Gegen einen ehemaligen Mitarbeiter des bundeseigenen Rüstungskonzerns Ruag wird in Deutschland wegen Korruption ermittelt. Bisher ist die Ruag von einem Einzelfall ausgegangen, nun spricht der abtretende Verwaltungsratspräsident von «systematischem Vorgehen».
Es ist alles noch schlimmer als gedacht: So lautet das Zwischenfazit der Anwaltskanzlei, die das Geschäft mit den 96 in Norditalien eingelagerten Leopard-1-Kampfpanzern untersucht. Die Panzer gehören dem bundeseigenen Rüstungskonzern Ruag. Die Ruag selbst hat die Untersuchung bei der Anwaltskanzlei vor eineinhalb Jahren in Auftrag gegeben. Auslöser waren Ermittlungen in Deutschland wegen Korruption gegen einen früheren Mitarbeiter.
Auch die Eidgenössische Finanzkontrolle stellte in einem Prüfbericht gravierende Mängel und Unstimmigkeiten beim Panzergeschäft fest. Nicolas Perrin, der Verwaltungsratspräsident der Ruag, erklärte daraufhin seinen Rücktritt auf Ende des Jahres. Nun, wenige Tage vor seinem Abgang, äussert er sich erstmals zu den Ergebnissen der Untersuchung, die im Sommer abgeschlossen und veröffentlicht werden soll.
Die Geschichte um die Leopard 1 beginnt im Jahr 2016. Die Ruag-Holding, damals noch ein grosser, weitverzweigter Konzern, kaufte die ausrangierten Panzer dem italienischen Verteidigungsministerium ab: zu einem Stückpreis von 45 000 Franken. Der Bundesbetrieb wollte einerseits mit den Ersatzteilen handeln und anderseits die Panzer als Ersatzteilspender für die Fahrzeuge der Schweizer Armee nutzen. Was die Ruag-Chefs damals nicht wussten: Ein Mitarbeiter hatte verdeckt ein Ersatzteilhandelssystem aufgebaut und daraus massiv Profit geschlagen.
Beträge in «relevanter Höhe»
Nach heutigem Kenntnisstand hat dieses System wie folgt funktioniert: Der Mitarbeiter kaufte weltweit Ersatzteile ein und verkaufte sie zu einem deutlich höheren Preis weiter. Den Profit hat die Ruag aber nie gesehen. Gemerkt hat das niemand, weil die verschiedenen Unternehmenseinheiten unabhängig voneinander operierten mit je eigenen IT-Systemen für Buchhaltung und Lagerbewirtschaftung.
Der Mitarbeiter nutzte offenbar auch aus, dass die Ruag-Holding damals umstrukturiert wurde. Nach einem Hackerangriff, der 2016 auf Hinweis eines befreundeten Nachrichtendiensts entdeckt worden war, entschied sich der Bundesrat, den Konzern aufzuteilen. Ab 2020 gab es zwei Unternehmen: die Ruag International, welche Stück für Stück verkauft werden sollte, und die Ruag MRO, die für die Schweizer Armee zuständig ist. Die Ruag MRO übernahm jene Organisationseinheit, in welcher der betreffende Mitarbeiter arbeitete. Da vieles bei der Aufteilung noch unklar gewesen sei, habe der Mitarbeiter sein verdecktes Handelssystem nicht nur unbemerkt weiterbetreiben, sondern es sogar noch massiv ausbauen können, sagt Perrin im Gespräch mit der NZZ: «Soweit wir das heute beurteilen können, hat das System von der Chaos-Phase nach der Entflechtung profitiert.»
Damals gab es keine Führungsetage für die beiden Einheiten, diese musste erst aufgebaut werden. Nicolas Perrin kam in dieser Zeit von SBB Cargo zur Ruag MRO. Er wechselte, wie er sich erinnert, von einem gut eingespielten Unternehmen zu einem, dessen Struktur erst geschaffen werden musste: «Es war Horror. Führungsprozesse, die für mich selbstverständlich waren, mussten wir hier erst zwei Jahre lang aufbauen.»
Obwohl die Resultate der Untersuchung erst in einigen Monaten vorliegen werden, spricht Perrin bereits von einem «grösseren Ausmass» und Beträgen in einer «relevanten Höhe». Vor dem Abschluss der Untersuchungen könne er jedoch keine konkreten Zahlen nennen. Heute stehe aber schon fest, dass das Vorgehen des Mitarbeiters «systematisch» gewesen sei und über Jahre funktioniert habe. Dies aufgrund einer «unzulänglichen Fehlerkultur» sowie eines «Silodenkens» in den verschiedenen Abteilungen, sagt Perrin. Die Ruag wird bei den Untersuchungen von einer Anwaltskanzlei unterstützt, die ihr auch Empfehlungen für die Zukunft geben wird. Auch prüft die Ruag zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.
Nicolas Perrin hat die Untersuchung im Sommer 2023 initiiert und vorangetrieben. Es sei sein «Verständnis von Verantwortung übernehmen», dass er die ersten Ergebnisse bereits jetzt kommuniziere.
Das Geschäft mit den 96 Leopard 1 wirft insgesamt ein schiefes Licht auf die Ruag: Kurz vor der Entflechtung verkaufte der bundeseigene Rüstungskonzern 25 Stück an die deutsche Firma Global Logistics Support GmbH (GLS) für einen Spottpreis von 500 Franken pro Panzer. GLS holte die zwei Dutzend Stück jedoch nie ab. 2021 überwies die Ruag den Kaufpreis zurück.
Nachdem Russland die Ukraine im Februar 2022 angegriffen hatte, wurden diese Panzer zu einem extrem begehrten Gut: Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall wollte alle 96 Stück kaufen, um sie instand zu stellen und via ein Drittland an die Ukraine zu liefern. Am gleichen Tag, an dem Rheinmetall und die Ruag den Vertrag unterschrieben, überwies die GLS den Kaufpreis für die 25 Stück erneut. Bis heute streiten sich die Ruag und die GLS darüber, wem diese Panzer gehören. Der Bundesrat wies ausserdem den Kaufvertrag zwischen Rheinmetall und der Ruag im Juni 2023 aus neutralitätsrechtlichen Gründen ab.
VBS will mehr Kontrolle über die Ruag
Auch im Bericht der Finanzkontrolle des Bundes kam die Ruag schlecht weg. In der Buchführung habe es diverse Mängel gegeben. So wurde unter anderem die Kompetenz- und Unterschriftenregelung nicht eingehalten. Zudem wurde das Verteidigungsdepartement (VBS) als Eigner der Ruag MRO zu spät über den möglichen Verkauf der Panzer an Rheinmetall informiert, nämlich erst im Januar 2023. Das VBS seinerseits liess das Exportgesuch der Ruag laufen, bis der Bundesrat es ablehnte. Erst im Herbst traktandierte das VBS das politisch relevante Geschäft an einem Eignergespräch. Das «überrascht», schrieb die Finanzkontrolle.
Das VBS zeigte sich «irritiert», dass die Ruag «nicht die notwendige Sorgfalt an den Tag gelegt hat und so Mehrkosten entstanden sind». Bundesrätin Viola Amherd liess schliesslich auch die Rechtsform überprüfen. Der Gutachter präsentierte Ende November sein Fazit: Für die Ruag sei eine privatrechtliche Aktiengesellschaft ein «untaugliches Rechtskleid», da der Bund als alleiniger Eigentümer ein umfassendes Informationsbedürfnis hat. Der Bund will künftig mehr Kontrolle über seinen Rüstungskonzern, deshalb werden Optionen des öffentlichen Rechts geprüft. Möglich wäre beispielsweise eine spezialgesetzliche AG des öffentlichen Rechts wie die Swisscom.
Wie es mit der Ruag weitergeht, wird Nicolas Perrin aus der Ferne weiter beobachten. Nach fünf intensiven Jahren als Verwaltungsratspräsident sagt er: «Die Ruag ist heute deutlich robuster als vor und nach der Entflechtung.» Dennoch stehe ab April eine erneute Reorganisation auf Stufe der Führungsebene an. Einen zukünftigen Fall von verdecktem Ersatzteilhandel könne er zwar nicht komplett ausschliessen: «Doch es wäre heute deutlich schwieriger als damals.»