Wenn Aktienrückkaufprogramme angekündigt werden, jubeln die Anleger. Prozyklisches Verhalten der Unternehmen kann aber dazu führen, dass Aktionärswert vernichtet wird und die Schulden steigen. Der Nahrungsmittelriese Nestlé verzichtet vorläufig auf weitere Rückkäufe.
Am 3. Januar 2022 lancierte Nestlé das bisher letzte Aktienrückkaufprogramm: Über die zweite Handelslinie kaufte der Nahrungsmittelkonzern gleichentags eigene Titel im Wert von 60,6 Mio. Fr. zurück, wobei der höchstbezahlte Preis 129.88 Fr. je Aktie betrug.
Das Pikante daran: Genau an diesem Tag erreichten die Blue Chips ihr Allzeithoch. Niemand hat jemals mehr für eine Nestlé-Aktie gezahlt als Nestlé. Danach ist der Kurs in einen lang anhaltenden Sinkflug übergegangen.
Nestlé liefert damit ein klassisches Beispiel für prozyklisches Verhalten. Dazu passt, dass die Führung am Kapitalmarkttag im letzten November bei Kursen um 77 Fr. verlautet hat, Aktienrückkäufen nun eine geringere Priorität einzuräumen und vorläufig kein neues Programm aufzulegen.
Auch ABB hat Höchstkurse gezahlt
Die Gefahr eines prozyklischen Verhaltens – eigene Titel zurückkaufen, wenn der Kurs hoch ist – ist auch bei anderen Unternehmen gegeben. Der Elektrotechnikkonzern ABB hat am 10. Februar ein neues Rückkaufprogramm von bis zu 1,5 Mrd. $ lanciert. In dem kurz davor abgeschlossenen erwarb er für rund 0,9 Mrd. $ eigene Papiere zum Durchschnittspreis von 48.21 Fr., wobei er einen Höchstpreis von 54.06 Fr. zahlte.
Analog zu Nestlé lässt sich auch hier sagen: Niemand hat bis heute mehr für eine ABB-Aktie gezahlt als ABB.
Nach einem Kursanstieg um 85% seit dem Oktobertief 2023 erreichten die Titel gegen Ende dieses Januars ihr Allzeithoch. Die Bewertung von ABB befindet sich immer noch auf sehr hohem Niveau. Das zeigt das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis, das auf dem Durchschnittsgewinn der letzten zehn Jahre basiert: Es liegt nahe dem Zehnjahreshoch bei 46 – der tiefste Wert über die vergangenen zehn Jahre datiert gemäss Bloomberg mit 14 vom Jahr 2016.
Swiss Re verzichtet – wegen des hohen Kurses?
Anfang Jahr wurde spekuliert, dass auch der Rückversicherer Swiss Re wieder ein Rückkaufprogramm lancieren könnte. Davon will er vorläufig jedoch nichts wissen, wie Ende Februar bei der Präsentation des Jahresabschlusses klar geworden ist.
Es wäre auch ein schlechter Zeitpunkt für Aktienrückkäufe: Die Swiss-Re-Titel haben seit Anfang 2024 mehr als 50% zugelegt und sind teuer geworden. Das Shiller-KGV liegt mit 28 auf einem Zehnjahreshoch.
Nestlé kann anderen Unternehmen wie Swiss Re als Warnung dienen: Über seine vorläufig letzten zwei Programme kaufte der Nahrungsmittelkonzern für insgesamt 33 Mrd. Fr. mehr als 310 Mio. eigene Aktien zum Durchschnittspreis von 106.48 Fr. zurück – das liegt 22% über dem derzeitigen Kurs.
Damit habe Nestlé keinen Aktionärswert geschaffen, im Gegenteil, meint Patrick Hasenböhler, Kreditanalyst der Zürcher Kantonalbank: «Wenn der Aktienkurs nach den Rückkäufen sinkt und nachhaltig unter den Kaufpreisen bleibt, resultiert eine Wertvernichtung für die verbleibenden Aktionäre.»
Nestlé finanziert Rückkäufe mit Schulden
Dazu kommt, dass sich die Bilanzlage von Nestlé deutlich verschlechtert hat. 2006 wies der Konzern Nettoschulden von lediglich 11 Mrd. Fr. aus. Im Folgejahr kündigte er ein überraschend grosses Rückkaufprogramm an. Die Konzernleitung war zur Ansicht gekommen, dass das Triple-A-Rating, die höchste Bonitätsnote, nicht benötigt werde und ein Rating im AA-Bereich ausreiche.
Es folgten weitere grosse Rückkaufprogramme. So sind bis Ende 2024 die Nettoschulden auf 56 Mrd. Fr. gestiegen und machen nun das 2,9-Fache des Ebitda aus. Das ist ein aussergewöhnlich hoher Wert für Nestlé, der von S&P Global Ratings inzwischen noch ein Rating von AA– gewährt wird.
Im Grunde hat Nestlé den Erwerb eigener Aktien mit der Aufnahme neuer Schulden finanziert. Und heute, wo Rückkäufe angesichts der tieferen Kurse mehr Sinn machen würden, fehlt der finanzielle Freiraum dafür, sofern die Bonität sich nicht weiter verschlechtern soll.
Avolta: eine Frage der Kapitalallokation
Ein heikler Fall bleibt Avolta. Als Folge einer zu aggressiven Wachstums- und Akquisitionsstrategie hatten sich beim Reisedetailhändler sehr hohe Schulden aufgetürmt.
Im November 2023 erläuterte das Management seine Prioritäten bei der Kapitalallokation: Es machte den Abbau der Nettoschulden auf das 1,5- bis 2-Fache des bereinigten Ebitda zu einem Schwerpunkt. Bis Ende September 2024 hat sich der Verschuldungsgrad auf 2,2-mal Ebitda reduziert.
Mitte Januar hat Avolta aber plötzlich ein Aktienrückkaufprogramm im Umfang von bis zu 200 Mio. Fr. angekündigt. Kreditanalysten wie Thomas Widmer von Independent Credit View (I-CV) warten nun den Jahresbericht am 12. März ab, um zu sehen, ob die Konzernleitung Hinweise auf eine Anpassung ihrer Kapitalallokationsstrategie gibt, die für die Bonitätseinstufung relevant sind.
Immer noch wird die Bonität des Reisedetailhändlers auf Ramschniveau verortet: S&P bewertet ihn derzeit mit einem Rating von BB+. Das Unternehmen steht, wie das Rückkaufprogramm nahelegt, in einem Spannungsfeld zwischen den Interessen der Aktionäre und der angestrebten Entschuldung.
Klar ist: Eine schlechte Bilanz und eine unausgewogene, aggressive Finanzpolitik können auch grossen Schaden für die Aktionäre anrichten. Das hat sich bei Avolta selbst gezeigt: Die Papiere notieren heute immer noch fast 50% unter dem Emissionspreis von 80 Fr. beim Börsengang 2005.
Theorie und Praxis
In der Theorie wirken sich Aktienrückkäufe positiv auf den Aktienkurs auf, weil dadurch die Anzahl der ausstehenden Valoren des Unternehmens reduziert und der Gewinn je Titel erhöht wird. Das gilt allerdings nur, wenn man die erworbenen Papiere im Nachgang vernichtet und das Aktienkapital somit herabsetzt.
Das trifft zum Beispiel nicht für die Rückkaufprogramme von Richemont zu: Die in diesem Rahmen erworbenen Titel werden vom Luxusgüterkonzern als eigene Aktien gehalten, um Verpflichtungen gemäss Optionsplan zugunsten von bestimmten Kadermitarbeitern nachzukommen.
Neben Dividendenzahlungen und Investitionen in internes oder externes Wachstum bilden Aktienrückkäufe eines der Mittel, überschüssiges Kapital einzusetzen. Sie haben aus Sicht der Unternehmensführung gegenüber dem Instrument der Dividende einen Vorteil punkto Flexibilität. Wird nämlich die Dividende erhöht, erwarten die Anleger, dass sie künftig mindestens gehalten wird. Eine Kürzung sendet ein schlechtes Signal an die Investoren.
Vorteil Aktienrückkauf
Rückkäufe bieten der Unternehmensführung diesbezüglich mehr Freiraum. Der Telecomspezialist Mobilezone hat sein Aktienrückkaufprogramm, das von August 2022 bis Mitte 2025 hätte laufen sollen, infolge von Übernahmen bereits in den zwei zurückliegenden Jahren ausgesetzt.
Es wird in diesem Jahr nicht mehr aufgenommen. Mobilezone hat insbesondere im deutschen Markt geschwächelt und darum im Dezember die Ergebnisprognose für 2024 deutlich reduziert. Die Dividende will die Unternehmensführung dennoch nicht kürzen: Es wird beantragt, wie im Vorjahr 0.90 Fr. je Aktie zu zahlen – obwohl dafür mehr als 100% des bereinigten und rund 230% des unbereinigten Gewinns ausgeschüttet werden müssen.
Adecco stoppte ihr letztes, im April 2021 lanciertes Rückkaufprogramm bereits im darauffolgenden Juli, ebenfalls infolge einer Übernahme. Dies bewahrte den hoch verschuldeten Personalvermittler letztlich aber nicht vor einer Anpassung der Dividendenpolitik, die bisher vorgesehen hatte, mindestens so viel wie in der Vorperiode auszuschütten: Ende dieses Februars hat er mitgeteilt, die Dividende von 2.50 auf 1 Fr. zu reduzieren.
Verständlich und doch problematisch
Was die Allokation von freien Mitteln betrifft, gibt es eine Möglichkeit, die aus Aktionärssicht der Ausschüttung via Dividende oder Rückkauf vorzuziehen ist: Für Analyst Hasenböhler von der Zürcher KB bilden «Investitionen in organisches Wachstum den besten und berechenbarsten Weg, um Mehrwert zu schaffen». Als Alternative dazu böten sich Investitionen in externes Wachstum an: «Erfahrungsgemäss schaffen viele Übernahmen allerdings keinen Mehrwert.»
Für Unternehmen, die zuverlässig hohen freien Cashflow generieren, sind Aktienrückkäufe manchmal schlicht das Mittel der Wahl. Ein Beispiel dafür bietet der Schokoladehersteller Lindt & Sprüngli. Für ihn ist es schwierig, sinnvolle Übernahmen durchzuführen. Die bisher grösste, die von Russell Stover, hat sich nicht wie erhofft ausgezahlt: Die US-Tochter muss noch das Portfolio straffen und büsste 2024 mehr als 5% Umsatz ein, während das Unternehmen fast 8% wuchs.
Da ist es angesichts der starken Bilanz verständlich, wenn Lindt & Sprüngli eigene Titel zurückkauft. Das aktuelle Programm im Umfang von bis zu 500 Mio. Fr. wurde im August 2024 gestartet und soll bis Juli 2026 laufen. Aber ist jetzt ein guter Zeitpunkt, eigene Titel zurückzukaufen? Nach dem Januartief haben die Partizipationsscheine von Lindt einen Kurssprung um mehr als ein Viertel gemacht und vergangene Woche ein Mehrjahreshoch erreicht. Teuer sind sie schon immer gewesen: Das Shiller-KGV für die PS beträgt derzeit 52 – allerdings lag es Ende 2021 mit 75 noch weit höher.
Eine Liste mit Warnsignalen
Kreditanalyst Hasenböhler nennt mehrere Faktoren, die aus Sicht der Unternehmensgläubiger zu Vorsicht mahnen: wenn Ausschüttungen mit der Aufnahme von Fremdkapital finanziert werden, wenn der Verschuldungsgrad hoch ist oder die Eigenkapitalquote tief. Im Grunde stecken dahinter stets Strategien, die kurzfristig einen höheren Aktienkurs versprechen – aber auf längere Sicht auch den Aktionären schaden.
Hinzufügen zu Hasenböhlers Liste mit Warnsignalen kann man noch den Bewertungsfaktor: Wenn sich zum Beispiel das Shiller-KGV auf oder nahe einem Mehrjahreshoch befindet, ist die Gefahr gegeben, dass Unternehmen mit Aktienrückkäufen nicht Wert für die Aktionäre schaffen, sondern möglicherweise vernichten. Risiken bestehen diesbezüglich bei ABB, Novartis sowie Swiss Life – und das Bewertungsthema dürfte ein Grund sein, warum Swiss Re entgegen manchen Erwartungen derzeit auf Aktienrückkäufe verzichtet.