Mitte der 1980er Jahre vollzog die Schweiz mit der Sperrung der Marcos-Gelder eine aufsehenerregende Wende im Umgang mit Vermögen ehemaliger Diktatoren. Nun ist die Pionierrolle bei der Sperrung, Einziehung und Rückführung illegaler Vermögen aus dem Ausland aber in Gefahr.
Anfang 2011 ist der Schweizer Finanzplatz in einer Umbruchphase. Die staatliche Rettung der UBS und das Bankgeheimnis für ausländische Steuersünder sind Geschichte. Eine Weissgeldstrategie ist angesagt. Derweil brechen in Nordafrika die Unruhen aus, die als Arabischer Frühling in die Geschichte eingehen werden. In dieser Situation verhängt der Bundesrat ab dem 19. Januar innert 37 Tagen gleich viermal per Notrecht Vermögenssperren gegen gestürzte oder in Ungnade gefallene Diktatoren in Afrika (Ben Ali, Laurent Gbagbo, Hosni Mubarak, Muammar al-Ghadhafi).
Die Regierung knüpft damit an die Praxis an, die erstmals am 24. März 1986 angewandt wurde und verhinderte, dass ein Vertrauter des ins Ausland geflüchteten philippinischen Ex-Präsidenten Ferdinand Marcos einen dreistelligen Millionenbetrag von der Schweizerischen Kreditanstalt abzog. Internationales Aufsehen und teilweise auch Applaus sind der Schweiz für die Blockierung der Diktatorengelder aus Afrika sicher. So etwa, als Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am 11. Februar in Madrid bekanntgibt, der Bundesrat habe schon 30 Minuten nach Mubaraks Rücktritt die Sperrung der hierzulande vermuteten Vermögen des ägyptischen Herrschers und seiner Entourage verfügt.
Die forsche Gangart führt dazu, dass zeitweise über eine Milliarde Franken auf Konten in der Schweiz blockiert sind. Nicht nur zur Freude der Banken, die sich um ihre lukrative arabische Kundschaft sorgen. «Die Schweiz will ein sehr sauberer Finanzplatz sein», sagt der Genfer Privatbankier Guy de Picciotto und fügt hinzu: «Die Frage ist einfach, wie viele Kunden der Finanzplatz noch haben wird, wenn man nicht mit Bedacht vorgeht.» Unbehagen löst die Serie von Notrechtsbeschlüssen aber auch bei den Behörden aus. Dennoch kommt der Beschluss des Bundesrats vom 25. Mai 2011 überraschend, eine Motion der Bankenkritikerin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP/BL) zur Schaffung eines Bundesgesetzes über die Blockierung von Geldern gestürzter Potentaten zur Annahme zu empfehlen. Dass der Finanzplatz an klaren Kriterien für die Sperre solcher Gelder interessiert ist, erleichtert der Regierung den Entscheid.
«Lex Ben Ali» trotz Vorschusslorbeeren wirkungslos
Vom Parlament einstimmig unterstützt, beginnen damit die Arbeiten an der «Lex Ben Ali» – so der verwaltungsinterne Name. Nach einem gescheiterten bürgerlichen Rückzugsgefecht – im Nationalrat wird versucht, eine Verjährungsfrist für Straftaten von Potentaten ins Gesetz zu schmuggeln – heisst das Parlament Ende 2015 das «Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte ausländischer politisch exponierter Personen (SRVG)» gut. Das vom Bundesrat zu den weltweit fortschrittlichsten Erlassen im Bereich des Asset Recovery gezählte Gesetz ermöglicht der Schweiz unter gewissen Bedingungen eine selbständige Einziehung von Potentatengeldern. Diese Bedingungen sind aus der «Lex Duvalier» übernommen, einem 2011 im Eiltempo geschusterten Erlass, der verhinderte, dass die Schweiz die 1986 blockierten Gelder des haitianischen Diktators Jean-Claude (Baby Doc) Duvalier freigeben musste.
Was im Fall Duvalier funktionierte, greift bei den vorsorglich gesperrten Geldern des Arabischen Frühlings nicht. Die Voraussetzung, dass Rechtshilfe wegen Versagens staatlicher Strukturen im Herkunftsland nicht möglich wurde, ist weder im Falle Tunesiens noch in jenem Ägyptens erfüllt. Ein alternativer Versuch der Bundesanwaltschaft, 40 Millionen Franken des Schwagers von Ben Ali gestützt auf die Strafnorm der kriminellen Organisation zurückzuerstatten, scheitert ebenfalls.
Einen weiteren Anlauf, hierzulande eingefrorene Gelder gestützt auf das neue Gesetz dem Herkunftsland zuzuführen, unternimmt der Bundesrat im Fall der Ukraine. Es geht um Vermögenswerte, die die Schweiz nach dem Sturz von Präsident Wiktor Janukowitsch vorsorglich gesperrt hat. Darunter sind mehr als 100 Millionen Franken und eine Eigentumswohnung des ehemaligen Parlamentariers und Janukowitsch-Vertrauten Jurij Iwanjuschtschenko. Im Mai 2022 beauftragt der Bundesrat das Eidgenössische Finanzdepartement, in diesem Fall gestützt auf das SRVG eine Einziehungsklage beim Bundesverwaltungsgericht einzureichen.
Warten auf Entscheid über Millionen des Janukowitsch-Regimes
Zwei Jahre später ist die Klage wegen Beschwerden des Betroffenen noch immer nicht deponiert. Kritisch ist vor allem eine Bedingung in Artikel 4. Demnach wird eine Einziehung erst dann möglich, wenn der Herkunftsstaat (im vorliegenden Fall die Ukraine) die Anforderungen an ein Rechtshilfeverfahren «wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs oder der mangelnden Verfügbarkeit seines Justizsystems» nicht erfüllen kann. Gegen ein solches Versagen staatlicher Strukturen spricht, dass zwischen der Schweiz und der Ukraine auch seit dem russischen Angriffskrieg ein reger Rechtshilfeverkehr herrscht. Zum Beispiel hat die Schweiz kürzlich im Fall des ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomoiski die Übermittlung weiterer Bankunterlagen nach Kiew bewilligt.
Umgekehrt wird argumentiert, dass die ukrainische Justiz seit Kriegsbeginn massiv überlastet und personell unterbesetzt sei. Die Nationale Antikorruptionsbehörde habe die Hälfe ihres Personals an Institutionen zur Verteidigung abtreten müssen. Allein 2022 seien bei der Justiz über 4500 Verfahren wegen Hochverrats und etwa 40 000 Fälle von Kriegsverbrechen hinzugekommen. Zudem sei in den besetzten Gebieten der Ostukraine, woher Iwanjuschtschenko stammt, Beweismaterial verschwunden oder nicht mehr zugänglich.
Das vor neun Jahren erlassene Gesetz hat seine Bewährungsprobe noch nicht bestanden. Mit Spannung wird deshalb ein Bericht des Bundesrats zu einem im Juni 2019 überwiesenen Postulat des Ständerats erwartet. Der Prüfauftrag betraf nicht die Bestimmungen über die Einziehung, sondern die Betreuung der Rückerstattung. Also jenen Teil des Asset Recovery, der als besonders anspruchsvoll gilt. Denn es muss dafür gesorgt werden, dass die restituierten Gelder der Bevölkerung zugutekommen und nicht erneut in korrupten Kanälen versickern.
Bundesrat muss über die Bücher
Der Bericht soll nach wiederholter Verschiebung bis Mitte dieses Jahres veröffentlicht und um weitere Aspekte ergänzt werden. Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) hat in einem Prüfbericht Anfang 2021 auf verschiedene Mängel im Asset Recovery aufmerksam gemacht. Oft habe die Schweiz vorschnell zu viele Ergebnisse versprochen. Vermisst wurden eine Koordination der verschiedenen Behörden und eine transparente Kommunikation. Zu einer weiteren Verzögerung kam es, weil auch die Erfahrungen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine berücksichtigt werden sollen.
Auf internationaler Ebene gewinnen inzwischen neue Methoden an Unterstützung. So empfiehlt die internationale Geldwäscherei-Arbeitsgruppe FATF, zu deren Gründungsmitgliedern die Schweiz gehört, dass die Länder Systeme aufbauen, die die Einziehung krimineller Gelder ohne vorgängige Verurteilung («non conviction-based confiscation») ermöglichen. Die Schweiz unterstütze das Ziel einer verbesserten Möglichkeit des Einzugs von Vermögenswerten kriminellen Ursprungs und von deren Rückgabe an die Geschädigten, erklärt Mario Tuor, Sprecher des Staatssekretariats für Internationale Finanzfragen (SIF), auf Anfrage. Allerdings gelte es grundlegende Prinzipien des innerstaatlichen Rechts und der Menschenrechte zu beachten.