Audemars Piguet stieg in den letzten Jahren zu einer der begehrtesten Marken für Luxusuhren auf. Die neue Chefin Ilaria Resta erklärt in ihrem ersten Interview, wie sie die Generation Z für Uhren begeistern will und warum das Familienunternehmen keine Krise kennt.
Es ist einer der meistbeachteten Chefwechsel der Uhrenbranche der letzten Jahre. Am 1. Januar 2024 hat Ilaria Resta bei Audemars Piguet (AP) die Führung übernommen. Ihr Vorgänger, François-Henry Bennahmias, hat in seinen elf Jahren als CEO das Familienunternehmen aus dem Vallée de Joux zu einer der weltweit begehrtesten Luxusuhrenmarken gemacht. Resta, die den Grossteil ihrer Karriere bei Procter & Gamble verbrachte und zuletzt in der Geschäftsleitung des Duftstoffherstellers Firmenich tätig war, hat nun die Aufgabe, diese Entwicklung zu konsolidieren und die Marke für die Zukunft aufzustellen.
Wir treffen die 50-Jährige Anfang Februar in ihrem Büro in Le Brassus. Resta ist voller Elan und in guter Stimmung. Dass sie noch keine Erfahrung in der Uhrenbranche hat, sieht sie nicht als Nachteil. Wichtig ist für sie in erster Linie, dass ihre eigenen Werte mit denen von Audemars Piguet übereinstimmen.
Frau Resta, wie sind Sie zu Audemars Piguet gekommen?
Ilaria Resta: Ich habe nicht aktiv nach einem neuen Job gesucht. Aber mit zunehmender Erfahrung und Reife wächst auch das Bedürfnis nach Sinn und Identität in der Arbeit. Diese Aufgabe hier, die weit mehr ist als nur ein Job, passte einfach perfekt zu mir.
Was macht diese Position für Sie so besonders?
Die Werte der Familie durchdringen alles in diesem Unternehmen: von der Führung über die Unternehmenskultur bis zur täglichen Arbeit. Schon beim ersten Treffen mit dem Verwaltungsrat spürte ich, dass es hier wie in einer grossen Familie ist. Ich fühlte mich sofort zu Hause.
Jasmine Audemars, die langjährige Präsidentin, ist nicht mehr im Verwaltungsrat. Haben Sie sie ebenfalls getroffen?
Nicht in der ersten Runde, aber ich habe sie vor meiner Wahl kennengelernt. Ihr Engagement für die Werte und die Identität des Unternehmens hat mich in meinem Wunsch, hier zu arbeiten, noch bestärkt. Nach dem Treffen hatte ich das Gefühl, die Firma schon zu kennen, bevor ich überhaupt eingetreten bin.
Wenn Sie von den Werten von AP sprechen: Was meinen Sie genau?
AP ist in erster Linie eine Familie, mit einem starken Fokus auf Menschen. Es ist auch eine zukunftsorientierte Marke, die kontinuierlich ihren eigenen Weg geht.
Sie sollen heimlich in eine AP-Boutique gegangen sein, um das Unternehmen besser kennenzulernen.
Das habe ich gemacht, als ich noch Kandidatin war und niemand mich kannte. Die Erfahrung war grossartig. Ich bin mit einer Freundin gegangen und habe gesagt, ich möchte eine «Jumbo» kaufen, weil ich wusste, dass dies eine der begehrtesten und deshalb nicht so leicht erhältlichen Uhren von AP ist. Gleichzeitig habe ich so getan, als ob ich fast nichts über die Marke wüsste. Sofort wurde mir ein netter Herr zugeteilt, der sich anderthalb Stunden Zeit genommen hat, um mich durch die Geschichte der Uhrmacherei zu führen. Das hat mich beeindruckt. Auf meinen Wunsch, die «Jumbo» zu kaufen, ist er gar nicht eingegangen, sondern hat mir stattdessen mehr über die Geschichte der Uhrmacherei in der Schweiz erzählt. Besonders geschätzt habe ich, wie respektvoll er über alle Akteure dieser Branche gesprochen hat. Ich habe bewusst auch Fragen zu anderen Marken gestellt, und er wusste genau, welchen Beitrag jede Marke zur Geschichte der Uhrmacherei geleistet hat.
Wie war Ihr Verhältnis zu Uhren und zur Uhrmacherei, bevor Sie zu Audemars Piguet gewechselt sind?
Zum einen lebe ich seit über zwanzig Jahren in der Westschweiz, wo die Uhrmacherei allgegenwärtig ist. Zum anderen habe ich schon immer Uhren getragen. Meine Eltern haben mir zwar nicht zum Universitätsabschluss eine Uhr geschenkt, wie es hier offenbar üblich ist, da ich in Neapel aufgewachsen bin. Aber zu den entscheidenden Momenten meiner Karriere habe ich mir jeweils selbst eine Uhr geschenkt, graviert mit Ort und Datum. Für mich sind Uhren Symbole. Ich glaube fest an Symbole und verwende sie auch oft in meiner Führungsarbeit. Dieses Büro ist für mich ebenfalls ein Symbol. Die Wände sind aus Beton und leer. Ich habe Beton gewählt, um ein starkes Fundament zu legen. Die Leere symbolisiert einen Neuanfang.
Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie hier angefangen haben?
Es war der emotionale Aspekt, der mich überrascht hat. Ich wusste, dass die Menschen in diesem Unternehmen der Schlüsselfaktor sind, aber ich war nicht auf so viel Leidenschaft und Liebe zum Detail vorbereitet. Bei meinem ersten Besuch in der Manufaktur traf ich zum Beispiel auf eine Uhrmacherin, die ein winziges Stück polierte. Als ich sie fragte, was sie tue, erklärte sie, dass sie mit der Endbearbeitung noch nicht zufrieden sei, da eine unerwünschte feine Linie vorhanden sei. Sie konnte die Linie nicht einmal sehen, aber sie spürte, dass sie da war. Das ist mehr als Professionalität, das ist Leidenschaft.
Wie wurden Sie ausserhalb von Audemars Piguet in der Branche aufgenommen?
Interessanterweise war der erste Schritt meines Onboarding-Programms nicht, unsere eigenen Leute zu treffen. Es ging darum, das Tal und seine Bewohner kennenzulernen. Um die Marke zu verstehen, muss man zu ihren Wurzeln gehen und verstehen, wo sie entstanden ist. Ich hatte grossartige Begegnungen mit Künstlern, Uhrmachern und den Gemeindepräsidenten des Tals. Es ist unsere Aufgabe, das Savoir-faire der Uhrmacherkunst im Tal zu bewahren. Ich habe auch schon einige Kollegen von anderen Uhrenfirmen hier getroffen, aber ich bin noch am Anfang.
Was sind Ihre ersten Prioritäten?
Unser Unternehmen hat einen klaren Kurs. Aber die Umgebung ändert sich ständig. Die Marktdynamik verändert sich, und es gibt einen Generationswechsel bei unseren Kunden. Die Generation Z unterscheidet sich stark von den Millennials, und innerhalb der Generation Z gibt es wiederum grosse Unterschiede im Verhalten. Wir müssen prüfen, was in diesem neuen Kontext passiert. Unser oberstes Ziel ist es, die Unabhängigkeit und den familiären Geist des Unternehmens langfristig zu sichern.
Wie sieht es mit Wachstum aus? AP produziert heute 51 000 Uhren.
Für das laufende Jahr halten wir die Produktion auf diesem Niveau. Was danach kommt, werden wir zu gegebener Zeit kommunizieren.
AP baut eine neue Manufaktur von 17 000 Quadratmetern in Le Brassus. Damit dürften höhere Stückzahlen möglich sein.
Dieser Neubau, den wir «L’Arc» nennen, wird uns vom Generalunternehmer noch im laufenden Jahr übergeben. Danach wird unsere bestehende Manufacture des Forges abgerissen und bis zum Sommer 2027 durch einen Neubau ersetzt. Die neue Manufaktur wird die meisten unserer industriellen Aktivitäten, die derzeit über das Vallée de Joux verstreut sind, unter einem Dach vereinen.
Ihr Vorgänger hat früh darauf hingewiesen, dass das Geschäft mit gebrauchten Uhren «das nächste grosse Ding» sei. Einige Uhrenmarken, darunter Rolex, sind mittlerweile ins sogenannte Certified-Pre-Owned-Geschäft eingestiegen. Wo steht AP?
Der Markt für gebrauchte Uhren ist spannend, und wir sind daran interessiert, einen Beitrag zu leisten, vor allem als Service für unsere Kunden und alle Uhrenliebhaber. Allerdings werden wir erst 2025 so weit sein.
In den letzten Jahren wurde die Distribution stark reduziert. AP hat jetzt weniger als hundert Verkaufsstellen. Wie geht es weiter?
In dieser Phase sind mir zwei Dinge besonders wichtig: die Qualität des Service und das Fachwissen in unseren Boutiquen und AP-Houses. Unsere AP-Houses sind keine Verkaufsstellen, sondern Orte der Begegnung für Kunden und Menschen, die sich für Uhrmacherei interessieren. Sie werden auch Neueröffnungen sehen, wie dieser Tage in Mailand.
AP nimmt seit einigen Jahren nicht mehr an Uhrenmessen teil. Können Sie sich vorstellen, künftig am Genfer Uhrensalon Watches & Wonders teilzunehmen?
Ich kann dazu im Moment keine klare Aussage machen. Das erfordert Reflexion und ist nicht das, worüber ich derzeit am meisten nachdenke.
Haben Sie auch bemerkt, dass sich das Marktumfeld in den letzten Monaten abgekühlt hat?
Was AP betrifft, kann ich sagen: Nein. Das Interesse an unseren Uhren ist nach wie vor gross. Statistisch gesehen sind wir jedoch nicht relevant für den Gesamtmarkt, da wir zu klein sind. Generell herrscht viel Unsicherheit auf dem Markt. Die Menschen sind vorsichtiger geworden mit ihren Käufen, sei es im Luxussegment, bei Uhren oder generell bei Investitionen. Gleichzeitig besteht ein grosses Bedürfnis nach emotionalen Erlebnissen. Das Produkt allein reicht nicht aus, das Einkaufserlebnis muss stimmen. Die Menschen möchten Erinnerungen schaffen.
Nach Covid gab es eine Zeit des «revenge shopping», in der die Menschen wie verrückt eingekauft haben. Ist das vorbei?
Das hat sich beruhigt, die Menschen handeln wieder überlegter. Sie kaufen nicht einfach, sondern suchen nach Dingen, die mit ihren Werten übereinstimmen und ihnen schöne Erlebnisse bieten. Sie möchten als Individuen wahrgenommen werden. Bei AP höre ich zum Beispiel von Menschen, die von unserem Museum begeistert sind und sagen, dass der Kauf einer Uhr nach dem Besuch des Museums Teil eines grossartigen Erlebnisses gewesen sei. Ich bin froh, dass bei uns nicht nur Transaktionen im Vordergrund stehen. Unser Ziel ist es, Beziehungen zu unseren Kunden aufzubauen. Dadurch entsteht eine starke emotionale Bindung zu unseren Uhren.
Sie sprechen von einer erhöhten Nachfrage nach Erlebnissen. Bietet AP auch vermehrt personalisierte Uhren an?
Nein, das machen wir nur selten. Bei der Personalisierung geht es eher darum, das Modell zu finden, das am besten zu jemandem passt, sowohl in Bezug auf die Grösse als auch auf die Komplikationen. Dabei ist es wertvoll, wenn Kunden ihre Geschichten mit uns teilen. Ein Kunde erinnerte sich zum Beispiel daran, dass die erste Uhr, die er an seinem Vater sah, ein ewiger Kalender war. Als er sich dann in seinem ersten Job eine Uhr kaufte, wählte er ebenfalls einen ewigen Kalender und liess den Namen seines Vaters eingravieren. Das ist die Art von Personalisierung, die für uns wertvoll ist.
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Ilaria Resta
Als Kind träumte Ilaria Resta davon, Professorin für Latein und Altgriechisch zu werden. Doch an der Universität in Neapel entdeckte sie ihr Interesse für Wirtschaftsfächer und entschied sich schliesslich für ein Studium in Finanzmathematik und Volkswirtschaftslehre. Den Grossteil ihrer beruflichen Laufbahn verbrachte Resta bei Procter & Gamble, wo sie sich im Bereich Marketing spezialisierte. Die letzten dreieinhalb Jahre war sie Mitglied der Geschäftsleitung bei Firmenich, einem Genfer Unternehmen, das Duftstoffe und Aromen herstellt. Resta ist sowohl italienische als auch schweizerische Staatsbürgerin und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern am Genfersee.
Audemars Piguet – Weltmarke aus dem Vallée de Joux
Die 1875 von Jules Louis Audemars und Edward Auguste Piguet gegründete Uhrenmarke gehört zu den führenden Schweizer Herstellern von mechanischen Uhren. Das Unternehmen, das immer noch grossenteils im Besitz der Gründerfamilien ist, produziert heute im abgelegenen Vallée de Joux jährlich rund 50 000 Uhren. Der Umsatz liegt bei 2,4 Milliarden Franken – ein Wert, der nur noch von Rolex, Cartier und Omega übertroffen wird.
Bekannt ist AP vor allem für das vom bekannten Designer Gérald Genta kreierte achteckige Modell Royal Oak. Die Royal Oak gibt es in verschiedensten Ausführungen. Begehrt ist allerdings bis heute vor allem auch die Variante «Jumbo» in Edelstahl, die dem Original von 1972 sehr nahe kommt. Weil die Uhr nicht so einfach erhältlich ist, werden «Jumbos» auf dem Sekundärmarkt teilweise zu Preisen gehandelt, die deutlich über dem Listenpreis von rund 30 000 Franken liegen.
2019 wurde die Kollektion Code 11.59 lanciert. Diese klassisch-eleganten Uhren sollten einen Kontrast zu den eher sportlichen Royal Oaks bieten und die Abhängigkeit von dieser Modellreihe reduzieren. Noch ist die Code 11.59 längst nicht so bekannt wie die Royal Oak, aber sie beginnt sich zu etablieren. Seit Ende 2023 existieren auch kleinere Modelle mit 38 Millimetern Durchmesser (statt 41 oder 42 Millimeter), die sich gut für weibliche Handgelenke eignen.
Die erste Neuheit, die AP seit Ilaria Restas Antritt lanciert hat, hat ebenfalls einen weiblichen Touch. Es handelt sich um eine Royal Oak aus der Concept-Reihe, die zusammen mit der Haute-Couture-Designerin Tamara Ralph entworfen wurde. Die Uhr, die über ein sogenanntes fliegendes Tourbillon verfügt, fällt vor allem durch den 3-D-Effekt ihres Designs auf. Geschickt platzierte Kreise geben der Uhr eine scheinbare Tiefe, die weit über die Gehäusedicke von 11,9 Millimetern hinausgeht.