Die Proteste gegen den Wahlbetrug in Venezuela nehmen zu. Es droht eine Eskalation.
Nicolás Maduro hatte es eilig: Nur wenige Stunden nach der Bekanntgabe seines vorläufigen Wahlsiegs durch die Wahlbehörde präsentierte sich der seit elf Jahren regierende Präsident bereits als neuer Machthaber. «Meine Wahl ist unumkehrbar», sagte er in einem eilig anberaumten Staatsakt vor Hunderten von Funktionären. Laut Verfassung darf der gewählte Präsident sein Amt erst im Januar antreten.
Es scheint, als wolle sich Maduro vorsichtshalber selbst inthronisieren, bevor offensichtliche Wahlmanipulationen nachgewiesen werden können. Die vom Regime kontrollierte Wahlbehörde behauptete, das Wahlergebnis wegen eines angeblichen Hackerangriffs nur aus 80 Prozent der Wahllokale ermitteln zu können. Zudem hat die Behörde die ausgedruckten Wählerlisten der einzelnen Wahllokale bis heute nicht veröffentlicht
Unabhängige Wahlbeobachterkommissionen wie Edison Research hatten durch Befragungen in den Wahllokalen und statistische Erhebungen ermittelt, dass der Oppositionskandidat Edmundo González am Sonntag mit rund zwei Dritteln der Stimmen gewählt wurde. Laut María Corina Machado, der wichtigsten Oppositionsführerin, hat die Opposition bisher 73 Prozent der Wahlregister auswerten können. Auch diese Auswertungen zeigen einen klaren Wahlsieg des Oppositionskandidaten. Allerdings konnte die Opposition die entsprechenden Dokumente noch nicht vorlegen.
Der Frust ist gross, weitere Proteste sind zu erwarten
Am Tag nach der Wahl kam es im ganzen Land zu Demonstrationen und Protesten. Etwa 45 Demonstranten sollen laut verschiedenen Angaben festgenommen worden sein. Es soll drei Tote gegeben haben. Weitere Proteste sind zu erwarten.
Anders, als bei früheren Protesten gehen die Menschen nun auch in den Armenvierteln der Hauptstadt Caracas und in anderen Städten wie Valencia auf die Strasse. In diesen Vierteln übt die Regierung traditionell starke politische Kontrolle über Lebensmittelpakete und staatliche Zuwendungen aus.
Vielerorts sind die Menschen zutiefst enttäuscht über den Wahlausgang, berichten Bewohner in Telefongesprächen. Knapp acht Millionen Menschen sind wegen der schweren Krise des Landes auf der Flucht. Viele der Zurückgebliebenen hatten gehofft, dass mit einem Sieg der Opposition und einer Normalisierung der Lage eine Rückkehr ihrer Angehörigen möglich sein würde.
Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Wahrscheinlich wird die Flüchtlingswelle wieder anschwellen. An der Grenze zu Brasilien wanderten bereits vor der Wahl täglich zwischen 400 und 600 Flüchtlinge über die Grenze ins Nachbarland.
Derweil steigt der internationale Druck auf das venezolanische Regime. Bisher haben ausserhalb der Region nur die Verbündeten China, Russland, Katar und Iran den Wahlsieg Maduros anerkannt. In Lateinamerika stehen wie erwartet die linksgerichteten Regime in Bolivien, Honduras und Kuba hinter Maduro. Nach deutlicher Kritik an der Wahl brach Venezuela die diplomatischen Beziehungen zu sieben lateinamerikanischen Regierungen ab, darunter Argentinien, Chile und Peru.
Werden die USA und Brasilien gemeinsam Kritik äussern?
Die wichtigen Nachbarländer Brasilien und Kolumbien haben den Wahlsieg nicht anerkannt, kritisieren den Ablauf aber auch nicht. Beide Staaten fordern jedoch, dass die Wahlbehörde die Wählerverzeichnisse veröffentlicht. Ähnlich äusserte sich Aussenminister Antony Blinken in den USA.
Präsident Joe Biden wolle sich mit dem brasilianischen Amtsinhaber Luiz Inácio Lula da Silva abstimmen, hiess es in Washington. Im Wahljahr will die amerikanische Regierung die politischen Kosten neuer Sanktionen gegen Venezuela niedrig halten. Eine erneute wirtschaftliche Isolierung Venezuelas könnte zu steigenden Benzinpreisen und einer neuen Flüchtlingswelle an der Südgrenze der USA führen.
Auch Lula steht innenpolitisch unter Druck. Lulas linke Arbeiterpartei feiert bereits den «Wahlsieg» Maduros. Er hat Maduro immer wieder als Demokraten verteidigt und ihn erst in den letzten Tagen gefordert, eine saubere Wahl abzuhalten und das Ergebnis zu akzeptieren. Maduro reagierte empört auf die Rüge aus Brasilien.
Die Opposition in Caracas setzt nun grosse Hoffnungen darauf, dass Lula den Einfluss der südamerikanischen Regionalmacht nutzt, um Maduro zu Zugeständnissen zu bewegen. Die Erfolgsaussichten scheinen gering.







