Für Millionen von Menschen stand Kubas Revolution 1959 für den Traum von einer gerechteren Welt. Er platzte bald. Fidel Castro verwandelte sein Land in eine totalitäre Diktatur, die bis heute besteht.
Er steht oben auf dem Balkon des Rathauses, um ihn herum drängen sich Rebellen in ihren olivgrünen Uniformen und Männer in Hemden. Die Menschen unten auf dem Platz jubeln. Alle sehen glücklich und befreit aus. Nur er, Fidel, blickt ernst und ruft: «Die Revolution beginnt jetzt!»
An diesem Neujahrstag 1959 beginnt in Kuba eine neue Zeitrechnung. Das Land wachte am Morgen auf, und der Diktator Fulgencio Batista, der das Land fast sieben Jahre regiert hatte, war verschwunden. Über Nacht im Flugzeug nach Santo Domingo geflüchtet, mit seiner Frau, seiner Entourage und Koffern voller Geld. Seine letzten Worte waren: «Meine Herren, das war’s.» Auf Batista folgte Fidel Castro. Mit seiner Revolution. Wieder eine Diktatur.
Fidel ist seit neun Jahren tot, doch sein Bruder Raúl (94) lebt noch und wacht darüber, dass es in Kuba unter keinen Umständen zu Demokratie und Freiheit kommt. Die Diktatur der Castros dauert nun schon sechsundsechzig Jahre. Zehnmal so lang wie jene von Batista. Und länger als die Epoche davor, als Kuba fünfzig Jahre eine Demokratie gewesen war – eine junge und zerbrechliche, mit Mängeln und Fehlern, aber auch mit beachtlichen Erfolgen.
Kubas Demokratie begann Anfang 1900, nach vierhundert Jahren Kolonialismus, Sklaverei, Piraterie und Kriegen. Der letzte, entscheidende gegen die spanische Herrschaft war verlustreich – und ohne die Schützenhilfe der USA wohl kaum zu gewinnen gewesen. Darüber ist sich die Geschichtsschreibung jedoch bis heute uneinig.
Unumstritten hingegen ist: Die Hilfe der Amerikaner war nicht selbstlos. Sie hatten handfeste Interessen und besetzten Kuba zweimal kurz, um diese durchzusetzen. Ihre Bedingungen lauteten: Ihr baut euer Land wieder auf, und zwar so, dass auch wir davon profitieren; ihr probiert Demokratie, wir schauen euch dabei auf die Finger und intervenieren, wenn es uns nicht passt. Kuba unterzeichnete die Verträge zähneknirschend. Man wählte das kleinere Übel: Lieber ein Leben in halber Freiheit als wieder mit einem fremden Herrn im Haus.
Laster der Kolonialzeit
Es folgten fünfzig bewegte Jahre. Der Aufbau einer Nation. Amerika wachte wie ein grosser, strenger Bruder über die kleine Insel, kaufte Zucker, Rum und Zigarren zu Vorzugspreisen und lieferte Fortschritt: Eisenbahnen, Telefonie, Autos, Fernsehen, Kühlschränke. Moderne Ware aus den USA hatte Kuba stets zuerst, bevor sie in andere Länder exportiert wurde. Eine vielschichtige Zivilgesellschaft wuchs heran: Parteien, Gewerkschaften, Unternehmer, Intellektuelle, eine freie Presse. Das Volk wählte in diesen fünfzig Jahren ein Dutzend Präsidenten unterschiedlicher politischer Couleur, anständige und korrupte.
1940 setzte das Land einen Meilenstein. Es gab sich eine neue Verfassung, die zu den fortschrittlichsten der Welt gehörte, mit zivilen, politischen und wirtschaftlichen Rechten, wie sie erst wenige Länder kannten. Allein der demokratische Prozess der Entstehung der Carta Magna war ein Ereignis. Im Verfassungsrat sassen Vertreter aller Parteien, von den Liberalen bis zu den Kommunisten. Ihre Debatten wurden live im Radio übertragen.
Einer der Wegbereiter dieser Verfassung war Fulgencio Batista, genannt «el mulato», der Mulatte. Der Stenograf aus armen Verhältnissen hatte eine steile Militärkarriere gemacht und mischte schon lange in der Politik mit. Im Geburtsjahr der neuen Verfassung wurde er zum Präsidenten gewählt. Nach vier Jahren trat er als vorbildlicher Demokrat ab.
Die junge Republik litt unter Lastern aus der Kolonialzeit: Korruption, Gewalt, Gangstertum und Armut auf dem Land. Vom Fortschritt profitierten vor allem die Städte, die Mittelschicht, Grossgrundbesitzer, und die USA. Amerikanische und andere ausländische Firmen machten auf der Insel gute Geschäfte, ebenso die Mafia im florierenden Havanna. Kuba war aber nicht in fremdem Besitz. 1958 befanden sich zwei Drittel der Wirtschaft in den Händen von Einheimischen.
Anfang 1950er Jahre war es in Havanna wieder unruhig. Wahlen standen an, Gerüchte über einen Betrug und einen Militäraufstand machten die Runde. Ein Mann mit gutem Ruf meldete sich zurück: Batista. Er wollte eine neue Regierungskoalition bilden, scheiterte aber, worauf ihn das Militär von einem Putsch überzeugte. Batistas Staatsstreich 1952 war der Anfang vom Ende der Republik.
Der Anfang vom Ende
Ein junger Anwalt klagte Batista wegen Verfassungsbruchs an. Ohne Erfolg. Doch der 25-jährige Kläger liess nicht locker und fasste den Plan, den «Mulatten» mit Gewalt zu vertreiben. Der Name des Anwalts: Fidel Castro. Sohn eines Grossgrundbesitzers, aufgewachsen im Osten der Insel, Absolvent der Universität in Havanna. Ein gescheiter, wortgewandter Mann, der sich mit aufrührerischen Reden als Studentenführer einen Namen gemacht hatte.
Er sah seine Stunde gekommen. Im Sommer 1953 schlugen er und seine Leute ein erstes Mal zu. Sie stürmten zwei Militärkasernen. Die Attacken endeten in einem Blutbad und einem Fiasko für Fidel und seine Hasardeure. Viele wurden gleich bei der Festnahme hingerichtet, die anderen zu Haftstrafen verurteilt, Fidel zu fünfzehn Jahren, sein Bruder Raúl zu dreizehn.
Vor Gericht verteidigte sich Castro selbst mit einer Rede, die er im Gefängnis noch einmal schliff und danach Seite für Seite hinausschmuggeln und in Umlauf bringen liess. Sein Plädoyer war eine Kampfansage an Batistas Herrschaft. Sein Versprechen: alle Macht dem Volk, für alle Menschen ein Leben in Freiheit, Würde und Wohlstand. Er berief sich auf die Verfassung von 1940. Sein letzter Satz lautete: «Die Geschichte wird mich freisprechen.»
Fidel war da noch keine dreissig und schon landesweit bekannt. Viele bewunderten ihn. Die Elite jedoch befürchtete, die Aura dieses Mannes könnte hinter Gitter noch grösser werden als in Freiheit. Die Regierung gewährte eine Amnestie. Nach knapp zwei Jahren waren Fidel und seine Mitstreiter wieder auf freiem Fuss. Batistas Gnadenakt war sein politisches Todesurteil.
Fidel und seine Getreuen verzogen sich nach Mexiko und bereiteten dort ihren nächsten Schlag vor: Rückkehr und Rebellion. Einer, der sich den Kubanern anschloss, war ein asthmakranker Arzt aus Argentinien: Ernesto Guevara. Seine Freunde nannten ihn Che.
«Propaganda ist die Seele des Kampfes»
Ende 1956 stachen Fidel, Raúl und Che mit achtzig Männern in einem viel zu kleinen Schiff in See. Nach sieben Tagen auf dem Meer legten sie an einem Landzipfel im Osten Kubas an. Batistas Truppen empfingen sie mit Kanonen und Brandbomben und jagten sie tagelang. Die Welt glaubte, der bärtige Rebell sei längst tot. Doch er und zwanzig seiner Männer hatten überlebt. Sie verschanzten sich in den Bergen und begannen ihren Guerillakrieg.
Fidel wusste: Krieg und Sieg bedeuten nichts, wenn die Welt nicht davon erfährt. Schon im Gefängnis schrieb er: «Man darf nicht eine Minute die Propaganda vernachlässigen, denn sie ist die Seele des ganzen Kampfes.» Die geschickte Inszenierung, die richtigen Worte zur richtigen Zeit: Fidel Castro war ein Profi in Public Relations. Er hatte im Urwald seinen eigenen Radiosender, Radio Rebelde, schrieb Manifeste und rief das Volk zu Ungehorsam und Gewalt gegen Batistas Schergen auf. Fidels Kämpfer setzten Felder von Grossgrundbesitzern in Brand, stahlen deren Vieh und schenkten es den Bauern. Wer eine Flinte besass, durfte sich den Rebellen anschliessen.
Den Guerillakrieg gegen Batistas militärische Übermacht gewannen die wenigen, wie Landjäger bewaffneten Rebellen auch dank der hervorragenden PR-Arbeit ihres Anführers. Mit Finten, Tricks und Täuschungsmanövern liess er seine Gegner und die Welt im falschen Glauben, im Dickicht der Sierra Maestra verstecke sich eine riesige Rebellenarmee. Sie bestand aus nicht einmal fünfhundert Mann.
Nach zwei Jahren war ihr Triumph perfekt. Die siegreichen Rebellen fuhren auf Jeeps und Lastwagen sieben Tage lang quer über die Insel. Von überall strömten die Menschen herbei und jubelten den «Barbudos», den Bärtigen, zu. In Havanna wurden sie von Massen empfangen. Nicht nur die Armen aus den Elendsvierteln applaudierten, auch Leute aus der Mittelschicht. Batista hatte in den Jahren seiner despotischen Herrschaft sein einstiges Ansehen komplett ruiniert. Auch Washington hatte ihn fallengelassen.
Wer Fidel und seinen Rebellen von Beginn weg nicht traute, packte die Koffer und stieg in einen Flieger nach Miami. Tausende verliessen ihre Heimat in dem Glauben, der Spuk würde bald vorbei sein. Sie täuschten sich, verloren alles und durften nie mehr zurückkehren. Fidel bezeichnete sie als Abschaum der Bourgeoisie, Würmer, Lumpen und Vaterlandsverräter.
Krieg gegen die USA
Die kubanische Revolution war Fidel Castros Revolution. Er war der Führer, der Máximo Líder, der Comandante en Jefe. Kaum an der Macht, warf er alles über den Haufen. Nicht nur die herrschenden Verhältnisse, oft auch seine eigenen Worte. Die Verfassung von 1940, die er buchstabengetreu umsetzen wollte: Sieben Tage nach seiner Machtübernahme war sie nur noch totes Papier und durch eine neue ersetzt. Eine nach seinem Gusto. Das Land, das er den Bauern versprach: Es gehörte nach zwei Agrarreformen zu 70 Prozent dem Staat. Seinem Staat.
Vor seiner Revolution und auch in den Monaten danach wurde Fidel nicht müde, zu bekräftigen, er sei weder Sozialist noch Kommunist. Mit dieser Ideologie habe er nichts am Hut. Seine Regierung lehne jeglichen Umgang mit diktatorisch regierten Staaten wie der Sowjetunion ab. Die UdSSR habe das schlimmste Beispiel an Despotismus in der Welt errichtet und unterdrücke ein Dutzend europäischer Staaten. Sagte er.
Gleich nach der Revolution beteuerte Castro mehrmals, die USA seien nicht sein Feind, man wolle mit dem Nachbarn gut auskommen. Er reiste nach Washington und warb für seine Regierung. Die Türen für private Investitionen stünden offen. Es sei für Kuba völlig unmöglich, Fortschritte zu machen, wenn sich sein Land nicht mit den Vereinigten Staaten verstehe. Fidel wollte Präsident Eisenhower treffen, doch der spielte gerade lieber Golf.
Kaum war Castro zurück in Kuba, verstaatlichte seine Regierung im Eilzugstempo, zuallererst die Besitztümer der Amerikaner. Die liessen sich das nicht gefallen. Washington antwortete mit ersten Sanktionen. Fidel sagte seinem Volk, das bedeute Krieg. Den Krieg, den er wollte. Jahre zuvor schrieb er seiner Kampfgefährtin Celia Sánchez: «Wenn dieser Krieg vorbei ist, wird für mich ein noch viel längerer und grösserer Krieg beginnen, der Krieg, den ich gegen sie, die USA, führen werde. Mir ist klar, dass dies meine wahre Bestimmung sein wird.»
Die USA verhängten ein Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargo. Die Nachbarn wurden Erzfeinde. Die CIA und Fidels Landsleute im Exil, die ihn hassten, versuchten über Jahre, ihn umzubringen. Erfolglos.
Plötzlich doch Sozialismus
In Miami wuchs die Wut auf Castro schneller als in Washington. Im April 1961 wollten 1500 Exilkubaner mit einer Invasion ihre Heimat zurückerobern. Sie scheiterten kläglich. Ihr dilettantischer Versuch war für Fidel ein Geschenk. Er verzapfte der Welt, sein kleines Kuba habe einen grossen Sieg gegen das Imperium USA errungen. Obwohl es keine US-Soldaten und Marines waren, die in der Schweinebucht landeten. Es gab auch keinen Befehl aus Washington, jedoch stillschweigendes Mitwissen und Unterstützung von CIA-Agenten. Doch Fidels Erzählung war eine gute Geschichte. David gegen Goliath. Sie diente Fidel stets als Legende für sein Kuba.
Mitten in diesem Triumph verkündete Fidel während einer Rede quasi in einem Nebensatz, seine Revolution sei sozialistisch. Sein «befreites» Kuba begab sich in die totale wirtschaftliche Abhängigkeit von der Sowjetunion. Eine, die fast dreissig Jahre dauerte und weitaus grösser war als jene davor von den USA.
Nun also plötzlich doch Sozialismus. Kuba auf der Seite der Kommunisten. Die Karibikinsel mitten im Kalten Krieg. Viele sagen, das war es, was Fidel von Anfang an wollte und brauchte. Ständig im Kriegszustand sein. Er selbst: ein Grosser auf der Weltbühne, auf Augenhöhe mit den Mächtigsten. Immerhin dies schaffte er. Um ein Haar hätte er einen Dritten Weltkrieg ausgelöst. Im Oktober 1962. Wäre es nach ihm gegangen, hätten die Sowjets ihre auf Kuba stationierten Raketen gegen die USA abfeuern sollen. Doch die zwei Führer der geteilten Welt, Kennedy und Chruschtschow, kamen in letzter Minute zur Vernunft. Fidel war fuchsteufelswild.
Noch heute gibt es Stimmen, die sagen, die USA hätten mit ihrer Politik Kuba geradezu in die Arme der Sowjets getrieben. Eine grobe Verfälschung wie so vieles um Fidel und seine Revolution. Er war ein Meister darin, die Wahrheit zu verdrehen und die Geschichte neu zu schreiben. Er behauptete, vor der Revolution sei Kuba nichts als ein korrupter Sumpf gewesen, Havanna das Bordell der Amerikaner und der Mafia, Politik und Wirtschaft seien in den Händen der Yankees gewesen, die meisten seiner Landsleute seien mausarm und Analphabeten gewesen. Alles übertrieben oder falsch. Und gut dokumentiert widerlegt.
Nur noch eine Wahrheit
Einige Jahre lang ging alles recht gut. Kuba wurde gar zu einer kleinen Weltmacht in den Disziplinen Bildung, Gesundheitswesen und Sport. Alle Menschen in Kuba hatten ein Dach über dem Kopf, hoch subventionierte, wenn auch rationierte Lebensmittel waren garantiert, und was man sonst noch so brauchte zum Leben. Die kommunistischen Bruderländer lieferten nahezu alles, was man benötigte.
Nicht geschenkt, aber fast. Kuba bezahlte mit Zucker. Fidel musste sich nicht mehr gross um die Wirtschaft kümmern, er wollte es auch nie. Er, Che und ihre Kumpane hatten andere Vorlieben. Zum Beispiel die Weltrevolution. Kuba ging in die Offensive, vor allem in Lateinamerika und Afrika: mal diplomatisch geschmeidig, mal bewaffnet mit infiltrierten Agenten oder Truppen, mit Schulung in Guerillataktik und Schützenhilfe bei Befreiungskriegen und Umsturzplänen.
Das Volk hatte zumindest eine Zeitlang das Gefühl und den Glauben daran, dass der radikale Umbruch und all die neuen Ideen funktionieren könnten. Begeisterung, Engagement und Zuversicht waren riesig. Nicht nur auf der Insel. Kuba wurde zum Traum der Linken und zum Vorbild der Armen, der Entrechteten und der Geknechteten.
Jean Paul Sartre sagte Anfang der 1960er Jahre, (später wandte er sich wie viele andere von Fidel und der Revolution ab): «Es ist für einen Intellektuellen unmöglich, nicht auf der Seite Kubas zu stehen.» Wolf Biermann besang den Comandante Che Guevara als «Jesus Christus mit der Knarre». Mandela bezeichnete die kubanische Revolution als «eine Quelle der Inspiration für alle freiheitsliebenden Völker».
Fidel wurde sogar von Gegnern leise bewundert. Sein Charme und sein Charisma. Der Mythos vom Inselvolk, das sich von den USA nicht in die Knie zwingen lässt. Man respektierte Castro auch, weil er oft treffend sagte, was alles schiefläuft auf dieser Welt. Er nannte die Ungerechtigkeiten und die schmerzvollen Wahrheiten beim Namen.
Perestroika? Ohne mich!
In seinem Kuba aber durfte es nur noch eine Wahrheit geben. Seine. Dafür brauchte es radikale Massnahmen und ein System, dessen Namen gerade die Linke im Zusammenhang mit Kuba lange nicht auszusprechen wagte: totalitäre Diktatur.
Fidel Castro unterwarf alles seiner totalen Kontrolle: Staat, Politik, Militär, Gerichte, Wirtschaft, Kultur, Sport. Alles und alle. Auch die Menschen. Er zerstörte und verbot alles, was sein Land mühsam aufgebaut hatte: Demokratie, Rede- und Pressefreiheit, Parteienvielfalt, unabhängige Gewerkschaften und Verbände, freies Unternehmertum. Die letzten Freiheiten eliminierte er 1968. Er verstaatlichte die letzten 55 000 Kleinstbetriebe: Bars, Friseursalons, Frittenbuden. Nicht einmal mehr Schuhputzer durften von nun an selbständig arbeiten.
Zehn Jahre nach seiner Machtübernahme war alles gleichgeschaltet. Auf Fidels Linie. Sein höchstes Gesetz lautete: Für die Revolution alles, gegen sie nichts! Das gilt bis heute. Wer dagegen verstösst, aufmuckt, protestiert oder sonst wie aus der Reihe tanzt, wird verfolgt, schikaniert, ins Exil verbannt oder ins Gefängnis gesperrt. 1958 gab es in Kuba 14 Haftanstalten, heute über 200.
Fidel Castro hat nicht nur einen Überwachungsstaat nach stalinistischem Vorbild und mit einer Stasi, so effizient wie in der DDR, aufgebaut, sondern sein Land auch in einen Parasiten verwandelt. Zu Lebzeiten der Sowjetunion ging das noch einigermassen auf. Als mit Gorbatschow deren Ende nahte, sagte Fidel: «Perestroika ist die Frau eines anderen Mannes. Damit möchte ich nichts zu tun haben.»
Nach dem Tod des Ernährers stürzte Kuba in eine schwere Krise. Die Menschen dachten damals, schlimmer könne es nicht mehr werden. Nach acht düsteren Jahren entdeckte Fidel einen neuen Freund, an den er sein dahinsiechendes Land hängen konnte: Hugo Chávez und dessen erdölreiches Venezuela. Chávez träumte von einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Kuba konnte aufatmen und hatte wieder mehr oder weniger genügend Strom und Essen. Als dieser Chávez todkrank wurde und 2013 starb, hatte der ebenfalls todkranke Fidel bereits vorgesorgt. Auch der neue Despot in Venezuela, Nicolás Maduro, ist ein politischer Ziehsohn Fidels.
Tief im Elend
Die beiden Länder brauchen sich heute mehr denn je. Sie sind jedoch derart abgewrackt, dass immer weniger vorhanden ist, womit man sich noch aushelfen kann. Fast zehn Millionen Menschen sind in den letzten Jahren aus Venezuela und Kuba geflüchtet.
Kuba sinkt immer tiefer ins Elend. Schuld daran seien die USA und ihr Embargo, hört man immer wieder. Das ist falsch, Propaganda des offiziellen Kuba. Nicht einmal die Kubaner glauben noch daran. Zweifellos, das Embargo macht dem Land das Leben schwer. Doch miserabel und menschenunwürdig hat es Fidel Castros Revolution gemacht. Sein Kuba hat stets genug Verbündete gehabt, politisch und wirtschaftlich.
Die Liste der Länder und Unternehmen ist lang, die Kuba die Stange hielten oder immer noch halten und gewillt waren und sind, trotz US-Embargo mit und in Kuba Geschäfte zu machen, Kredite zu gewähren, Hotels zu betreiben, Hilfe zu leisten. Doch fast alle verlieren früher oder später ihre Geduld und ihre Nerven – und ihr Geld. Kuba verprellt zuverlässig auch seine besten Freunde, zahlt seine Schulden so gut wie nie, macht Versprechungen, die es nicht halten kann, und bietet nicht die geringste Rechtssicherheit.
Fidels erstarrtes System hat nichts mehr zu bieten. Dem Ausland nicht und dem eigenen Volk schon gar nicht. Auf dem Land müssen die Menschen die meiste Zeit ohne Strom leben und wieder auf dem Feuer kochen. Viele Menschen leiden Hunger, suchen in den Müllbergen nach etwas Essbarem, klopfen an Haustüren und betteln, auch Kinder. Unzählige sterben jedes Jahr an Notfällen und Krankheiten, die man mit Medikamenten und einer halbwegs intakten Gesundheitsversorgung leicht heilen könnte.
Wie so vieles ist auch die Wirtschaft praktisch kollabiert. Der einst grösste Zuckerexporteur der Welt produziert so gut wie nichts mehr. Kuba muss über achtzig Prozent der Lebensmittel importieren, auch aus den USA (von wegen Embargo). Vor der Revolution versorgte sich das Land nahezu selbst.
Staatsgewalt und Repression
Kuba blutet langsam aus. Die Jungen wollen keine Kinder mehr, sie wollen nur noch weg. Das Land wird zu einem Altersheim. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren von elf auf weniger als neun Millionen geschrumpft. Perspektiven gibt es keine. Protest nur wenig. Die ersten und letzten landesweiten Demonstrationen ereigneten sich vor vier Jahren. Das Regime griff hart durch, nahm Hunderte fest und steckte sie in die überfüllten Gefängnisse.
Viele wurden zu langen Haftstrafen verurteilt, bis zu zwanzig Jahren. Opposition ist in Kuba schier unmöglich. Das Regime lässt nichts zu. Die Menschen haben keine Ahnung mehr, wie Demokratie geht und was eine Zivilgesellschaft ist. Die letzten freien Wahlen fanden 1948 statt. Nicht einmal die Ältesten erinnern sich noch daran. Das Einzige, was in Kuba noch funktioniert, ist die Staatsgewalt und ihre Repression.
Wäre es Fidel Castro wirklich um sein Land und sein Volk gegangen, hätte er Dinge verändert. Aber auch Raúl und die letzten noch lebenden Dinosaurier der Revolution, alle über neunzig, wollen bis heute nichts grundlegend verändern. Die von Raúl handverlesenen Erbverwalter ebenso wenig. Die Menschen in Kuba wissen längst: Es ging ihm und geht ihnen nur um eines: Macht und Pfründe.
Nach sechsundsechzig Jahren Revolution fühlen sich Millionen Kubanerinnen und Kubaner belogen und betrogen. Und von der Welt alleingelassen. Sie sitzen auf ihrer Insel im Dunkeln und sehen nirgendwo mehr ein Licht.
Oscar Alba ist freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Havanna.
Die grossen Revolutionen
rib. Revolutionen prägen die Geschichte und verändern die Welt. Aber wie laufen sie ab? Was braucht es, damit sie ausbrechen? Was macht sie erfolgreich, was bringt sie zum Scheitern? Und welche Nebenwirkungen haben sie? In einer Reihe von Artikeln werden in den kommenden Wochen ausgewählte Revolutionen erzählt und die Frage gestellt, welche Folgen sie hatten. Der Beitrag zur Revolution in Kuba schliesst die Artikelreihe ab.