Der Nahrungsmittelkonzern verpasst die Erwartungen erneut deutlich. Zu den operativen Baustellen gesellen sich damit auch Fragen zur Kommunikation des Managements.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Nestlé kann sich nicht aufrappeln. Im Gegenteil, der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern erleidet im ersten Quartal gar einen Rückschlag: Das Mengenwachstum (Real Internal Growth, RIG) fällt mit –2% deutlich negativ aus. Für das Gesamtjahr 2023 hatte diese wichtigste Messgrösse noch –0,3% betragen. Insgesamt stieg der Umsatz nur, weil die Preise erneut angehoben wurden.
Mit der einstigen Leichtigkeit ist es damit definitiv vorbei. Aus der Lichtgestalt Mark Schneider, für den es als Nestlé-CEO zunächst nur aufwärts zu gehen schien, ist im vergangenen Jahr ein Krisenmanager geworden.
Auf das pandemiebedingte Hoch folgt der Fall
Zu Beginn seiner Amtszeit konnte Schneider scheinbar nichts falsch machen: Die Portfoliobereinigungen und Massnahmen, um das Geschäft dynamischer zu machen, kamen im richtigen Moment; Nestlé ging in einer Position der Stärke in die Lockdowns von 2020 und 2021. Quartal um Quartal schlossen die Westschweizer etwas besser ab.
Der Markt jubilierte: Bei knapp 130 Fr. erreichten die Aktien ihr bisheriges Höchst.
Auf das Hoch während der Pandemie folgten Lieferengpässe und die steigende Inflation. Vollends in schwierige Fahrwasser geriet der Supertanker dann in der folgenden Konsumflaute, gerade in den USA scheinen Kunden auf günstigere (Tiefkühl-)Produkte auszuweichen. Fast schon bezeichnend hat der bisherige Wachstumstreiber, die Tierfuttermarke Purina, dort im ersten Quartal Marktanteile verloren. Ebenfalls für rückläufige Volumen sorgten Boykotte im arabischen Raum.
Und gleich zwei Pfeiler von CEO Schneiders Wachstumsstrategie sind bisher noch nicht zu den erhofften Wachstumsträger geworden: Der Hype um fleischlose Alternativen ist verpufft und beim Gesundheitsgeschäft mit Vitaminen, Mineralien und Nahrungsergänzungsmitteln vertröstet das Management in der heutigen Kommunikation erneut auf die nahe Zukunft. Seit über einem Jahr fehlt es dem Konzern an frischen Impulsen.
Hinzu kommen vermehrt negative Schlagzeilen und hausgemachte Probleme. Das ohnehin nicht gerade florierende Wassergeschäft machte zuletzt mit schlechten Nachrichten auf sich aufmerksam, Quellen sollen verunreinigt, Mineralwasser verbotenerweise behandelt worden sein. Ausserdem kämpfte der Konzern gemäss eigenen Angaben mit IT-Problemen und Integrations- und Lieferschwierigkeiten im Bereich Health Science.
Kurz: Mir ist, als sei Nestlé angesichts der sich häufenden Krisen überall etwas «behind the curve», als würde sie hinterherlaufen. Die starke Dynamik der frühen Pandemiephase konnte offenkundig nicht beibehalten werden. Das Verdikt der Börse ist entsprechend harsch, vom Höchst Ende 2022 haben die Titel gegen 30% verloren. Bei einer Rendite von rund 2,5% machen auch die in der Zwischenzeit ausbezahlten Dividenden die Underperformance nicht wett.
Das ist aus Anlegersicht schon an sich keine erfreuliche Entwicklung. Wenngleich die Aktien in den Jahren 2021 und 2022 sicher zu schnell zu viel an Wert gewonnen hatten. Die Konsolidierung war keine grosse Überraschung – ich war nicht die einzige, die damals warnte.
Warnrufe verhallten – oder waren sie zu leise?
Viel mehr enttäuscht mich aber die schwache Guidance vonseiten des Managements. Zum vierten Mal hintereinander hat Nestlé beim organischen Wachstum die Erwartungen verfehlt. Dieses Mal um Längen: Lediglich ein Minus von 0,5% war beim Volumenwachstum erwartet worden – nicht –2%. Entsprechend enttäuscht reagierten die Investoren heute. Im frühen Handel verloren die Aktien gegen 4%, während dem Investorencall am Nachmittag besserte sich die Stimmung nur kurzzeitig etwas.
Zwar hatte Schneider in den vergangenen Wochen bei einigen Gelegenheiten darauf hingewiesen, dass das erste Quartal schwach ausfallen werde. Doch ganz offensichtlich gelang es nicht, die Erwartungen in Gesprächen mit Investoren und Analysten schon früher zu dämpfen. Die Warnrufe verhallten oder waren schlicht zu leise. Bei einem Weltkonzern mit einem Börsenwert von rund 250 Mrd. Fr. ist das aus meiner Sicht doch einigermassen erstaunlich.
Es ist eine Sache, immer etwas besser abzuschliessen als der Markt erwartet – was Nestlé über Jahre gemacht hat. Es ist etwas anderes, wiederholt zu enttäuschen. So hat Schneider einiges an Vertrauen verspielt. Das manifestierte sich bereits heute: Seine beruhigenden Worte zum zweiten Quartal, das markant besser angelaufen sein soll sowie die Bestätigung der Jahresziele – der Umsatz soll aus eigener Kraft ungeachtet der derzeitigen Schwäche um starke 4% zulegen – verfehlten ihre Wirkung klar.
Nestlé hat insbesondere mit Blick auf die neue Strategieperiode bis 2030 viel Arbeit vor sich. Operativ und in Sachen Imagepflege, aber auch kommunikativ.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Gabriella Hunter