In der Schweiz herrscht die stabilste Wetterphase seit einem Jahr. Eigentlich müsste sie sonniges Spätsommerwetter bringen, stattdessen stecken wir im Nebel fest. Bei dieser Wetterlage stochern auch die Wetter-Apps im Nebel.
Wer seiner Wetter-App blind vertraut, wird sich derzeit ärgern. Sonne und Wärme ohne Ende sagt das Smartphone voraus, aber seit Tagen ist es trüb und kalt.
Wie ein bleierner Vorhang hängt der Hochnebel über dem Mittelland, manchmal löst sich die trübe Suppe von Genf bis zum Bodensee tagsüber überhaupt nicht auf. Und auch die nächste Woche verspricht wenig Lichtblicke, obwohl die Apps weiterhin stur Sonnensymbole zeigen. Warum stimmt der Wetterbericht derzeit hinten und vorne nicht? Und wie entkommt man dem Dauergrau?
Meteorologen überrascht die Fehlprognose nicht. Nebel verhält sich genauso geheimnisvoll, wie er aussieht. Wann er entsteht und wann er sich auflöst, lässt sich nur schwierig vorhersagen. Sie sprechen daher von Nebellotto. Nur mit hochaufgelösten Wettermodellen spüren die Fachleute die Nebelgrenzen einigermassen präzise auf.
Einig sind sich die Meteorologen, dass die vorinstallierten Smartphone-Apps der verschiedenen Hersteller bei solchen Wetterlagen in der Regel nichts taugen. Android und Apple greifen auf ein globales Wettermodell zurück, das zwar kostenlos ist, aber sehr grob aufgelöst: das Global Forecast System (GFS) der amerikanischen Wetterbehörde. Solche Modelle sind nicht dafür gemacht, lokale Phänomene wie Nebel und Hochnebel vorherzusagen. Globalmodelle sind dafür da, die Grosswetterlage zu erkennen. Und zumindest da lag das GFS Ende Oktober goldrichtig. Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr ist das Wetter wieder stabil und beständig. Ein kräftiges Hoch hat sich über Mitteleuropa festgesetzt, Regen, Schnee und Sturm machen einen weiten Bogen um die Schweiz.
Wie Sirup fliesst der Nebel in die Senken
Von einer «anhaltend hochdruckbestimmten Witterung» spricht auch Stephan Bader von Meteo Schweiz. Wie betoniert erstreckt sich das gewaltige Hoch von den Britischen Inseln bis zum Schwarzen Meer und ähnelt zeitweise dem griechischen Buchstaben Omega. Die Folge dieses sehr stabilen Musters: Die Westströmung bleibe grossräumig blockiert, sagt Bader – mit Regen und Sturm ist bis Martini nicht zu rechnen.
Allein, für Sonnenanbeter ist die stabilste Wetterphase seit September 2023 ein schwacher Trost. Im Frühherbst wäre eine solche Wetterlage mit sonnigem Spätsommerwetter einhergegangen, jetzt bildet sich in den Niederungen Nebel. Hauptursache ist die negative Strahlungsbilanz im Winterhalbjahr.
In den Nächten kühlt die Erdoberfläche immer stärker ab, als sie sich tagsüber erwärmen kann. Und kalte Luft kann eben weniger Wasserdampf halten als warme. Kühlt sich feuchte Luft nun ab, wird der in der Luft schwebende Wasserdampf sichtbar. Er kondensiert. Dann bilden sich winzige Tröpfchen, die zusammen Nebelschwaden ergeben. Je mehr Tröpfchen sich versammeln, desto dichter ist er. Liegt die Sicht unter 1000 Metern, spricht man von Nebel. Sonst von Dunst.
Dichte, graue Schwaden bilden sich immer in Flusstälern, den Kaltluftseen. Wenige hundert Meter mächtig ist diese Schicht. Im Gegensatz zum Strahlungsnebel, der wie ein dünner Schleier über der Landschaft hängt und sich tagsüber meist auflöst, ist der Nebel in Flusstälern sehr zäh und hält sich oft tagelang. Wie zäher Sirup fliesse die kalte und schwere Luft in die Senken und sammle sich dort, erklärt Bader.
Hier kommt die besondere Geländeform der Schweiz ins Spiel: Das Mittelland ist eine einzige grosse Badewanne, die sich bei solchen Wetterlagen mit kalten Schwaden füllt – während die Berge in T-Shirt-tauglicher Luft aus dem Nebelmeer herauslugen und die Sonne ganztägig vom azurblauen Himmel stahlt.
Wer der grauen Suppe entfliehen möchte, muss in die Berge, häufig reichen schon Hanglagen – meistens Lagen von mindestens tausend Metern Höhe. Auf hoch aufgelösten Satellitenfotos und Webcams lässt sich schnell erkennen, ob das Ziel des Tagesausflugs blauen Himmel verspricht.
Unten kalt und oben warm – in diesem Zustand ist die Atmosphäre so stabil geschichtet, dass Sonnenstrahlen allein die Suppe im Tal nicht lichten können. Die Temperaturumkehr mit der Höhe nennen Meteorologen Inversion, wie ein Deckel liegt die fluffige Warmluft über der feuchtkalten Nebelschicht im Kaltluftsee.
Wenn es kalt ist, verschlechtert sich die Luft
Die Schadstoffe aus Holzöfen, Industrie und Verkehr können dann nicht mehr entweichen und sammeln sich am Boden. Bei sehr tiefen Temperaturen und aufgedrehten Heizungen drohen dann gesundheitsgefährdende Stickstoff- und Feinstaubwerte. Die Luftqualität leidet, je länger die Inversion anhält. Derzeit sei sie aber noch unauffällig, teilt Christoph Hüglin von der Empa mit.
Allein schon wegen der schlechten Luftqualität gehört der November nicht zu den Lieblingsmonaten der Schweizer. Die trübe Suppe macht viele müde und manche krank. Jeder Zehnte spürt den Winterblues, zwei bis drei Prozent der Bevölkerung leiden unter einer veritablen Winterdepression.
In Europa ist sich die kleine Community der Nebelforscher sicher, dass die grauen Schwaden allmählich verschwinden. Das ist die gute Nachricht für Sonnenhungrige: Nebel wird seltener und ist weniger dicht als früher. Zudem steigt die Nebelgrenze an. Die Geoökologin Eva Pauli vom Karlsruher Institut für Technologie spricht von einem stark negativen Trend der Nebelbedeckung in Mitteleuropa.
Der Klimatologe Bader von Meteo Schweiz bestätigt diesen Trend, vor allem Flughafen-Wetterstationen wie Zürich-Kloten, Basel-Binningen oder Genf-Cointrin, an denen regelmässig die Sicht gemessen wird, zeigten eine Abnahme der Nebelhäufigkeit seit den siebziger Jahren, sagt Bader.
Über die genauen Gründe rätseln die Nebelforscher. Drei Faktoren stehen im Mittelpunkt: weniger Luftschadstoffe, die Nebel begünstigen, eine geringere Bodenfeuchte, die das natürliche Feuchteangebot verringert, und höhere Temperaturen infolge des Klimawandels. Wie genau die Faktoren zum Verschwinden des Nebels beitrügen, lasse sich noch nicht beziffern, sagt Pauli.
Derzeit ist er aber wieder sehr präsent. Das Einzige, was jetzt gegen das träge Nebelgrau hülfe, wäre Wind. Ein markanter Kälteeinbruch etwa, der Turbulenz in die Atmosphäre bringt und den Kaltluftsee ausräumt. Doch ein solcher Wetterwechsel ist nicht in Sicht, und auf lokale Föhnwinde, die wie der Möhlin-Jet im Raum Basel Lücken in die Wolkendecke frisst, sollte man sich lieber nicht verlassen.
Einstweilen hilft nur die Flucht nach oben. KI-Modelle, die das Bilden und Auflösen von Nebelschwaden besser vorhersehen, sind noch in der Entwicklungsphase, könnten aber langfristig die Nebelprognose deutlich verbessern. Auf lange Sicht werde der Klimawandel den Nebel immer öfter verschwinden lassen, sind sich Fachleute wie Eva Pauli sicher. Vielleicht werden wir ihn eines Tages sogar vermissen.
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