern sank erst nach der Ermordung des früheren japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe im Juli 2022. Der Attentäter machte Abe dafür verantwortlich, dass die auch in Japan aktive südkoreanische Moon-Sekte seine Mutter in den Ruin getrieben hatte.
In der Aufarbeitung des Falls kamen die engen Verbindungen der Sekte zu vielen LDP-Politikern ans Licht – und damit begann Kishidas Abstieg in der Meinungsgunst. Die für Japan hohe Inflation nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs verhinderte einen Wiederaufschwung, bevor die verschleierten Einnahmen der LDP aus Partys das Vertrauen der Bevölkerung in Kishida völlig zerrütteten.
Die LDP hat nun wenige Wochen Zeit, sich zu sortieren. Ende des Monats soll der Zeitplan für die Wahl des Parteivorsitzenden veröffentlicht werden, Ende September die Wahl erfolgen. Kishida gab sich im Abschied als loyaler Verlierer. Er hoffe, dass der neue Präsident ein «wahres Dreamteam» bilden werde: «Ich werde den neuen Führer wie ein Soldat unterstützen.»
Diese Personen sind als Nachfolger im Gespräch
Als Nachfolger gehandelt werden derzeit die folgenden Personen:
LDP-Generalsekretär Toshimitsu Motegi (68) werden Ambitionen auf das Amt zugesagt. Er war immerhin Wirtschafts- und Wirtschaftsminister, kennt sich daher in wichtigen Politikfeldern aus. Aber er hat in seiner Partei auch viele Feinde.
Der ehemalige Verteidigungsminister Shigeru Ishiba (67) ist ein Dauerkandidat auf das Amt und bekannt für seine Forderungen auf eine robustere Verteidigungspolitik. Doch es gibt einen Grund, warum er die LDP-Wahl nie gewann: In Umfragen ist er beliebt, hat aber nur eine kleine Machtbasis in der Partei.
Auch die Ministerin für wirtschaftliche Sicherheit, Sanae Takaichi (63), könnte sich wieder auf das höchste Parteiamt bewerben. Sie vertritt in der Partei sehr rechte Positionen und wurde in der Vergangenheit vom 2022 ermordeten früheren Regierungschef Shinzo Abe unterstützt. Aber sie hat kein grosses Netzwerk in der Partei.
Als Geheimfavoritin wird die amtierende Aussenministerin Yoko Kamikawa (71) gehandelt. Als sie ihr jetziges Amt antrat, war sie nahezu unbekannt. Aber mit kompetenten Auftritten und ihrer entschlossenen Art hat sie den Respekt von Parteiführung und Öffentlichkeit gewonnen.
Ein weiteres noch recht unbeschriebenes Blatt ist Takayuki Kobayashi (49). Er war Vize-Verteidigungsminister und der erste Minister für wirtschaftliche Sicherheit. Zudem hat er wie Kamikawa früher beim Finanzministerium gearbeitet und die Harvard Kennedy School in den USA besucht.







