Die unverschämte Figur der Zeichnerin Elizabeth Pich hat eine grosse internationale Fangemeinde. Erstaunlich spät sind ihre wild eskalierenden Geschichten jetzt auch auf Deutsch erschienen.
Fungirl lässt die Pizza im Ofen anbrennen, Rauch qualmt, die Feuerwehr kommt, sie sagt: «Sorry. Ich war am Masturbieren.» Ohne Ehrgeiz und Ziel verbringt Fungirl ihre Tage in ihrer WG. Bis sie einen Job als Sargträgerin annimmt.
Am ersten Arbeitstag trägt sie ein T-Shirt mit dem Aufdruck eines Lamas und der Überschrift «No Probllama». Als ihr Chef sie mahnt, in Zukunft Schwarz zu tragen, entblösst sie sich kurzerhand im Bestattungsinstitut. Etwas zerschlägt hinter ihr. «Das Patriarchat!», sagt Fungirl. Der Krach erweist sich als umgestossene Urne.
Fungirls Alltag ist voller Chaos, grotesker Katastrophen und flapsiger Fehltritte. Sie manövriert sich ständig in unangenehme Situationen, für die sich alle schämen, nur sie selbst nicht.
Der Charakter sei ihr lange Zeit hartnäckig im Kopf herumgespukt, sagt die deutsch-amerikanische Comiczeichnerin Elizabeth Pich aus Saarbrücken am Telefon. Die unverschämte Antiheldin fand sie selbst so lustig, dass sie deren Eskapaden aufschrieb.
Die vollkommene Feministin
Die Figur sei aber nicht ihr selbst nachempfunden, sagt die 35-jährige Pich. Fungirl habe zwar gewisse Ähnlichkeiten, sei aber gleichzeitig das Gegenteil von ihr. «Ich bin eher der Typ, der sich zu viele Gedanken macht und aufpasst, um nicht unangenehm aufzufallen. Ich würde mich niemals die Dinge trauen, die sie sich traut.»
Fungirls hemmungslose Art amüsiert besonders im Zusammenspiel mit Peter, dem sensiblen und verklemmten Freund ihrer Mitbewohnerin Becky. Peter hadert mit der Rolle des «modernen Mannes», in der er sich sieht. Er will Becky in ihrer Karriere als Krankenschwester unterstützen, kocht für sie, lackiert ihre Nägel. Er will aber auch kein Schwächling sein.
Als solcher lässt ihn Fungirl dastehen. Sie ist «sehr männlich», trinkt viel, spricht vulgär, ist furchtlos und kräftig, mag «Sex ohne Gefühle». Einmal schlägt sie eine Burschenschaft mit Menstruationsblut in die Flucht und hebt den geschlagenen Peter wie ein Kleinkind vom Boden auf.
Die Figur kennt keine Konventionen, sie lebt nach ihrem Herz und ihren Lüsten. Vielleicht sei sie gerade deshalb die vollkommene Feministin, sagt Pich. Diesen Feminismus zeigt Fungirl wiederum demonstrativ. Etwa dann, wenn sie sich auf die beschwerliche Reise zum bürokratischen Emoji-Ministerium begibt, um ein Vulva-Emoji zu beantragen.
Dass die Figur bei allem Witz auch problematisch ist, ist Teil ihres Charmes. Gelegentlich kippen die Slapstick-Situationen ins Makabre. Dann, wenn sie in einen Sarg steigt, um DVD zu schauen, oder die Toten aus Versehen schändet.
In der heutigen Zeit werde alles bewertet und überbewertet, sagt Pich. Als Comiczeichnerin spüre sie einen Drang, den Frauen im 21. Jahrhundert gerecht zu werden. Fungirl hingegen interessiere sich nicht für das feministische Dogma, sich immer korrekt verhalten zu müssen. Deshalb sei es so befreiend, die Figur zu zeichnen.
Coca-Cola zog Unterstützung zurück
Das Buch ist nichts für prüde Gemüter. In den USA zog Coca-Cola 2021 seine Unterstützung zum landesweiten Gratis-Comic-Tag zurück, weil Fungirl mit einem Umschnall-Dildo einen Pfannkuchen aufspiesst.
Als eine Bibliothek das Buch trotz rotem «Mature»-Logo in einer Verteiltüte gratis an Kinder aushändigte, erzürnte das die Eltern. Die Bibliothek war wegen des unscheinbaren Covers – Fungirl auf dem Skateboard – davon ausgegangen, dass es sich um einen harmlosen Comic für alle Altersstufen handle. In den Lokalnachrichten wurde er als «pornografisch» bezeichnet.
Die Nacktszenen werden allerdings durch den kunstvollen Zeichenstil kontrastiert: die leuchtenden Farben, klaren Linien, die reduzierten Figuren. Fungirl hat eine schlaksige Gestalt, trägt einen orangen Pullover und schwarze Hosen. Im Gesicht hat sie nur Augen, keine Nase, keinen Mund.
Pich hat in das Buch Hommagen an bekannte Comic-Klassiker eingebaut. Fungirl ähnelt mit dem schwarzen Haar und dem weissen Hemdkragen beispielsweise Olivia aus «Popeye». Ist sie auf Mission, trägt sie Tims beigen Mantel mit hochgeklapptem Kragen, ein Struppi-Hund folgt ihr. Auf einem Bild liegt sie wie Snoopy auf einer roten Hütte.
Zitiert werden die Comics, die Pich als Kind gelesen hat und die sie dazu inspirierten, eigene Welten zu erschaffen. Fungirl mische sich aber auch unter die Klassiker, die allesamt von Männern geschrieben wurden, um zu verstehen zu geben: «So, jetzt bin ich auch da.» Heute werden Pichs Comics teilweise vom selben Verlag repräsentiert wie «Garfield» oder «Calvin and Hobbes».
Deutsche Skepsis gegenüber dem Humor
Pich schrieb das Original auf Englisch. Der angelsächsische Humor war ihr lange vertrauter als der deutsche.
Kurz nach ihrer Geburt 1989 übersiedelte sie mit den Eltern aus Deutschland in die USA. Ihre Familie zog vielfach um, Pich musste häufig die Schule wechseln. Weil sie oft allein war, begann sie zu zeichnen. Nach vierzehn Jahren kehrte sie zurück und studierte später im Saarland Kommunikationsdesign und Informatik.
In den USA, Frankreich und Italien wurden bereits mehrere Bände von «Fungirl» veröffentlicht. Bei den deutschen Verlagen sei sie auf Zögern, Scheu und Unverständnis gestossen, sagt Pich.
Jedes Land, jede Sprachregion habe einen eigenen Sinn für Komik und Sprachwitz. Der amerikanische Humor sei stark geprägt von einer Underground-Comics-Szene der siebziger und achtziger Jahre. Dazu gehört etwa das Künstlerpaar Aline Kominsky-Crumb und Robert Crumb. Diese Comics kennen eine lange Tradition von absurdem Humor und Outsider-Figuren. «Fungirl» reiht sich gut darin ein.
Den deutschen Humor nehme sie im Vergleich gesellschaftskritischer wahr, sagt Pich. Im deutschen Raum erwarte man, dass der Humor eine politische Ebene habe, einen Zweck erfülle. Damit er als kulturell wertvoll gelte, müsse man ein bildendes Moment klar erkennen können. In «Fungirl» werden zwar relevante Themen behandelt, Gleichstellung, Freundschaft, Selbstakzeptanz, sie sind aber in überzeichnete Abenteuer verpackt.
In den letzten Jahren habe sich das Interesse auch im deutschen Sprachbereich erweitert, sagt Pich. Die Leserinnen und Leser hätten Lust auf alle möglichen Geschichten und neue Perspektiven. Im zweiten Anlauf zeigte sich der Zürcher Verlag Edition Moderne begeistert und nahm sich der Übersetzung an.
Es brauche Geschichten, die unterhielten und Hoffnung machten, sagt Pich, es brauche den «comic relief», der kurzfristig Spannung abbaue. Fungirl scheitere ständig und mache doch immer weiter – das sei, bei dem Druck und der Verzweiflung in der heutigen Welt, tröstend.
Trotz allem Witz hat Fungirl auch eine ernstere Seite. Die Unabhängige und Unangepasste sehnt sich nach Zugehörigkeit und einer Bestimmung. Oft handelt sie aus Nächstenliebe, nur ist ihr die Tragweite des Handelns nicht bewusst. Das macht sie menschlich und liebenswert.
Elizabeth Pich: Fungirl. Aus dem Englischen von Christoph Schuler. Edition Moderne 2024. 256 S., 29.80 Fr.