Wer etwas in der EU bestellt, wird trotz Freihandel bei der Einfuhr in die Schweiz zur Kasse gebeten. Das ist lästig, aber der Preis der Unabhängigkeit. Auch bei einem neuen EU-Abkommen.
Im Webshop sah alles so gut aus bei dem kleinen Wintersporthändler in Oberbayern. Ein neues Paar Ski, das richtige Modell, die richtige Länge und mit umgerechnet 700 Franken einen Drittel billiger als bei dem günstigsten Schweizer Händler, der im Netz zu finden war. Ein interessantes Angebot, rechtzeitig vor den Winterferien.
Dann die Überraschung: mit dem Preis, den der Verkäufer verlangte, war es für den Kunden im Zürcher Unterland nicht getan. Als die Schweizer Post das Paket auslieferte, verlangte auch sie Geld: stolze 94 Franken. Und das, obwohl das bayrische Geschäft schon Versandgebühren berechnet hatte. Gelohnt hat es sich immer noch – aber weniger als gedacht.
Was nutzen die EU-Verträge?
Immer wieder gibt es ein unangenehmes Erwachen, wenn Schweizer im Ausland etwas bestellen. Unangenehm, weil sie Kosten begleichen müssen, die ihnen beim Bezahlen im Webshop nicht klar waren. Manchmal zahlen sie sogar, wenn sie ein Geschenkpaket von Freunden bekommen. Und das alles auch, wenn die Lieferung aus der EU kommt – obwohl die Schweiz viele Verträge mit Brüssel geschlossen hat. Sind die denn nichts wert?
Ein seltsam antiquiertes Wort sticht hervor in den Rechnungen von Post, DHL und den anderen Paketlieferanten: Zollgebühren. Dabei hat die Schweiz seit 1972 ein Freihandelsabkommen mit der EU. Es eliminiert alle Zölle auf sogenannte Industrieprodukte. Das meint alle Güter, die industriell hergestellt wurden – und das ist so ziemlich alles, mit Ausnahme von Agrarprodukten und Fischen.
Die Schweiz schützt ihre Landwirtschaft. Auf deutsches Schweinefleisch kann zum Beispiel ein Zoll von 474 Franken je 100 Kilogramm fällig werden. Aber für einen Schweizer auf Onlineshopping-Tour geht es meistens um Industrieprodukte. Seit 2024 hat die Schweiz sogar die Industriezölle auf Einfuhren aus allen Ländern aufgehoben, nicht nur aus der EU.
«Die Schweiz hat seit 30 Jahren eine sehr liberale Aussenwirtschaftspolitik. Ziel ist, die Hochpreisinsel etwas unter Druck zu bringen und die Preise zu senken», sagt Nicolas Diebold, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Luzern. Es solle den Konsumenten möglichst einfach gemacht werden, Produkte günstiger in der EU einzukaufen und in die Schweiz einzuführen.
Nur in der Zollunion ist es einfach
Doch leider: Jede Erleichterung hat Grenzen, und im Warenhandel gilt das wortwörtlich. Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU-Zollunion. Der Schweizer Staat hat seine Zollautonomie behalten, und er möchte wissen, welche Waren über die Grenze ins Land kommen. Darum ist für alle Importe eine Zollerklärung fällig – selbst dann, wenn überhaupt kein Zoll erhoben wird. Die Formulare müssen ausgefüllt werden.
Nur innerhalb einer Zollunion fällt diese Pflicht weg, zum Beispiel im Warenverkehr zwischen Deutschland und Frankreich. Zwischen den Schweizer Kantonen wurden die Zollgrenzen 1848 abgeschafft. Aber nicht nach aussen. «Wenn man auf die eigene Zollhoheit verzichtet, verliert man einen grossen Spielraum in der Aussenwirtschaftspolitik. Den möchte die Schweiz sicher nicht aufgeben», sagt Diebold. Die Kehrseite: Bürokratie.
Auch für die Logistikunternehmen bedeutet die Verzollung Aufwand. Die Kosten werden an den Kunden weitergegeben. Die Post verlangt in der Regel eine Pauschale von 13 Franken plus 3 Prozent Zuschlag vom Warenwert – aber erst, wenn die staatlichen Abgaben über 5 Franken liegen. Schliesslich werden die Abgaben überhaupt erst ab diesem Betrag fällig, sonst wäre die Mühe für die Verwaltung zu gross. Das ist in der Regel ab einem Warenwert von 63 Franken der Fall. Andere Logistiker verrechnen immer Gebühren.
Alles kostet: Zeit, Zoll und Steuern
Da kann man schon ins Grübeln kommen darüber, wann sich der Einkauf im Ausland lohnt. «Der Aufwand für die Abrechnung der Importgebühren ist ein gewisser Nachteil im Vergleich zu lokalen Produkten», sagt Rolf Weder, Professor für Aussenwirtschaft an der Universität Basel. Aber das sei keine von der Schweiz verordnete Diskriminierung der Konsumenten oder der ausländischen Händler.
Der Grossteil der Importgebühren besteht nicht aus den erwähnten Zöllen, sondern aus Steuern. Fast immer muss für Einfuhren die Schweizer Mehrwertsteuer beglichen werden. Sie liegt normalerweise bei 8,1 Prozent. Für manche Waren wie Lebensmittel, Bücher oder Medikamente gilt der reduzierte Satz von 2,6 Prozent. Hingegen werden auf andere Importe zusätzliche Steuern fällig, zum Beispiel auf Alkoholika.
Im Gegenzug muss der Kunde nicht die Mehrwertsteuer vom EU-Land des Versandhändlers bezahlen. Bei vielen Händlern wird diese Mehrwertsteuer gleich im Warenkorb abgezogen, wodurch die Bestellung besonders günstig erscheint. Schliesslich gilt zum Beispiel in Deutschland ein regulärer Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Aber der Schweizer Kunde darf nicht vergessen, dass seine heimische Mehrwertsteuer noch draufgeschlagen wird.
Keine Erleichterung in Sicht
Die Frage ist, wann und wo der Aufschlag passiert. Wenn der EU-Händler in der Schweiz genug Umsatz macht, muss er sich hierzulande bei der Steuerbehörde registrieren, eine Rechnung mit Schweizer Mehrwertsteuer ausstellen und das Geld auch einziehen. Dann sind zumindest die Steuerkosten bei der Bestellung transparent – auch wenn die übrigen Verzollungsgebühren weiterhin vom Spediteur in Rechnung gestellt werden.
Anders machen es Branchenriesen, die so viel in die Schweiz verkaufen, dass es sich für sie rechnet, dem Kunden alle Mühe abzunehmen. So bietet Amazon.de über 300 Millionen Produkte für Käufer in der Schweiz an. Bei den Waren, die der E-Commerce-Gigant selbst versendet, berechnet er alle Importgebühren und stellt dem Käufer einen finalen Betrag in Rechnung. Der Käufer weiss, was er bezahlt, und bekommt keine unerwartete Post vom Spediteur.
Das Chrüsimüsi ist der Preis für die aussenwirtschaftliche Eigenständigkeit der Schweiz. Kosten und Mühe für die Verzollung bleiben den Schweizern auch mit dem neu ausgehandelten EU-Abkommen erhalten, das nun die innenpolitischen Hürden nehmen muss. Wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) auf Anfrage bestätigt, sind darin keine Änderungen bei den Zöllen oder der Erhebung der Mehrwertsteuer vorgesehen.
Die Alternative: selbst ins Ausland fahren
Manche Firmen wollen einen Ausweg bieten und offerieren Lieferadressen im deutschen Grenzgebiet. Der Schweizer Kunde kann sich seine EU-Ware ohne Zollbürokratie dorthin schicken lassen – muss sie aber selbst abholen. Er muss sich auch selbst um die Rückforderung der ausländischen Mehrwertsteuer kümmern. Bringt er die Ware dann selbst in die Schweiz, ist sie allerdings bis zu einem Wert von 150 Franken (vor dem Jahreswechsel 300 Franken) von der Schweizer Mehrwertsteuer befreit – so wie bei einem Einkauf im stationären Handel jenseits der Grenze.
Die 150 Franken sind mehr als die Freigrenze, die bei Import per Versand gelten. Dort greift der Regelsatz der Schweizer Mehrwertsteuer schon ab einer Bemessungsgrundlage von 62 Franken, und dazu zählen nicht nur der Warenwert, sondern auch die Porto- und Verzollungskosten sowie etwaige Zölle selbst. Darum fordern Schweizer Detailhändler die Abschaffung der Freigrenze beim Auslandsbesuch. Ihnen geht es um gleich lange Spiesse im Wettbewerb mit der ausländischen Konkurrenz.
So oder so, es ist kompliziert. Aber wann wäre es das nicht im Verhältnis der Schweiz zur EU?
Ohne EU-Abkommen wäre es schlimmer
bet. · Der Vorteil der teilweisen Integration der Schweiz in den EU-Binnenmarkt liege weniger bei Zollerleichterungen als bei der Eliminierung von technischen Handelshemmnissen, erläutert der Ökonom Rolf Weder von der Universität Basel. Das meint zum Beispiel Vorschriften zur Etikettierung. Ebenso wichtig sei die Harmonisierung von Produktstandards. Damit dürfen Güter, die in der EU zugelassen sind, automatisch auch in der Schweiz verkauft werden – und andersherum.
Das erspart den Schweizer Unternehmen doppelten Aufwand und sichert den Konsumenten ein grosses Angebot aus der EU. Doch seit dem Kollaps des Rahmenabkommens im Jahr 2021 bröckelt diese Erleichterung. «Wenn das neue EU-Abkommen scheitern würde und die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen hinfällig würde, spüren das die Schweizer Konsumenten bei den Preisen und am stärksten die Exportwirtschaft», sagt Nicolas Diebold von der Universität Luzern.